Kommentar: Ein Rostocker Sieg der Moral und des Teamgeistes
Wer sich gestern in der Rostocker DKB-Arena einen ruhigen Nachmittag erhofft hatte, wurde schwer enttäuscht. Dieses Spiel war nichts für schwache Nerven, nichts für Fans mit Bluthochdruck und ließ graue Haare weiß werden. Der heiße Glühwein wärmte noch die klammen Hände, die Bratwurst dampfte in der Kälte und die Choreo der Südtribüne erreichte gerade ihren Höhepunkt, da ertönte in der zweiten Minute der Elfmeterpfiff des Schiedsrichters Tobias Stieler – der neunte Strafstoß gegen die Rostocker in der laufenden Saison. Den zehnten parierte glücklicherweise Jörg Hahnel zwanzig Minuten später glänzend. Zwei Rote Karten gegen Milorad Pekovic und Sascha Schünemann rundeten die turbulente erste Hälfte ab. Tore fielen auch: auf jeder Seite eins.
Mit Teamgeist und Kampf zurück ins Spiel
Auch wenn Trainer Andreas Bergmann im Vorfeld der Partie vor der Kampfstärke und der Schnelligkeit der Osnabrücker gewarnt hatte: Hansa verschlief genau dies in der ersten halben Stunde. Brutal wurde man sehr früh von Balleroberungen und guten Pässen in die Nahtstellen überrascht. Die Kogge kam nicht ins Spiel. Umso erstaunlicher, dass in der zweiten Halbzeit ein dezimiertes Rostocker Team den Osnabrückern den Schneid abkaufte. Jeder kämpfte für jeden. Bis zum Umfallen. Die Begegnung glich in diesen Minuten einem Handballspiel. Acht Rostocker Feldspieler verteidigten im Halbkreis vorm eigenen Strafraum gegen zehn wirbelnde Osnabrücker und lauerten sogar auf eventuelle Konter.
Rostocker Fans als (an)treibende Kraft
Das war schon ein Gänsehautgefühl, als nach der 13-minütigen Spielunterbrechung das Team mit Ovationen wieder im Stadioninneren begrüßt wurde. Jeder Ballgewinn, jedes Ballhalten, jeder Konter wurde beklatscht und laut bejubelt. 8.500 Fans feierten ihr übrig gebliebenes Rumpfteam, als würde es haushoch in Führung liegen. Eine gewisse Eigendynamik machte sich breit: Die ausgelösten Emotionen übertrugen sich auf das Grün und die Spieler kämpften und rannten, als würde es ihr letztes Spiel sein. Wie heißt es doch so schön in einem Rostocker Fangesang: „Niemals aufgeben! Kämpfen und siegen!“ Dies lebten die Jungs auf dem Grün an diesem Nachmittag.
Fader Beigeschmack bleibt
Ein fader Beigeschmack bleibt dennoch. Warum? Weil dem FIFA-Schiedsrichter Tobias Stieler in vielen kritischen Situationen das notwendige Fingerspitzengefühl fehlte. Die Rostocker Anhängerschar unruhig und aufgebracht wurde. Weil der Osnabrücker Spieler David Pisot die Aufruhr unter den Fans nutzte und sich nach einem Tackling seines Mitspielers (!) direkt vor den Fanblock der Rostocker fallen ließ. Völlig inakzeptabel bleibt die Reaktion der Hansafans, ihn mit Feuerzeugen, Schneebällen und anderen Dingen zu bewerfen und worauf die Spielunterbrechung erfolgte. Weil die Hanseaten nun im kommenden Spiel (oder Spielen) wieder einmal auf ihren Leistungsträger Milorad Pekovic verzichten müssen und Sascha Schünemann im Mittelfeld auch ausfällt.
Trotzdem kann die Kogge nach diesem turbulenten und denkwürdigen Spiel erhobenen Hauptes nach Unterhaching fahren. Wer fünfzig Minuten in doppelter Unterzahl kein Tor zulässt und dem Gegner einen Punkt abtrotzt, kann sich als Sieger sehen. Ein weiß-blauer Sieg der Moral, der Laufbereitschaft, des Willens und des Kampfes.
FOTOS: Flohre Fotografie