Analyse zur Winterpause: Das Halbjahres-Zeugnis #1
20 von 38 Spieltagen stehen in den Büchern. Wir haben in der 3. Liga einen überraschend souveränen Spitzenreiter, Überraschungskandidaten im oberen Drittel, Topfavoriten in Lauerstellung und – natürlich – Abstiegskandidaten, die so nicht jeder auf dem Zettel hatte. In zwei Teilen blicken wir auf alle Teilnehmer, analysieren Stärken und Schwächen und vergeben ein Zeugnis. Den Anfang macht die obere Tabellenhälfte.
Ehre, wem Ehre gebührt: Alles andere als ein Wintermeister namens 1. FC Magdeburg wäre schlicht nicht gerecht gewesen. Nicht in jedem, aber in den allermeisten Spielen – und erst recht zuletzt beim 3:0 über Mannheim – war dieser Mannschaft anzumerken, welche Spielfreude sie besitzt und welche Qualität am Ball dahintersteckt. Ein Baris Atik, der seine Topform analog zum gesamten FCM einfach in die neue Saison mitnahm (zehn Tore, neun Vorlagen), ein Luca Schuler, der das Erbe der langjährigen Ikone Christian Beck als treffsicherer, wuchtiger Stürmer bislang beeindruckend ausfüllt – wir könnten diese Liste über Amara Conde, Jason Ceka, Andreas Müller und heimliche Helden wie den faszinierend soliden Routinier Alexander Bittroff in der Dreierkette immer weiterführen.
Dreh- und Angelpunkt des Ganzen ist Trainer Christian Titz, der sein Glück an der Elbe gefunden zu haben scheint und im Duo mit Sportchef Otmar Schork eine Besetzung ist, die ganz viel Hoffnung entfacht am Heinz-Krügel-Platz. 41 Tore bedeuten die beste Offensive, 25 Punkte daheim ebenfalls einen Spitzenwert. Kürzen wir es ab: ein überragendes Halbjahr, ein überragendes Jahr 2021. Hier riecht es nach Zweitliga-Luft.
Note: 1
Dass es alles andere als selbstverständlich ist, in der Rolle des Zweitliga-Absteigers diese 3. Liga von Beginn an anzunehmen, hat Eintracht Braunschweig vor drei Jahren sehr schmerzhaft zu spüren bekommen – 14 Punkte standen damals zum gleichen Zeitpunkt zu Buche, es folgte eine Aufholjagd, an die man sich noch lange erinnern wird in der Löwenstadt. Und hatte nicht mancher ein ähnlich schlechtes Gefühl, als da am 2. Spieltag eine 0:4-Pleite gegen Aufsteiger Berlin serviert wurde, der BTSV noch nicht ein Saisontor erzielt hatte? Nun: Alles kam ganz schnell ganz anders. Angeführt von einem bockstarken Altmeister Jasmin Fejzic zwischen den Pfosten brillierten die Braunschweiger speziell in der Fremde, holten dort sechs Siege in zehn Spielen.
Auch in den anderen Mannschaftsteilen haben sich Eckpfeiler hervorgetan: Im Mittelfeld deutet Bryan Henning Zweitliga-Niveau an, vorne wurde der späte Transfer Lion Lauberbach zum Serienschützen und Top-Torjäger (acht Tore in 16 Spielen). 15 verschiedene Spieler haben bereits Tore erzielt, was nur untermalt, wie schwer ausrechenbar dieser variable BTSV unter Michael Schiele geworden ist. Reicht es am Ende, um oben zu bleiben? Als Mannschaft wirkt die Eintracht trotz einiger sehr junger Leistungsträger schon verdächtig reif.
Note: 2+
Bei Rico Schmitts emotionalem NDR-Interview nach dem abschließenden 4:1-Heimsieg über den Halleschen FC konnte einem Fußballfan nur das Herz aufgehen. Dass diese Kombination nach dem am grünen Tisch verhinderten Abstieg im Frühjahr solch einen durchschlagenden Erfolg haben würde – niemand hatte das im Emsland kommen sehen. Doch diese Mannschaft, die nach individueller Qualität allenfalls im hinteren Mittelfeld vermutet wurde, wuchs nach einem relativ unspektakulären Auftakt ab dem 11. Spieltag immer weiter über sich hinaus: 24 (!) Punkte holte der SVM in diesem letzten Quartal des Jahres 2021, verkraftete selbst die 0:5-Demontage bei Tabellennachbar Braunschweig am zweiten Advent.
Auf dem Papier ist die "Lebensversicherung" der Niedersachsen schnell ausgemacht: Luka Tankulic erzielte in den vergangenen fünf Partien drei Doppelpacks, kommt auf elf Tore und vier Vorlagen. Im sechsten Drittliga-Jahr macht vielleicht auch die Kapitänsrolle den 30-Jährigen zum Überflieger. Auch das defensive Mittelfeld um David Blacha und Willi Evseev ist eine Bank. Nichtsdestotrotz: Es sind und bleiben 36 Punkte gegen den Abstieg. Demut regiert beim SVM, die 2. Bundesliga ist trotz der starken Ausgangslage weiterhin ein ferner Traum.
Note: 1
Mit erst vier Niederlagen – zwei davon gegen den 1. FC Magdeburg – und 34 Punkten ankert Waldhof Mannheim auf der ersten Jägerposition, hat selbst aber ein breites Verfolgerfeld hinter sich. Und doch überwiegt die Zufriedenheit in der Kurpfalz: Im dritten Jahr der Drittklassigkeit so aussichtsreich positioniert zu sein, das gefällt den Fans. Dass während dieser Hinrunde hinter den Kulissen einiges drunter und drüber lief, der ehemalige Sportchef Jochen Kientz sich nach seiner fristlosen Kündigung mittlerweile vor Gericht mit dem SVW wiedersehen wird, gehört aber auch zum ersten Halbjahr. Gut, dass die Unruhe sich nicht auf die Mannschaft übertragen hat…
Auch um die Waldhöfer Entwicklung zu skizzieren, lohnt ein Blick auf den Torjäger: Dominik Martinovic brauchte, als er 2020 kam, zunächst ziemlich viele Chancen pro Tor – mittlerweile chippt er die Bälle im Eins gegen Eins wie selbstverständlich an gegnerischen Keepern vorbei und liegt schon bei zehn Treffern. Unter den Transfers schlug Routinier Marc Schnatterer ein (sieben Tore, vier Vorlagen), abseits der vermeidbaren gelb-roten Karte in Magdeburg brachte auch Marco Höger all seine Erfahrung aufs Feld. Vielleicht kann das im Endspurt noch der Trumpf sein? Das 0:3 beim FCM zeigte zuletzt aber genauso klar auf, dass es für die absolute Ligaspitze derzeit noch nicht reicht.
Note: 2+
Sonnenklar war, dass der FCS aufsteigen wollte und will. Und insgesamt sieht das ja auch, punktgleich mit Waldhof zwei Zähler hinter Platz 2 und 3, gar nicht so übel aus. Doch hinter den Kulissen flammte immer mal wieder Unzufriedenheit auf, denn von der Konstanz eines künftigen Zweitligisten waren die ambitionierten Saarländer in den ersten 20 Spielen weit entfernt. Bezeichnend, wie die vier Siege in Folge, die die Koschinat-Elf in der Adventszeit still und heimlich aneinandergereiht hatte, daheim gegen Schlusslicht Havelse zuletzt nicht veredelt wurden (2:2). Auch das verpatzte Derby gegen Kaiserslautern (0:2) wirkte trotz der starken Reaktion noch nach.
Eigentlich bringt Saarbrücken alles mit, darunter einen ausgewogenen Mix in der Mannschaft mit erfahrenen Leadern wie Adriano Grimaldi (zwölf Scorerpunkte), Kapitän Manuel Zeitz und Torwart Daniel Batz, aber auch aufstrebenden Talenten, allen voran Mittelfeldspieler Luca Kerber. Zuletzt wirkte das im Sommer auf zahlreichen Positionen veränderte Team zunehmend vereinheitlicht – genau daran haperte es zu Beginn noch. Es bleiben dazu schwierigere Charaktere wie Dennis Erdmann, der neben Rassismus-Vorwürfen in der Hinrunde auch sportlich wackelte. Rüstet der FCS im Januar womöglich noch gezielt nach, sollte mit ihm zu rechnen sein.
Note: 2-
So früh in unserer jährlichen Bilanz den 1. FC Kaiserslautern zu erwähnen, daran müssen auch wir uns erst einmal gewöhnen. Aber: Verdient ist verdient, und was Marco Antwerpen dort gegen alle aufgekommenen Widerstände bislang ableistet, ist sehr respektabel. Erinnern wir uns an den Saisonstart, als der FCK da stand mit einer 0:4-Packung von Viktoria Berlin, später mit vier Punkten aus sechs Spielen – und dann kam ja noch das ausgeuferte Derby gegen den Waldhof! Zu neunt standen sie da, die letzten Kämpfer vom Betzenberg, und hielten tatsächlich das 0:0. Ein Wendepunkt wie aus dem Drehbuch, denn es folgte die Aufholjagd, ein 6:0 in Havelse, ein 2:0 im Derby in Saarbrücken, das 4:0 über Köln. Und – als Schönheitsfleck – das Ausscheiden im Landespokal bei einem Fünftligisten.
Dass Lautern als Vierter dennoch in den DFB-Pokal einziehen könnte, legen die Leistungen nahe. Potenzial zum Spieler der Hinrunde hat – natürlich – einer aus der fabulösen 13-Gegentore-Defensive, Boris Tomiak etwa oder Torhüter Matheo Raab, der zwischenzeitlich 533 Minuten ohne Gegentor blieb und damit einen neuen Vereinsrekord aufstellte. Oder doch Marlon Ritter, einst Stürmer, umgeschult bis zum defensiven Mittelfeldspieler, der ein Spiel grandios an sich reißen kann? Mindestens punktuell hat dieser FCK schon Zweitliga-Niveau. Aber eins hat die Vergangenheit die Roten Teufel definitiv gelehrt: Lobt eine Mannschaft nie zu früh. Erst muss sie bis zum Ende abliefern.
Note: 2
Aufsteiger BVB II galt als schwer einschätzbar: Wie würden sich die Schwarz-Gelben verstärken, wen von den Profis abstellen? Es mussten nicht viele Spieltage vergehen, bis sich ein klareres Bild zeichnete – die Dortmunder sind eher kein Abstiegskandidat. Zu viel Spielwitz und Talent bringen Hochkaräter wie Immanuel Pherai und Tobias Raschl mit, die im Mittelfeld kaum zu ersetzen sind. Das i-Tüpfelchen, das mancher Konkurrent als wettbewerbsverzerrend betrachten wird, sind Einsätze der Profis Youssoufa Moukoko, Dan-Agel Zagadou, Ansgar Knauff und Steffen Tigges.
Spürbar bergab ging die Formkurve von Enrico Maaßen und seinem Team, als in Flügelstürmer Marco Pasalic ein Shootingstar der Auftaktphase mit einer Syndesmosebandverletzung längerfristig ausfiel. Plötzlich setzte es im Oktober mal vier Niederlagen in Folge, was eine bessere Platzierung kostete. Zuletzt gewannen die Borussen ihr Selbstverständnis als spielstarke Ausbildungsmannschaft zurück, siegten 3:0 gegen Verl, 3:1 über Zwickau. Kurzum zusammengefasst: Auftrag bislang erfüllt.
Note: 2
Souveräner Tabellenführer ist der SVWW – allerdings aber nur in der "Ewigen Tabelle" der 3. Liga, die die Wiesbadener mit 635 Punkten anführen. Für einen wesentlichen Teil dieser Zahl zeichnete Rüdiger Rehm verantwortlich, mit dem die Rot-Schwarzen 2019 in die 2. Bundesliga auf- und kurz darauf direkt wieder abstiegen. Rehm ist nun wieder Rot-Schwarzer, und wieder zweitklassig, allerdings in Ingolstadt. In Wiesbaden haben sie ihn gefeuert, da waren 13 Spieltage absolviert. Das alles wirkte seltsam, die Erklärungen der sportlichen Leitung auch. Nachfolger Markus Kauczinski bringt ebenfalls Aufstiegserfahrung mit, holte zuletzt seine ersten Siege. Das könnte klappen.
Unterm Strich steht Wiesbaden da, wo es derzeit hingehört: ein gutes Stück weg von der Spitze, noch weiter entfernt von der Abstiegszone. Die Sorge vor einem Sturmproblem bewahrheitete sich zumindest nicht, dafür ist Gustav Nilsson an guten Tagen ein viel zu abgebrühter Vollstrecker und Maximilian Thiel ein zu guter Distanz- und Freistoßschütze. Im Rest der Mannschaft tummelt sich viel Mittelmaß, auch Zweitliga-Erfahrene wie Kevin Lankford und Vorjahres-Durchstarter wie Jozo Stanic tun sich noch schwer. Für einen Klub, der immer Ambitionen auf das obere Drittel hegt, ist das noch etwas wenig.
Note: 3-
Nur zwei Trainer hatten sich vor der Saison getraut, auf den VfL Osnabrück als Aufstiegskandidaten zu setzen, dabei war dieser doch just erst aus der 2. Bundesliga gekommen. Lila-Weiß schickte sich nach mäßigem Start (vier Punkte aus vier Spielen) im Frühherbst an, alle Lügen zu strafen: Gerade auswärts gelangen immer wieder beachtliche Ergebnisse und Leistungen, an der heimischen Brücke tat sich Osnabrück doch vergleichsweise schwer (nur vier Siege in zehn Spielen). Zudem ging zuletzt schlicht die Puste aus: Viermal blieb der neue Trainer Daniel Scherling mit dem VfL sieglos, ehe es durch den Spielabbruch in Duisburg verfrüht in die Winterpause ging – vielleicht kommt die genau zur richtigen Zeit.
Osnabrücks großes Problem spielte sich rund um den gegnerischen Sechzehner ab, mal in Form schwacher Chancenverwertung, an einigen Tagen aber auch durch viel zu komplizierte Lösungen, die es Gegnern wie Freiburg II und Havelse leichter machten, die Niedersachsen im eigenen Stadion zu ärgern. Während Linksverteidiger Florian Kleinhansl bislang in der drittbesten Defensive (19 Gegentore) ein Glücksgriff ist und auch HSV-Leihgabe Aaron Opoku zumindest als Vorbereiter glänzte, zündeten die Offensivtransfers nicht. Bezeichnend ist das rundum gebrauchte erste Halbjahr von Andrew Wooten. Und dennoch: Das Potenzial zu einer abgebrühten Spitzenmannschaft lässt sich in diese Osnabrücker immer hineininterpretieren.
Note: 3
Die Löwen aus München waren hingegen Topfavorit Nummer eins für viele, die sich mit der 3. Liga etwas intensiver beschäftigen. Selten war eine derart dominante Mannschaft zunächst nicht aufgestiegen und hatte dann auch noch kaum einen Leistungsträger verloren. Vielleicht waren die Vorzeichen zu gut? Die Entwicklung ist hinreichend bekannt: In der Frühphase bewegte sich Sechzig nach dem Auftaktsieg über Würzburg kaum vom Fleck, wurde sogar allmählich durchgereicht. Immer wieder kamen diese vermaledeiten 1:1-Remis, die den TSV nicht vom Fleck brachten. Erst seit ab dem 14. Spieltag die Unentschieden passe sind und durch fünf Siege sowie drei Niederlagen ersetzt wurden, steigt der Punkteschnitt – mit dem 3:0 in Würzburg wurde das Halbjahr gerettet.
Anfang Dezember dann präsentierte 1860 die Schlagzeile des Jahres, suspendierte Kapitän Sascha Mölders und hat nun den Vertrag mit ihm aufgelöst. Was bislang ans Licht kam, wirft kein sonderlich gutes Licht auf Mölders selbst, aber auch auf den Klub, der wohl zuließ, dass das Mannschaftsklima durch ein stetes Aufeinander- und Abprallen von Führungsspielern und Mölders rapide abgesunken war. Ob das grundlegende Problem durch die Verbannung des "Störenfrieds" schon gelöst ist? Sportlich deutet die Doppelspitze Marcel Bär und Stefan Lex an, das Loch füllen zu können. Ansonsten fehlt bislang, Torhüter Marco Hiller mal ausgenommen, der alles überragende Schlüsselspieler. Nichtsdestotrotz: Auch Sechzig wird den Sturm auf Platz 3 anpeilen – für das Mittelfeld ist der Kader zu gut.
Note: 4+