Aufstiegskandidaten: SC Verl erstmals im Profifußball?

Solange die 3. Liga und der Amateurfußball pausieren, sind auch alle Aufstiegs-Entscheidungen in der Regionalliga vorläufig vertagt. liga3-online.de stellt die Drittliga-Aufstiegskandidaten genauer vor. Heute: der SC Verl.

Wenig bekannte Stadt mit viel Potenzial

25.000 Menschen leben in der Stadt Verl. Beschaulich geht es zwischen den regionalen Oberzentren Bielefeld, Paderborn und Gütersloh zu – wer von Verl dieser Tage zum ersten Mal nachhaltig Notiz nimmt, der tut das nicht in dem Glauben, bislang viel von dieser Gemeinde verpasst zu haben. Doch damit wird das lebendige Städtchen unterschätzt: Kaum woanders findet sich in Nordrhein-Westfalen etwa eine derart niedrige Arbeitslosigkeit, in kaum einer anderen Stadt wird so gut verdient. In Verl siedeln sich einige Groß- und viele Mittelstandsunternehmen an, die von niedrigen Gewerbesteuern profitieren. Viele von ihnen finden sich auch im Sponsorenpool des bekanntesten Sportvereins: dem Sportclub Verl. Der reine Fußballverein mit seinen etwa 1.100 Mitgliedern kämpft mit geschärften Waffen um den Aufstieg in die 3. Liga. Das wirtschaftliche Potenzial ist mehr als ordentlich.

Seit Tabellenführer SV Rödinghausen Mitte Februar verkündete, unter anderem aufgrund hoher infrastruktureller Hürden keine Lizenz für die 3. Liga beantragen zu wollen, ist aus dem Jäger der Gejagte geworden. Verl steht nun auch im Ligabetrieb im Fokus – die nationale Berühmtheit, die die Schwarz-Weißen durch den Einzug ins DFB-Pokal-Achtelfinale vor einigen Monaten erlangen, schadete dem Selbstvertrauen gewiss nicht. Abzüglich ordentlicher Prämien für die Spieler, die nach Siegen über den FC Augsburg (2:1) und Holstein Kiel (8:7 nach Elfmeterschießen) erst gegen Union Berlin knapp den Kürzeren zogen (0:1), wanderten knapp 1,2 Millionen Euro auf das Konto des Regionalliga-Zweiten. Es soll Kapital sein, das beim kontinuierlichen Wachstum in den kommenden Jahren behilflich sein kann.

Ein Leben für den SC Verl

Sportlich hat Verl, wo Ex-Nationalspieler Arne Friedrich einst für eine Saison (1999/00) spielte, dabei bereits starke Voraussetzungen geschaffen. Raimund Bertels, der in den späten 1980er-Jahren als Spieler beim Sportclub begann und es zum passablen Regionalliga-Verteidiger schaffte, feiert bald sein 20-jähriges Jubiläum im Funktionärsauftrag: 2001 begann der heutige Vorstandsvorsitzende und Sportliche Leiter als Trainer der zweiten Mannschaft, wurde dann Co-Trainer der Ersten, 2009 deren Coach und seit 2012 leitet er die sportlichen Geschicke. Bertels hat sein Leben dem SC Verl verschrieben: Er kennt die Stadionzuschauer, Sponsoren und ehrenamtlichen Helfer, er weiß um die Chancen und Probleme und ist sich auch bewusst, dass ein Verein wie Verl natürliche Grenzen hat. Ähnlich demütig wie etwa die SG Sonnenhof Großaspach, für die in ähnlichem Umfeld jedes weitere Drittliga-Jahr bis heute ein riesiger Erfolg war, würde man auch in Ostwestfalen die Mission 3. Liga angehen.

Ein Blick auf die Mannschaft zeigt, dass Verl eine klare Strategie verfolgt. So entstammen mehrere Stammspieler wie beispielsweise Robin Brüseke, Jan Schöppner und der drittliga-erfahrene Patrick Choroba (2018/19 in Großaspach) aus der eigenen Jugend, weitere Talente drängen als Ersatzspieler auf ihre Chance. Bei externen Transfers wagt man sich gleichwohl weiter aus dem Fenster als früher: Für Aygün Yildirim, nach erfolgreicher Leihe verpflichtet von den Sportfreunden Lotte, als auch Routinier Zlatko Janjic mit viel Zweit- und Drittligaerfahrung, öffnete der solide wirtschaftende Regionalligist sein Portemonnaie etwas tiefer. Mit 13 (Yildirim) respektive 15 Treffern zahlt das Duo den Aufwand bislang eindrucksvoll zurück. Darüber hinaus sucht und findet Verl regelmäßig Talente, die teils anderswo durchs Raster gefallen sind: Frederik Lach, bei Hansa Rostock rasch aussortiert, ist Defensiv-Ruhepol. Ron Schallenberg, ausgeliehen vom SC Paderborn, erfüllt fast alle denkbaren Rollen im defensiven Mittelfeld und soll um nahezu jeden Preis dauerhaft an den Verein gebunden werden. 

Aufstieg am Grünen Tisch?

Auf seinen Klub und die Folgen der Corona-Krise angesprochen, gibt Bertels zu, hin und wieder mit dem Schicksal zu hadern. Für ihn, der gleichwohl stets betont, dass jegliche Priorität derzeit auf dem bestmöglichen gesundheitlichen Schutz aller Menschen liege, kam die Pandemie zur Unzeit. Verl haftete ein Jahrzehnt lang das Image als graue Maus der Regionalliga an: In elf aufeinanderfolgenden Spielzeiten war der SCV nie besser als Platz 7, nie schlechter als Platz 13. Jetzt hat Verl mit fantastischen 53 Punkten aus 22 Spielen auf dem zweiten Rang geankert, Tabellenführer Rödinghausen ist bei der Aufstiegsfrage nur noch Statist.

Erster Verfolger ist Rot-Weiss Essen, das 2008 genau wie Verl den Sprung aus der damaligen Regionalliga Nord in die neugegründete eingleisige 3. Liga verpasste und seitdem in Amateurligen versackt ist. Essen hat zwei Punkte weniger, aber auch zwei Spiele mehr absolviert. Rot-Weiß Oberhausen hat als Vierter ebenfalls noch theoretische Chancen. Ein Saisonabbruch inklusive Annullierung der Saison? Für die Überraschungsmannschaft von der Poststraße wäre das ein Worst Case. Schließlich wäre der SCV bei einem Aufstieg erstmals in seiner 95-jährigen Vereinsgeschichte im Profifußball vertreten. Möglicherweise steigt Verl im Falle eines Abbruchs am Grünen Tisch auf.

Zwei Stadion-Optionen

Mit einem Zuschauerausschluss für die restlichen Spieltage könnte Verl besser leben – denn groß sind die Einnahmen aus dem Kartenverkauf nicht. Der attraktive Fußball, den Trainer Guerino Capretti als Ergebnis seiner dreijährigen Arbeit nun präsentieren kann, wird in Verl bislang nur mäßig goutiert. 1.062 Besucher kommen zu den Heimspielen, zumindest die "Pokalkracher" waren stets ausverkauft. Für die 3. Liga benötigt der SCV allerdings ein größeres Stadion als die nur 5.153 Plätze fassende Sportclub-Arena – ähnlich wie in Altglienicke, Saarbrücken und bei Türkgücü München ist die Frage nach der Spielstätte eine entscheidende für die Drittliga-Zulassung.

Doch Verl wird eine Lösung präsentieren: Entweder durch die zeitweise Modernisierung des zehn Kilometer entfernten Heidewaldstadions von Rivale FC Gütersloh. Oder aber durch einen provisorischen Ausbau der heimischen Arena auf die erforderlichen 10.000 Plätze, der aber mindestens bis Herbst 2020 dauern würde. Je nachdem, wie lange der Start der neuen Spielzeit durch das Coronavirus verzögert wird, könnte Verl durch die neugewonnene Zeit in dieser Hinsicht sogar vom Virus profitieren. Ein zwischenzeitlicher Umzug nach Bielefeld oder Paderborn scheint dagegen vom Tisch.

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