Aytac Sulu im Interview: „Das ist doch verrückt, was hier abgeht“
Aytac Sulu spielt seit der Rückrunde der Saison 2012/13 für den SV Darmstadt 98. Der Innenverteidiger entwickelte sich sofort zu einer zentralen Stütze des damaligen Teams, das am Ende der Saison dennoch sportlich abstieg. Seit dieser Spielzeit ist der 28-Jährige Kapitän, in 35 Spielen gelangen ihm zwei Tore. Zusammen mit Benjamin Gorka bildet der gebürtige Heidelberger eines der besten Innenverteidiger-Duos der Dritten Liga. Im Interview mit liga3-online.de spricht Sulu über seine Highlights der bisherigen Saison, das Verhältnis zu den Fans und natürlich über die Relegation.
Herr Sulu, ab wann war Ihrer Mannschaft bewusst, dass diese Saison eine ganz besondere werden kann?
Im ersten Training waren wir 12 oder 13 Mann auf dem Platz, damals hat natürlich noch niemand an so etwas gedacht. Aber im Laufe der Hinrunde haben wir schon gemerkt, dass da was geht. In der Winterpause waren wir unter den ersten fünf und in den ersten Spielen im neuen Jahr, z. B. gegen Osnabrück (ein hart erkämpftes 1:1, Anm. d. Red.) haben wir gesehen: „Wenn wir schon nicht gewinnen, verlieren wir aber auch nicht.“ (lacht.) In dieser Phase haben wir uns gesagt, wir wollen mehr als Platz acht.
Trainer Dirk Schuster hat immer von der 40-Punkte-Marke gesprochen. Als die erreicht wurde, hat er weiterhin versucht, den sprichwörtlichen Ball flach zu halten. Aber mal ehrlich, haben Sie in der Kabine wirklich nicht über den Aufstieg gesprochen?
Es hört sich zwar wie eine Floskel an, aber wir haben echt nur von Spiel zu Spiel gedacht. Wir haben uns etwa gesagt, dass wir ungeschlagen bleiben wollen. Die letzten Spieltage haben wir natürlich schon geguckt, was über und hinter uns passiert. Aber sonst haben wir von Woche zu Woche geschaut und unseren Stiefel heruntergespielt. Es hat keiner gesagt: „Wenn wir jetzt gewinnen, machen wir einen riesen Sprung oder wenn wir jetzt verlieren sind wir weg.“ Ganz selten vielleicht einmal, aber im Großen und Ganzen, war es wirklich so, dass wir jeweils den nächsten Gegner schlagen wollten. Und das hat gut funktioniert.
Was war für Sie neben dem 4:0 in Duisburg und dem 6:0 gegen Rostock das Highlight der Hinrunde?
Das 1:0 gegen Heidenheim . Da hat damals niemand mit gerechnet, da haben wir uns ein Stück weit selbst überrascht. Duisburg und Rostock waren natürlich die absoluten Highlights, aber auch das 4:0 gegen Preußen Münster stufe ich hoch ein – da haben wir gezeigt, dass wir eine gute Mannschaft sind.
Gerade für Sie muss es doch nun noch unfassbarer sein, in der Relegation zur Zweiten Bundesliga zu stehen: Nach der vergangenen Rückrunde und Ihrem Lattentreffer in der letzten Minute gegen die Stuttgarter Kickers (Stuttgart holte am letzten Spieltag der vergangenen Saison ein 1:1 am Böllenfalltor und schaffte so den Klassenerhalt, wohingegen Darmstadt damit sportlich abgestiegen war, Anm. d. Red.) muss die momentane Situation doch unfassbar sein. Wie oft haben Sie sich in dieser Saison gedacht: „Was ist denn hier eigentlich los?“
Das kam gegen Ende der Hinrunde und die komplette Rückrunde sehr oft. Nach den Spielen, die du gewonnen hast, gehst du auf deine Mitspieler zu und sagst: „Junge, was ziehen wir hier eigentlich ab?“ Wir haben uns so oft selbst verblüfft, etwa mit der langen Serie (17 Spiele ungeschlagen, Anm. d. Red.). Da gab’s das Augenzwinkern und das Kopfschütteln nach dem Motto „Das ist doch gerade verrückt, was hier abgeht!“
In diesem Zusammenhang ist auch das intensive Verhältnis mit den Darmstädter Fans zu sehen. Wie nehmen Sie die Zuneigung, die sich in den unterschiedlichen Aktionen, wie etwa dem Flug nach Rostock oder dem Zug nach Leipzig und natürlich der Unterstützung im Stadion äußert, wahr?
Ich erlebe so etwas auch das erste Mal. Als ich mit Aalen in die Dritte Liga aufgestiegen bin, hatten wir zwar auch ein gutes Verhältnis mit den Fans, aber was in der Fanszene in Darmstadt abgeht, kann man damit nicht vergleichen. Wir haben vom ersten Spieltag an alles gegeben, sind immer an unsere Grenzen gegangen. Wenn man von den Zuschauern angefeuert wird, geht das natürlich leichter. Das ist ein Geben und Nehmen: Wenn wir alles geben, geben die Fans alles und umgekehrt. Das ist oft ein Thema in der Kabine. Wenn die Fans so zu einem stehen, bewirkt das natürlich generell ein gutes Gefühl und du verarbeitest negative Dinge schneller.
Ein Höhepunkt unter vielen war sicherlich das Spiel in Leipzig…
Du kommst aus den Katakomben heraus und läufst auf 35.000 Bekloppte zu. (lacht.) Was die Menge angeht, waren wir da vielleicht in Unterzahl, aber das hat man nicht wirklich gemerkt. Wir haben unsere Fans sehr wohl gehört. Zum Spiel: Wir haben auswärts gegen eine Top-Mannschaft gespielt, aber in der zweiten Halbzeit waren wir denke ich ein bisschen besser. Da wir alles gegeben haben, konnten wir uns aber nichts vorwerfen.
Dennoch: Wie sehr hat Sie diese Niederlage geärgert?
Natürlich hat uns das trotz allem sehr gewurmt, da wir die einmalige Chance hatten, Leipzig einzuholen. Die ersten Tage danach hat man das in der Mannschaft schon gemerkt, dass wir geknickt waren. Da ist eine Serie von 17 ungeschlagenen Spielen gerissen. Danach hatten wir zwar nicht ganz abgeschlossen, auf den zweiten Platz zu kommen, aber das war schon der bitterste Moment der Saison.
Nun stehen also die Relegationsspiele gegen Arminia Bielefeld an. Ist Bielefeld im Vergleich zu Dresden der leichtere oder der schwerere Gegner?
Es wäre gegen Dresden genauso schwer geworden wie gegen Bielefeld. Bielefeld ist eine Mannschaft, die sich schon länger kennt. Bis auf zwei, drei Ausnahmen ist es dasselbe Team, gegen das wir schon letztes Jahr in der Dritten Liga gespielt haben. Vorne haben sie mit Fabian Klos einen sehr guten Stürmer in ihren Reihen. Es wird in jedem Fall sehr, sehr schwer. Im Endeffekt ist es aber so, dass der Zweitligist mit dem Rücken zur Wand steht. Bei denen geht es um alles, bei uns geht es in Anführungsstrichen nur um die Kirsche auf der Sahnetorte. In Bielefeld sind dann eventuell Arbeitsplätze auf der Geschäftstelle gefährdet, Spieler stehen bei Abstieg ohne Vertrag da – da geht es teilweise um die Existenz. Mit diesen Dingen im Kopf werden sie bei uns auftreten, dafür müssen wir gewappnet sein.
Was erwarten Sie für einen Gegner? Wird Bielefeld auf Sicherheit spielen oder das schnelle Tor wollen?
Ich denke, sie werden versuchen, uns zu beeindrucken. In ihrer Situation wollen sie sicherlich ein schnelles Tor erzielen. Doch wenn man bedenkt, was wir auch gerade zu Hause in dieser Saison alles geleistet haben, werden wir mit breiter Brust auftreten und müssen uns vor niemandem verstecken. Das wird ein brutaler Fight und es werden nur Details entscheiden, in welche Richtung das Spiel geht..
Das Hinspiel findet im Stadion am Böllenfalltor statt, Sie müssen nicht ausweichen. Das war Trainer Dirk Schuster sehr wichtig. Ist es ein Vorteil im „Bölle“ zu spielen?
Selbstverständlich, das ist unser Wohnzimmer. Das ist ein anderes Feeling als es in Frankfurt oder Mainz gewesen wäre. Als der Spielort zur Debatte stand, haben wir in der Mannschaft sofort gesagt: „Hoffentlich kriegen sie es hin, dass wir hier spielen können!“ Wir fühlen uns alle wohl am Bölle und umgekehrt ist es für den Gegner auch unangenehmer bei uns, in unserem Stadion spielen zu müssen.
Vielen Dank für das Interview & viel Erfolg in der Relegation.
FOTOS: FU Sportfotografie