Am längeren Hebel #31: Vorsprung durch Technik?
3.Spieltag- Fußball, Sonne, Tore… völlig bedeutungslos. Zwei Fans des MSV Duisburg mussten Samstag (beim Spiel gegen Jahn Regensburg) ihr Leben lassen. Den Angehörigen beider Familien gilt unser ausdrückliches Mitgefühl. Angesichts dieser Ereignisse lassen wir die gewohnten Rubriken Gewinner und Verlierer des Spieltages außen vor. Plötzlich merkt man, was wichtig ist. Fußball ist eben doch nur Nebensache…
Lasst uns versuchen ein wenig Normalität einkehren zu lassen, denn so ganz ohne eine Revue geht auch nicht:
Tor oder Nichttor, das ist hier die Frage
Rostock, ehemaliges Ostsee-Stadion, Minute 23, Freistoß aus halb-rechter Position – ca. 23 Meter Torentfernung. Tobias Rathgeb läuft an, Innenriststoß mit links, Unterkante Latte, bange Blicke zum Linienrichter. Traumtor? Traumtor! Das sagt zumindest der Schiedsrichter Steffen Mix (was ein Name). Ist irgendwie schade, dass so ein Kunstschuss dieser Diskussion unterliegt, aber: Es war eben zu diesem Zeitpunkt der 1:1-Ausgleich im Spiel. OK, das Tor (oder eben Nicht-Tor) war nicht spielentscheidend, Rostock gewann 3:1. Und es hätte ja anders kommen können… An das prominente Beispiel aus der 1. Bundesliga, Hoffenheim gegen Nürnberg muss ich wahrscheinlich nicht mehr verweisen. Wenn schon alle über Torlinientechnik diskutieren, machen wir doch mit!
Profilaxe durch ein Adler-Auge
Wembley, Sonntag-Nachmittag, Community Shield, so etwas wie der englische Supercup. Wigan Athletic gegen Manchester United. Eigentlich eine klare Sache, der Meister schlägt einen Zweitligisten (und Pokalsieger) ohne Probleme. Nichts historisches, abseits der Tatsache, dass zum ersten Mal seit 26 Jahren nicht Sir Alex Ferguson der Manager von United war. An diesem Tag aber wurde nicht nur aus diesem Grund Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal in einem europäischen Pflichtspiel kam das „Hawk-Eye“ zum Einsatz. Das ist eine von zwei zugelassenen Torüberwachungs-Systemen. In der englischen Premier-League wird es künftig in jedem Spiel zum Einsatz kommen – eine Revolution im Fußball. Wären sie darauf mal 47 Jahre früher gekommen… Wir hätten einen Sir weniger und einen Stern mehr. 300.000 Euro, also einen halben Yussuf Poulsen, soll dieses Unterfangen kosten. Die jeweiligen Verbände entscheiden über Ja-oder-Nein und über die Finanzierung. Es wäre ein wenig vermessen, „Hawk-Eye“ in der dritten Liga zu fordern – vielleicht aber in der höchsten Spielklasse? Warum aber ist eine Liga wichtiger als die Andere? Weil es um mehr Geld geht?
Ich habe lange darüber nachgedacht und kam letzten Endes zu einem einerseits, andererseits… Einerseits: Nimmt das Goal-Decision-System dem Sport doch ein wenig die Romantik. Wie schön ist es, darüber zu diskutieren, ob drin oder nicht-drin? Ich würde diese Ausgabe von „Am Längeren Hebel“ nicht schreiben, Formate, wie der Fußball-Stammtisch…undenkbar.
Torsprung durch Technik
Andererseits, kann ich der Argumentation folgen, dass ein Tor immer auch ein Tor sein sollte (und umgekehrt). Wir verfügen über die technischen Mittel, via Torlinientechnik zu überwachen – warum nicht nutzen? In anderen Sportarten wird dies bereits erfolgreich praktiziert. Voraussetzung selbstverständlich: Es muss 100 % fehlerfrei sein – aber daran gibt es im Tennis, z.B., keinen Zweifel. Klar, es kann mal ein Akteur im Bild stehen – aber es kann auch Kühe vom Himmel regnen. Nach reiflicher Überlegung würde ich mich fast pro-Torlinientechnik aussprechen, denn dann können wir uns noch mehr dem Inhalt des Spiels widmen, als uns mit Regularien aufzuhalten. Und ein bisschen Überwachungsstaat sind wir doch in Zeiten von NSA-Skandalen gewohnt. Jetzt mag es wieder Leute geben, die mich zerreisen – Ihr wisst ja, wie ihr mich erreicht.
Schön, dass wir diskutieren können. Am Ende ist auch egal, ob wir diskutieren Tor oder kein Tor. Wir können auch „Hawk-Eye“ oder kein-„Hawk-Eye“ diskutieren. Und Diskussionen über Doping machen eh keinen Spaß mehr. Wie wir es auch drehen und wenden: Am Ende bleibt es alles Nebensache, gerade ob solch tragischer Fälle, wie in der Einleitung beschrieben…
„stay tuned“ und eine vitale Woche
Uli Hebel