Gehörloser Ollert im Interview: "Behinderung kein Hindernis"
Seit 2012 spielt Simon Ollert für die Jugendmannschaften der SpVgg Unterhaching. Unter Trainer Christian Ziege kam der 17-Jährige in dieser Saison jedoch schon zu vier Kurzeinsätzen in der Dritten Liga, beim Heimspiel gegen Rot-Weiß Erfurt am 19. Spieltag bereitete der Stürmer sogar sein erstes Tor im Profifußball vor. Nur wenige Tage später statten die Rand-Münchener den Nachwuchsspieler mit einem Profivertrag bis 2017 aus. Das Besondere dabei: Ollert ist auf beiden Ohren taub und muss mit Hörgerät spielen. Er ist nach Stefan Markolf (Mainz 05) der zweite hörgeschädigte Fußballer, der es in den Profifußball schaffte. Im Interview mit liga3-online.de berichtet er über seine vergangenen Wochen und erklärt, wie die Kommunikation auf dem Platz mit Spielern und Trainer erfolgt.
liga3-online.de: Guten Tag, Herr Ollert. Schön, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben. Haben Sie die Geschehnisse der letzten Wochen schon verarbeiten können? Zuerst bereiten Sie gegen Erfurt Ihr erstes Tor im Profifußball vor, wenig später erhalten Sie vom Verein sogar einen Profivertrag bis Sommer 2017.
Simon Ollert: Hallo! Ja, ich denke schon. Ich habe mir den Profifußball schon länger gewünscht und daher war es für mich nicht unbedingt so überraschend, sondern ein Meilenstein, den ich mir erarbeiten konnte. Natürlich freue ich mich gerade sehr darüber, aber es steht gerade jetzt schon wieder einiges Neues an, was ich nun erfüllen möchte.
Als wäre dies nicht beeindruckend genug, sind Sie zurzeit der einzige gehörlose Spieler im deutschen Profifußball. Wie stolz macht es Sie, trotz dieser Einschränkung das Vertrauen vom Verein ausgesprochen zu bekommen?
Ich bin schon sehr froh, dass ich mit der SpVgg Unterhaching einen Verein habe, der den Mut hat, so jungen Spielern wie uns eine Chance zu geben und in meinem Fall sogar einen behinderten Spieler unter Vertrag zu nehmen. Darum bin ich stolz, in so einem Club spielen zu dürfen.
Wann wurde die Gehörlosigkeit bei Ihnen diagnostiziert?
Ich war eineinhalb Jahre alt, als es festgestellt wurde, kurz darauf erhielt ich meine ersten Hörgeräte.
Wie haben Sie im Laufe ihres Lebens gelernt, damit klar zu kommen?
Ich habe mich für meine Hörgeräte nie wirklich geschämt, ich war schon immer eher selbstbewusst und kann auch stur sein, wenn ich mir was in den Kopf setze. Ich glaube, diese Eigenschaften haben mir schon geholfen, die Behinderung nicht unbedingt als Hindernis zu sehen. Ich habe mir dann halt andere Wege gesucht.
In welchen Situationen nervt es Sie?
Wenn ich mit Freunden unterwegs bin, kann ich den Gruppengesprächen ziemlich schwer folgen, da verpasse ich schon immer sehr viel, gerade in lauteren Umgebungen.
Beherrschen Sie die Gebärdensprache? Wenn nein, möchten Sie diese irgendwann mal erlernen?
Nein, ich hatte in meiner Kindheit nicht oft die Möglichkeit, mich mit jemanden in Gebärden zu unterhalten, daher habe ich sie auch nicht gelernt. Aber ich habe mir vorgenommen, nach meinem Abitur die Gebärdensprache in Angriff zu nehmen.
Wie sehr schränkt Sie das begrenzte Hörvermögen während des Spiels ein? Sicherlich können Sie die teils hektischen Anweisungen von Trainer und Teamkollegen nicht wahrnehmen, oder?
Ob es mich einschränkt, kann ich nicht beurteilen, denn ich kenne es ja nur so. Wenn ich mal was in einem Moment nicht verstehe, bin ich eben auf mich angewiesen und muss dann schauen, dass etwas dabei raus kommt, mit dem sie zufrieden sind.
Wie darf man sich Ihre Kommunikation mit Spielern und Trainer während der Partie vorstellen?
Eigentlich ganz normal, ich brauche nur in irgendeiner Form den Sichtkontakt und wenn es etwas Wichtiges ist, muss man schnell eine Unterbrechung nutzen, um sich auszutauschen. Ich verstehe weniger Zurufe, kann aber besser anhand von Körpersprache ablesen.
Kann es aber auch ein Vorteil sein, gerade in hitzigen Spielen nicht alles um sich herum wahrnehmen zu können, um sich so besser zu fokussieren?
Klar, ich denke, manche würden sich in einem entscheidenden Moment wünschen, den Schalter einfach mal auf Aus zu stellen.
Sie gehen aktuell noch zur Schule. Wie lassen sich Unterricht und Training miteinander vereinen? Unterstützt Sie die Schulleitung auf dem Weg zum Fußball-Profi?
Ja, ich bin in der 11. Klasse und die Schulleitung sowie Lehrer und Mitschüler akzeptieren und unterstützen meinen Sport. Mein Tag ist eben sehr ausgefüllt, und jede Woche muss auch neu geplant werden, aber ich bin guter Dinge, die Schule erfolgreich zu Ende zu führen.
Viele junge Spieler machen während des Sports noch eine Ausbildung. Ist dies bei Ihnen auch geplant, um sich beide Wege offen zu halten?
Mein erstes Ziel ist das Abitur. Wenn das geschafft ist, freue ich mich erst einmal auf eine sehr, sehr intensive Fußballzeit, in der ich mir dann auch nochmal sicher die weiteren beruflichen Fragen stellen werde.
Lassen Sie uns noch kurz auf die sportliche Situation der Spielvereinigung eingehen. Jedes Jahr aufs Neue verlassen Leistungsträger die Mannschaft. Wie schafft es der kleine Verein dennoch immer wieder, trotz schlechter Vorzeichen die Klasse zu halten?
Aus der Sicht eines Spielers kann man nur sagen, dass der Verein einem Mut, Selbstvertrauen, Menschlichkeit, Fachkompetenz und Möglichkeiten bietet. Ich denke, dass diese Eigenschaften sich bei einer Vielzahl der Akteure bemerkbar machen und daher immer wieder ein gesundes Kollektiv entstehen kann.
Auch in der bisherigen Saison sieht es so aus, als müsse das Team lange gegen den Abstieg spielen. Warum können Sie im Mai erneut den Klassenerhalt feiern?
Wir sind jung, wir lernen aus jedem Spiel, somit werden wir bis zum Ende der Saison immer stärker, sodass wir dann auch die Liga halten können.
Wie sieht Ihre persönliche Zielsetzung für den Rest der Spielzeit aus?
Ich bin ja trotz des Vertrags noch A-Jugend-Spieler, daher möchte ich auf jeden Fall mit dieser Mannschaft aufsteigen. Für die 3.Liga erhoffe ich mir viele Einsätze und weiterhin einige Trainingseinheiten, aus denen ich jedes Mal Erfahrungen mitnehmen möchte.
Vielen Dank für das Interview und alles Gute für Ihre Zukunft.