Aufsteiger Alemannia: Wie viel Arbeit auf den TSV zukommt

Willkommen zurück im Profifußball, Alemannia Aachen! Elf Jahre nach einem unrühmlichen Abgang melden die "Öcher" sich zurück in der 3. Liga – und das bereits am viertletzten Spieltag. Die Fans rennen ihrer Alemannia nach einem schwierigen Jahrzehnt die Bude ein, doch wo wird sich der TSV im kommenden Jahr sportlich einsortieren? Und wie sehen eigentlich die Langfrist-Pläne aus?

Noch am Abend wurde gefeiert

Was für eine Party! Schon am Freitagabend stand dank eines 2:1-Erfolgs von Fortuna Köln über den Wuppertaler SV fest: Auch der WSV als letzter verbliebener Jäger kann die Schwarz-Gelben nicht mehr einholen. Prompt wurde am Stadion gefeiert, danach ging es in eine rauschende Nacht – und am Samstag folgt ja erst noch die große Party vor mehr als 30.000 Menschen beim sportlich belanglosen Heimspiel gegen Bocholt.

Nun weiß keiner so wirklich, was die 3. Liga mit Alemannia Aachen in der kommenden Saison erwarten darf. Auch unsere Redaktion weiß es nicht, aber: Sie freut sich, denn es kommt allemal auf den Rängen etwas Großes auf die Liga zu. Und das nicht nur auf dem Tivoli. Rund 4.000 (!) Aachener begleiteten zuletzt etwa den TSV zum Gastspiel beim SC Paderborn II. Wer nicht aus Nordrhein-Westfalen stammt, dem sei dazu gesagt: Aachen und Paderborn teilen zwar einen Dom, aber nicht die Region. Wer die Strecke auf sich nimmt, fährt 250 Kilometer – pro Strecke, vorbei am Großraum Köln, vorbei am Ruhrgebiet. 4.000 Schwarz-Gelbe taten es, gepackt von der Euphorie, gepackt vom Erfolg, der sich über Jahrzehnte hinweg so entschlossen von den Kaiserstädtern abgedreht hatte, dass mancher seit der Errichtung des neuen, prachtvollen Tivolis an einen Fluch glaubte.

Aachen wird die 3. Liga aufmischen

Das Zuschauer-Potenzial jedenfalls geht in Regionen von Dynamo Dresden und damit vom Größten, was die 3. Liga in dieser Hinsicht kennt. Mindestens. 28.600 Fans begrüßt die SGD in dieser Saison pro Heimspiel – Zahlen, die Aachen zumindest seit der Rückrunde egalisieren kann, seit der "Hypetrain" laut bimmelnd in Deutschlands westlichste Großstadt eingetroffen ist. Das Spiel gegen Bocholt war binnen kürzester Zeit mit fast 30.000 Zuschauern ausverkauft, als noch gar nicht feststand, dass die Elf von Heiner Backhaus hier den letzten Schritt gehen wird. Der TSV in einer Liga mit Bielefeld, Essen, Osnabrück, 1860 München  und vielleicht Dresden und Münster, aber auch mit Dortmund II, Köln, Verl: Auswärtsfahrer-Rekorde dürften reihenweise wackeln. Wenn Alemannia Aachen aufkreuzt, ist High Noon – in jeder Hinsicht, denn auch ein gewisses Risikopotenzial sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben.

So sehr sich die maßgeblichen Attraktionsfaktoren der Alemannia aus ihrem Umfeld, ihrer Vergangenheit und ihrer Größe speisen: Was die 3. Liga sportlich erwartet, ist nicht minder interessant – und allen voran schwer einschätzbar. Lange Zeit hinweg fehlten dem TSV jegliche Mittel, um in der Regionalliga an die damaligen Spitzenklubs von Viktoria Köln über die Sportfreunde Lotte bis zu Verl, Essen und Münster anzudocken. Im Sommer 2023 erhöhte man den Etat um gut ein Drittel, Sponsoren sorgten mit Zuschüssen für Wintertransfers. Und doch ist die Mannschaft, die im Jahr 2024 nur einen einzigen Punktverlust erlitten hat, keine der großen Namen. Anton Heinz sticht hervor, der im Sommer aus Oberhausen kam, damals schon für die Regionalliga überqualifiziert war (24 Scorer in 32 Spielen) und diese Quote nun nochmals gesteigert hat (26 in 29). Allen voran dank ruhenden Bällen, die der 26-Jährige auf Erstliga-Niveau schlägt.

Einige Akteure bringen Drittliga-Erfahrung mit

Doch wie sieht der übrige Drittliga-Stamm aus? Wer bringt das Zeug mit? Sportdirektor Sascha Eller begibt sich selbst erstmals auf professionelle Fußballebene – und muss dabei gut überlegen, welchem Aufstiegshelden der nächste Schritt zugetraut wird. Lucas Scepanik (MSV Duisburg), Kilian Pagliuca (Halle, Jena), Julian Schwermann (Verl), Dustin Willms (Zwickau), Florian Heister (Viktoria Köln) – die bekanntesten Namen der Aachener Elf kommen auf wenige Drittliga-Jahre, meist für Klubs in der unteren Tabellenhälfte und kaum als unumstrittene Stammkräfte. Andere kommen gänzlich ohne höherklassige Erfahrung daher, sind aber zu Spitzenspielern der Regionalliga gereift und damit bereit für den nächsten Schritt, beispielhaft Kapitän und Abwehrchef Mika Hanraths oder Rechtsverteidiger Nils Winter. Und eben Anton Heinz.

Kurzum: Nominell besitzt die Alemannia nicht das Fundament, mit dem Rot-Weiss Essen 2022 und Preußen Münster 2023 die 3. Liga attackieren – und zumindest RWE sogar noch ein Jahr lang ordentliche Anlaufschwierigkeiten hatte. Euphorie allein trägt keine 38 Pflichtspiele lang, das werden die Verantwortlichen wissen. Beispiele wie das des SSV Ulm 1846 machen gleichwohl Mut, das eine eingeschworene Elf funktioniert, wenn sie denn entscheidend verstärkt wird.

Strukturen als Herausforderung

Die Herausforderung ist bei Vereinen der Größe von Alemannia Aachen absehbar: Wie schnell wird dem Umfeld die 3. Liga zu klein, oder anders gedacht: Kann der Verein seine einst aus Sparzwängen eingedampften Strukturen so zügig wieder aufbauen, dass das Wunschdenken nicht schneller wächst als der Klub selbst? Der Etat, so verriet es Eller in einem Interview mit der "Aachener Zeitung", werde in der Saison 2024/25 unter fünf Millionen Euro betragen – damit würde sich der Aufsteiger in der unteren Drittliga-Tabellenhälfte einsortieren. Eins dürfte mit Blick auf die dunkleren Kapitel der Vergangenheit ohnehin klar sein: Auch wenn die Verlockung groß ist und die Rufe nach dem Anspruch auf einen Platz unter den deutschen Top 36 kommen werden, muss Alemannia Aachen seine Bilanzen im schwarzen Bereich halten. Was für große Vereine in der 3. Liga, Beispiele gibt es etliche, gerade über mehrere Jahre gar nicht so leicht ist.

   

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