Analyse: Arminia fehlt noch ein Quäntchen Selbstverständnis

Vier Punkte nach vier Spieltagen, Platz 14. Ein Fehlstart für Zweitliga-Absteiger Arminia Bielefeld? Da die Erwartungen an die runderneuerte Mannschaft insbesondere für den Saisonauftakt bewusst niedrig gehalten wurden, eher nicht. Doch was fehlt dem DSC, und wie viel Geduld hat das Umfeld? Das 1:1 gegen Jahn Regensburg sollte einige Hinweise geben.

Potenzial erkennbar, aber zu selten abgerufen

Hochseetauglich oder havariegefährdet? Arminia Bielefeld spielte zu Bundesliga-Zeiten gerne mit dem Begriff eines Schlauchbootes inmitten von Luxusyachten. Wenige Jahre darauf gehen die Ostwestfalen mit deutlich konkurrenzfähigerem Drittliga-Material ins Sportjahr, sollte man meinen. Doch das erhoffte Schmuckstück kommt brandneu aus der Werft, Architekt und Kapitän wurden erst vor wenigen Monaten eingestellt, für die Besatzung gilt das gleiche. Kein Wunder also, dass die ersten Fahrmanöver so aussehen wie das 1:1 gegen Jahn Regensburg am Sonntagmittag: Arminia wackelte in der Anfangsphase gehörig und machte ihre mehr als 16.000 Fans beim Ansehen des fehlerbehafteten Spielaufbaus seekrank, dann stabilisierte sich der Kahn. Letztlich war das Remis gegen den Mitabsteiger völlig leistungsgerecht und damit schnell erzählt. Oder? Nun, nicht ganz – zumal ein ganzer Saisonauftakt eingeordnet werden will.

Vier Punkte aus vier Spielen stehen auf dem Konto. Das 4:0 im Derby gegen Preußen Münster ragte neben dem Pokal-Weiterkommen gegen Bundesligist Bochum heraus, war aber erheblich klarer ausgefallen, als es die Spielanteile aussagten. Das 1:3 zuvor bei Dynamo Dresden war wiederum vielleicht ein Tor zu deutlich, wurde schnell als Niederlage zum Dazulernen abgehakt. Ärgerlich geriet das 0:1 bei Aufsteiger Ulm, der den Blauen ziemlich einfach den Schneid abkaufte und ihm mit wuchtigen Zweikämpfen und energischen Störungsaktionen völlig den Wind aus den Segeln nahm. Und auch Regensburg fand nach teils schweren Patzern einige Situationen vor, dem DSC die dritte Niederlage zuzufügen – während ebenso die Bielefelder mit einem Pfosten- und einem Lattentreffer weiteren Toren nahe waren, ohne sich dafür häufig in klare Abschlusspositionen im Strafraum gebracht zu haben.

Nervosität auf den Rängen – Kniat nimmt es locker

Kurzum: Offensiv wie defensiv ist das Potenzial der Arminia unverkennbar, noch aber kann es nicht annähernd über die volle Spielzeit hinweg gleichmäßig abgerufen werden. "Wir waren fahrlässig im Spielaufbau, haben zu risikoreich gespielt", sagte Aygün Yildirim im Klub-TV dazu. "Aber mit jedem Spiel, in dem wir das knallhart durchziehen, kommt das Selbstvertrauen. Mit der Zeit werden wir mit diesem Spielstil erfolgreich sein." Bis dato sind noch vorrangig lange Bälle, am Sonntag auf Kapitän und Zielspieler Fabian Klos, das Mittel der Wahl, wenn das Kurzpassspiel stockt. Es funktionierte gut, weil Klos gut aufgelegt war. Doch mehr als eine Notlösung soll das eigentlich nicht sein. Oder etwa doch?

Bemerkbar war, dass sich mancher Zuschauer spürbar schwer damit tat, dem allgemein auferlegten Geduldskurs zu folgen. Denn als sich Torhüter Jonas Kersken und seine Vorderleute ein ums andere Mal im Versuch des flachen Aufbaus verzettelten, sprang die Nervosität sogleich auf die Ränge über. Aus einem anfänglichen Raunen wurden schnell Pfiffe, die zwar vereinzelt blieben, aber ihren Effekt kaum verfehlten. Auch Trainer Mitch Kniat, der gegen das frühe gegnerische Pressing ausdrücklich auf solche "spielerischen Lösungen" setzt, nahm Notiz von diesen Reaktionen. "Das waren einfache Fehlpässe, die so passieren können. Wir sind weiterhin davon überzeugt", sagte Kniat auf der anschließenden Pressekonferenz über seine Spielidee. "In drei, vier Wochen", so glaubt er, "hat sich das besser eingespielt" – und meinte damit die Hoffnung auf wachsendes Verständnis derer, die pfiffen ebenso wie seine noch etwas wacklig kombinierenden Spieler. "Wir werden das mit unserer Art und Weise in den Griff bekommen."

Wie die Wörl-Leihe zur Bielefelder Spielidee passt

Dass der spieltaktische Kurs der Arminen klar abgesteckt ist, zeigte am Montag übrigens auch die nächste Neuverpflichtung: Marius Wörl, ausgeliehen von Zweitligist Hannover 96, fügt sich mit seinen 19 Jahren nahtlos in eine Riege ballsicherer, hoch veranlagter Mittelfeldspieler ein. Dass er sich im Gegensatz zu einigen seiner künftigen Positionskontrahenten wie Nassim Boujellab, Kaito Mizuta und Tom Geerkens bereits seine erste Sporen in der 3. Liga verdient hat, dürfte ihm zugute kommen. Wörl vollzog in der Vorsaison bei 1860 München einen Leistungssprung und war dort in der Endphase der Saison kaum noch aus der Startelf wegzudenken. Er ist nach Christopher Lannert und Semi Belkahia bereits der dritte Vorjahres-Löwe im DSC-Kader. Am Dienstag kam mit Leandro Putaro, der bereits von 2016 bis 2018 auf der Alm spielte, noch der gesuchte Mann für die Außenbahn hinzu.

Vorbei sind die Transferplanungen der Bielefelder damit aber wohl noch nicht. Wie sich in den vergangenen Wochen herauskristallisierte, sucht der DSC noch eine Verstärkung für die Abwehr. Die Zeit bis zum Transferschluss am 1. September wird für Arminias Sport-Geschäftsführer Michael Mutzel als auch die sehnlich auf mehr qualitative Breite im Kader hoffenden Fans eine interessante – ehe zwei Tage darauf bei Geheimfavorit Viktoria Köln (Sonntag, 19.30 Uhr) der nächste Schritt im Reifeprozess vollzogen werden soll.

   

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