Arminia Bielefeld im Krisenmodus gefangen: Der Druck steigt
2:6! Die Achterbahnfahrt von Arminia Bielefeld geht in der 3. Liga munter weiter. Nur kurz nach dem Saarbrücken-Debakel wartet ein in jeglicher Hinsicht spezielles Lokalduell. Der Blick auf den DSC, der für den Moment einmal mehr abstiegsbedroht daherkommt.
Kniat "sagt besser nichts" – und braucht Ergebnisse
Niemand im Lager von Arminia Bielefeld fühlt sich dieser Tage wirklich wohl in seiner Haut. Wenige Tage liegt eine empfindliche Niederlage zurück, ein 2:6 gegen den Mitfavoriten 1. FC Saarbrücken. Statt eines Nackenschlags gab es gleich wieder eine satte Ohrfeige, man ist es irgendwie gewohnt in Ostwestfalen. Just sah die Lage nach dem 2:1-Erfolg in Unterhaching noch deutlich besser aus, vor dem Anpfiff schworen sich Fans und Mannschaft noch zusammen ein, dann brachte Rekordspieler Fabian Klos seine Farben auch noch mit 1:0 in Führung. Doch fast alles, was danach kam, war desaströs. Und doch muss das Geschehen, kurz vor dem speziellen ostwestfälischen Duell mit dem SC Verl, in Ruhe und aus allen Perspektiven eingeordnet werden.
"Aus meiner Sicht zu hoch", so bilanzierte es Sport-Geschäftsführer Michael Mutzel laut Vereinshomepage. "Ich hatte das Gefühl, dass Saarbrücken aus sieben Schüssen sechs Tore gemacht hatten.“ Statistisch lässt sich das überprüfen: Der FCS schoss 16 Mal, Arminia 13 Mal. Und doch hatte Mutzel im Kern ja recht, es war unterm Strich keine Leistung für sechs Gegentore, keine für einen Saarbrücker Kantersieg. Doch auf der Gegenseite, beim erfahrenen und eingespielten Fast-Aufsteiger des Vorjahres, da wusste eben jeder bei den wenigen Ballstafetten, was er zu tun hatte.
War die erste Halbzeit noch gerecht mit einem 1:1 geendet – mit dem wahrscheinlichen Knackpunkt aus DSC-Sicht, die Führung mit einer schweren Unaufmerksamkeit binnen Sekunden wieder verschenkt zu haben – so wurde die zweite zu einer Lehrstunde. "Wir haben es ihnen sehr einfach gesagt", meinte Trainer Mitch Kniat. Sein Fazit: Wer zuhause sechs Tore kassiere, "der sagt besser nichts". Die örtlichen Medien übernahmen die restliche Einordnung – und kamen zum naheliegenden Schluss: Der Druck auf den 37-Jährigen steigt nach nur acht Saisonspielen.
Immer noch prägen Hektik und Fehler den Spielaufbau
Ist ein 2:6 allein mit punktueller Naivität und einem abgezockten Gegner zu erklären? Oder liegt doch mehr im Argen bei der Arminia, die zwei Abstiege in Serie aus den Kleidern schütteln will? Drei Monate spielt die runderneuerte Mannschaft nun zusammen, Abläufe sollten sich allmählich einstellen und verfestigen. Doch das wichtigste Instrument, der geordnete flache Spielaufbau, ist so anfällig, dass Gegner ihn als Schwachstelle erkannt haben. Saarbrücken attackierte bei hoher eigener Führung und kurz vor Spielende noch Bielefelds Torhüter Jonas Kersken und provozierte so einen hektischen Fehlpass, den Kersken einige Sekunden später aus seinem Netz holte. Selten passiert eine Partie ohne diese und weitere Schreckmomente. Eines davon war das 2:1 in Unterhaching eine Woche zuvor, das für massive Erleichterung gesorgt hatte. Muss nun eingeordnet werden, dass Haching auch der vielleicht schwächste Gegner dieser Saison war – und Saarbrücken neben Dresden der Stärkste?
Einzuordnen ist auch, welch historische Tragweite diese Klatsche am Freitagabend eigentlich hatte. 2:6, da kratzten sich auch die Älteren unter den gut 17.000 Arminia-Fans erst einmal am Kopf, wann es denn das letzte Mal eine solche Packung gegeben hatte. Tatsächlich hatte das Ergebnis absoluten Seltenheitswert: 1985 hatte der DSC mal ein 2:7 gegen den VfB Stuttgart kassiert, schon ein Jahrzehnt zuvor mal 1:7 gegen Eintracht Braunschweig verloren, was der höchsten Heimniederlage der Vereinsgeschichte gleichkam. Kein anderes Mal hatte Bielefeld auf der heimischen Alm mehr als fünf Gegentore kassiert, nie war dies unterhalb der Bundesliga passiert. Und jetzt kam dieser 1. FC Saarbrücken mal eben vorbei und zerspielte die im Pressingverhalten wiederholt fahrlässigen Blauen in ihre Einzelteile. Das war durchaus beängstigend.
Warum es unklug ist, nun an Kniat zu rütteln
Die Sicherheit, mit Kniat den richtigen Trainer gefunden zu haben, wollen bei Arminia alle ausstrahlen. Entsprechend stärkte Mutzel dem 38-Jährigen nach der Partie den Rücken. Auch, weil klar ist: Diese Mannschaft, zumindest in Mittelfeld und Angriff mit viel mehr Ballgefühl als physischer Stärke ausgestattet, ist nicht auf jeden x-beliebigen Übungsleiter ausgelegt, sondern ganz nah an Kniats Idee. Dass diese an einem Standort wie Verl schneller funktioniert als etwa in Bielefeld, dafür gibt es plausible Erklärungen – allen voran den Erwartungsdruck von außen, das Stimmungsbild in schwierigen Phasen. Wobei sich der DSC-Anhang am Freitag Mühe gab, auf obligatorische Reaktionen zu verzichten: Ob 1:4, 2:5 oder 2:6, die aktive Fanszene sang unbekümmert weiter und gab demonstrative Rückendeckung.
Kniat und Kapitän Klos sprachen daraufhin einhellig von "Gänsehautmomenten". Im Wissen, dass es diesen Bonus nicht dauerhaft geben wird. Erste Kritiker knöpfte sich Klos noch im Stadion vor, sprang nach Abpfiff auf die Balustrade zur Sitzplatztribüne, suchte das Gespräch. "Wir sprechen hier über einen Prozess", wird Klos auf der DSC-Seite zitiert. "Wir werden sicher bis zum Winter mit der Situation zu kämpfen haben." Doch er stellt sich bewusst – und anders als im Vorjahr – bewusst vor sein Team. "Diese Mannschaft hat einen Charakter, den ich hier in Bielefeld selten bis gar nicht erlebt habe."
Schon der Dienstagabend wird für alle Bielefelder Fans, die die kurze Reise antreten, derweil zu einem bitteren Realitätscheck: Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, erstmals seit 1995 wieder vor die Stadttore an die beschauliche Poststraße reisen zu müssen? Nun zählen aber weder Lokalkolorit noch die Rückkehr Kniats an seine alte Wirkungsstätte, sondern einzig der Blick auf die Tabelle: Verl gegen Bielefeld ist ein Kellerduell – und vor allem der ehemalige Bundesligist hat den Druck per Wiedergutmachungsauftrag für das Saarbrücken-Debakel auf seiner Seite.