Tobias Rathgeb im Interview: "Das ist hier keine Lollipop-Liga"
Mit seinen 32 Jahren und 29 Zweit- sowie 159 Drittliga-Partien ist Tobias Rathgeb einer der erfahrensten Spieler der Liga. Nachdem er bereits von 1998 bis 2006, unterbrochen von einer halbjährigen Leihe in die Schweiz, beim VfB Stuttgart spielte, führte ihn sein Weg nach vier Jahren Hansa Rostock im Januar 2010 wieder zu den Schwaben. Seitdem ist der defensive Mittelfeldspieler eine feste Größe in Mannschaft und Liga. Im Interview mit liga3-online.de spricht er über den Saisonstart, seine Rolle als Vaterfigur in der U23 des VfB und die Entwicklung der Dritten Liga.
liga3-online.de: Am Dienstagabend habt ihr das Kellerduell gegen die U23 des FSV Mainz 05 mit 1:0 gewonnen. Wie fällt Ihr Fazit zu dieser Partie aus?
Tobias Rathgeb: Jeder, der auf die Tabelle geschaut hatte, wusste, dass es ein extrem wichtiges Spiel wird. Vorletzter gegen Letzter – solche Spiele solltest du einfach gewinnen. Der Saisonstart verlief für uns nicht gut, deshalb war es schon ein "Big-Point"-Spiel. Wir haben es geschafft, viele Torchancen herauszuspielen. Wir waren leider nicht effektiv genug, um das Tor früher zu erzielen. Mainz hatte kurz vor der Halbzeit eine richtig gute Chance. Wenn sie da ein Tor machen, wird es für uns richtig schwierig. Aber letztlich hatten wir viel mehr Torchancen und haben auch verdient gewonnen.
Es war der zweite Sieg in Folge, nachdem Sie und Ihre Mannschaftskollegen zuvor bereits beim Halleschen FC mit 2:0 gewonnen hatten. Warum läuft es aktuell besser, nachdem der Saisonstart mit vier Punkten aus sieben Spielen alles andere als optimal verlief?
Wir hatten eine schwierige Vorbereitung. Es war wenig Personal auf dem Trainingsplatz, phasenweise haben wir nur mit zwölf Mann trainiert. Außerdem bekommen wir jedes Jahr neue Spieler dazu, dann dauert es auch, ehe man sich als Team findet. In den ersten Spielen waren schon die Möglichkeiten da, Punkte zu holen. Es war nicht so, dass wir völlig chancenlos waren. Nur haben wir nach dem ersten Gegentor oft direkt ein zweites bekommen. Manchmal auch direkt nach der Halbzeit so wie im Spiel gegen Münster. Wir sind zu oft Rückständen hinterher gerannt und haben zu schnell zu einfach Tore bekommen. Daran haben wir gearbeitet und auch viel darüber gesprochen und diese Fehler in den letzten Wochen abstellen können. Und man sieht, dass wir auch die Qualität hat, um vorne Tore zu machen und enge Spiele für uns entscheiden können
Zu welchen Maßnahmen greift ein erfahrener Drittliga-Trainer wie Jürgen Kramny, wenn es nicht so gut läuft?
Wir haben vor allem Ruhe bewahrt. Wir haben eine sehr junge Mannschaft und da kann man auch nicht verlangen, dass es von Anfang an so gut läuft. Gerade bei jungen Leuten spielt das Selbstvertrauen eine große Rolle. Und wenn du schlecht in die Saison startest, fehlt dann das gewisse Etwas, das du brauchst, um auch mal Spiele für dich zu entscheiden. Gegen Münster standen uns erfahrene Akteure gegenüber, die bei einer Führung nichts mehr anbrennen lassen.
Wir haben weiter gearbeitet, die Situation analysiert, Sachen direkt angesprochen und das sieht man jetzt auch an den Ergebnissen. Aber auch unabhängig von den Resultaten sind wir weitergekommen. Holt man auch noch drei Punkte, ist es natürlich noch schöner. Wenn du wochenlang nur im Tabellenkeller bist, merkt man das in der Mannschaft. Deshalb war es wichtig, dass wir da schnell wegkommen sind. Noch ist nicht viel passiert, aber mit zehn Punkten haben wir immerhin den Fuß in der Tür. Jetzt wollen wir den Schritt durch gehen. Es wird jede Woche ein Kampf, jede Woche kommt es auch auf die Kleinigkeiten an. Wir hoffen natürlich, dass unsere jungen Spieler sich gut entwickeln – das ist unser Ziel. Und mit den richtigen Ergebnissen fällt das noch ein bisschen leichter.
Mit Ihren 32 Jahren sind Sie zusammen mit Rückkehrer Daniel Vier der älteste Spieler des Teams. Welche Rolle kommt Ihnen beiden zuteil?
Ich denke schon eine wichtige. Vor, nach und während des Trainings Vorbild zu sein, die Jungs mitzureißen und sie auf Dinge vorzubereiten. Auch mal Kleinigkeiten, die einem im Training auffallen. Die können durchaus für die Karriere und die Entwicklung eine Rolle spielen. Auch über private Angelegenheiten, die man vielleicht nicht mit dem Trainer bespricht, wird gesprochen. Wenn die Jungs etwas belastet, können Sie zum Dani (Daniel Vier, Anm. d. Red.) oder zu mir kommen, wir haben da immer ein offenes Ohr. Und durch unsere Erfahrung können wir da auch einiges im Vorfeld ausräumen, damit sie sich auch voll auf den Fußball konzentrieren können. Wenn sie belastet ins Spiel gehen, können sie nicht ihre ganzen Qualitäten abrufen.
Wie sehr merken Sie, dass die Jungen von Ihrer Erfahrung profitieren wollen?
Man merkt es schon, wenn sie die Gespräche suchen. Jedes Jahr kommen neue Spieler hinzu, die relativ schnell merken, dass sie mit uns sprechen können. Wir wollen den Jungs zeigen, dass wir hier keine Sonderrolle haben und die Chefs sind, die machen, was sie wollen. Wir sind für die Jungs und nicht nur für uns selber da. Entscheidend ist, dass die Jungs zu uns Kontakt haben und das ist auch der Fall. Und das macht auch Spaß. Es geht für mich nicht nur um das rein Sportliche, sondern auch das Drumherum und das ist das Reizvolle. Du lernst die Leute viel schneller und näher kennen, erfährst viel, was abseits des Platzes passiert. Ich habe das zwar auch alles einmal durchgemacht, aber die Zeit hat sich auch verändert. Da ist es schon gut, wenn man mitbekommt, , was die Jungs so beschäftigt. Und das ist schon eine Menge, deshalb wollen wir helfen, dass sie sich auf das Wichtige fokussieren. Oftmals ist es auch so, dass sie von weiter weg kommen und die Eltern nicht in der Nähe – deshalb geht auch viel in das Private hinein.
Sie spielen mittlerweile seit über viereinhalb Jahren am Stück bei der U23 des VfB, haben 159 Spiele absolviert und somit viel von der Dritten Liga mitbekommen. Wie hat sich die Spielklasse in Ihren Augen innerhalb der letzten Jahre verändert?
Ich habe ja früher schon für den VfB Spiele in der drittklassigen Regionalliga gemacht und man muss schon sagen, dass die Dritte Liga keine Regionalliga mehr ist. Man kann diese Ligen nicht miteinander vergleichen. Das Niveau ist deutlich gestiegen, die Spieler sind deutlich besser ausgebildet, als es früher der Fall war. Es gibt auch viel erfahrenere Spieler, die es sich früher nicht angetan haben, in der Regionalliga zu spielen. Heutzutage spielen sie gerne dort, weil die Dritte Liga interessant ist, das Niveau und die Stadien sind gut und es kommen zumeist viele Zuschauer. Und das ist das Interessante für mich, da ich auch die Regionalliga von damals kenne. Ich weiß, was der Spieler denkt, was er fühlt. Und wenn ich sehe, was die Jungs jetzt schon in ihrem jungen Alter leisten müssen, habe ich auch mehr Geduld, weil man weiß, wie schwer das Ganze ist.
Aber Fakt ist auch, dass die Jungs schneller funktionieren müssen. Da ist es egal, wie alt der Junge ist – ob 18 oder 22.Und deswegen ist die Dritte Liga für unsere Jungs überragend, weil sie jede Woche extrem gefordert werden. Es gibt keine drei Wochen, wo du dir denkst: Gehst du mal hin, kickst ein bisschen und gehst wieder nach Hause. Sie werden jede Woche gefordert und nur so funktioniert es, damit du den Sprung schaffst. Wenn du heutzutage in der Regionalliga spielst, dann ist das schon ein gewaltiger Unterschied zur Dritten Liga. Und deswegen ist es für unseren Verein auch unheimlich wichtig, dass wir in der Liga bleiben.
Für den F.C. Hansa Rostock bestritten sie einst 30 Spiele in der ersten Liga, spielten vor 77.000 Zuschauern in Dortmund. Am Dienstag waren es gegen Mainz knapp 500.
(lacht) Ja, das muss ich mit mir ausmachen. Ich weiß ja, was ich hier mache. Ich bin ein VfB-Junge, bin insgesamt seit elf Jahren beim Verein und weiß auch genau, auf was ich mich hier eingelassen habe. Das ist das, was ich vorhin angesprochen habe: Es geht hier nicht nur um den eigenen Kopf, dass ich sage, ich muss hier vor 150 Leuten spielen, ich habe vor ein paar Jahren vor 70.000 gespielt. So klar bin ich im Kopf und ich weiß, was meine Aufgabe hier ist. Und da ist es egal, vor wie vielen Zuschauern ich spiele. Es geht darum, die Jungs voranzutreiben, dass wir Gas geben und dass die Jungs sich entwickeln. Und wie ich auch schon sagte, es macht Spaß, in der Dritten Liga zu spielen. Das ist hier keine Lollipop-Liga, wo du nur vor 150 Leuten spielst. Das ist bei unseren Heimspielen natürlich etwas anderes. Das ist nun einmal bei zweiten Mannschaften so, dass da wenig Zuschauer sind, aber du hast ja genug Auswärtsspiele, bei denen oft die Hütte brennt. Das ist schon interessant. Und in dem Moment, als ich wusste, dass ich das hier mache, musste die Sache mit den vielen Zuschauern und großen Stadien aufgeben – das ist nun einmal so. Aber es gibt genug positive Dinge, die mir richtig Spaß machen und deshalb mache ich das auch.
Wie sehen Sie die Rolle der zweiten Mannschaften in der Liga? Bei vielen Fans ist der Stand aufgrund der mangelnden Attraktivität und des geringen Zuschaueraufkommens nicht sehr gut. Welche Argumente bringen Sie dagegen?
Das Schwierige ist eben, dass wir nicht unbedingt Ergebnis-Fußball spielen, sondern Wert auf die Entwicklung der Spieler legen. Das ist ein komplett anderes Denken wie bei Vereinen wie Dynamo Dresden oder auch anderen, die aufsteigen wollen. Und da ist es auch manchmal so, dass ein Ergebnis nicht unbedingt das aussagt, was gerade in der Mannschaft los ist. Wenn es dann mal so ist wie bei uns, dass du ganz unten stehst, musst du natürlich zusehen, dass du die Punkte holst. Wir wollen ja auch in der Liga bleiben. Das ist immer ein schmaler Grad, deswegen ist es unheimlich schwer. Es kommt auch auf Details an. Da müssen wir dranbleiben und wenn wir am Ende über dem Strich stehen, haben wir in dem Jahr eine überragende Arbeit geleistet. Das haben wir in den letzten Jahren auch hinbekommen und ich bin überzeugt, dass uns dies auch jetzt gelingen wird. Nur wird es zwischendurch immer Phasen geben, in denen es schwer wird, in denen wir dann Geduld und Ruhe brauchen, uns aber auch pushen und an unsere Stärken glauben müssen.
Ihr Vertrag läuft am Ende der Saison aus. Könnten Sie sich vorstellen, weiter professionell Fußball zu spielen oder womöglich noch einmal eine neue Herausforderung zu suchen? Oder sehen Sie die Förderung der jungen Spieler beim VfB als ihre Aufgabe?
Ich bin im regelmäßigen Austausch mit dem Verein und meine Zukunft wird auch hier beim Verein sein. Solange ich fit bin und auch noch kann, will ich spielen, das ist klar. Wenn es dann soweit ist, werden wir uns ganz in Ruhe hinsetzen. Wichtig ist, dass man hier auf dem Platz ein Vorbild ist und Spaß an der Arbeit hat – das habe ich jeden Tag. Und sollte es irgendwann nicht mehr so sein, ist klar, dass ich nicht mehr auf dem Platz stehen werde. Aber jetzt möchte ich weiterspielen, ich fühle mich fit und will eine Hilfe für die jungen Spieler darstellen, solange ich kann.
Am Samstag empfängt man den Tabellenführer aus Chemnitz. Was erwarten Sie für ein Spiel und wie kann man die zuletzt drei Mal siegreichen Sachsen bezwingen?
Wir wissen, was da auf uns zukommt. Es ist keine unbekannte Mannschaft. Es sind viele Spieler dabei, die wir schon lange kennen. Es ist eine kompakte, taktisch sehr gute Mannschaft mit individuell starken Spielern, die große Erfahrung haben. Es gilt, als junge Mannschaft dagegenzuhalten. Es ist ein Spiel, in dem jeder junge Spieler einen Schritt weiter kommen kann. Wir haben nichts zu verlieren und werden auch so in das Spiel hereingehen. Wir werden natürlich erst einmal versuchen, die Null zu halten und mit unserer offensiven Stärke immer wieder Nadelstiche zu setzen, um das Spiel auch zu gewinnen. Wenn wir mal ein Spiel unglücklich verlieren, aber die Einstellung gepasst und die Spieler ihren Job gemacht haben, dann ist es nun einmal so. Wir haben großen Respekt vor Chemnitz, wir wissen, was sie können, aber wir sind auch gut vorbereitet. Deshalb wird es ein interessantes Spiel.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Zukunft!
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