Aufstiegskandidaten: Türkgücü München vor dem Durchmarsch

Solange die 3. Liga und der Amateurfußball pausieren, sind auch alle Aufstiegs-Entscheidungen in der Regionalliga vorläufig vertagt. liga3-online.de stellt die Drittliga-Aufstiegskandidaten genauer vor. Heute: Türkgücü München.

Vorgängerverein war schon drittklassig

Türkgücü München zu Gast beim 1. FC Kaiserslautern – was vor zehn Jahren noch ein Traum von Fans des "Fußball Manager" war, wird womöglich schon in der kommenden Spielzeit zur Realität: Der einst von türkischen Migranten gegründete Verein ist als Aufsteiger in die Regionalliga Bayern kaum mehr vom Durchmarsch-Triple abzuhalten: Mit 54 Punkten aus 23 Spielen hat Türkgücü die Konkurrenz aus Schweinfurt und Bayreuth deutlich distanziert – satte neun Punkte beträgt der Vorsprung. Und das, obwohl die Münchner um den erfahrenen Trainer Reiner Maurer in diesem Jahr erst ein Spiel absolviert haben: In der Regionalliga Bayern endete die traditionell lange Winterpause erst Anfang März, Türkgücü startete mit einem 1:1 bei der zweiten Mannschaft des FC Augsburg ins Jahr 2020. Dann kam Corona. Seit einem Monat ist an einen Spiel- und Trainingsbetrieb nicht zu denken.

Der Blick in die Historie ist gar nicht so leicht: Die Geschichte von Türkgücü reicht zunächst bis ins Jahr 1975 zurück. Damals allerdings firmierte das Team noch unter dem Namen "SV Türk Gücü", schaffte es zwischen 1988 und 1996 sogar zweimal in die damals drittklassige Bayernliga, forderte dort vor Rekordkulissen von 12.000 Zuschauern unter anderem den abgestürzten großen Rivalen TSV 1860 München. Dann sprang ein Geldgeber ab und Türk Gücü ging selbst das Geld aus. 2001 folgte der Neuanfang als "Türkischer SV München", doch der sportliche Niedergang führte den TSV bis in die Kreisliga. Erst nach der Fusion mit dem SV Ataspor im Jahr 2009 stieg der nun "SV Türkgücü-Ataspor München" genannte Klub wieder empor. 2018 ging es hoch in die fünftklassige Bayernliga, 2019 in die Regionalliga. Das Ziel für 2020 ist klar.

Kein eigenes Stadion

Türkische Spieler finden Neugierige bei Türkgücü überraschenderweise nur wenige. Nur drei der 25 gelisteten Spieler, die sich die Münchner laut "Spiegel"-Informationen aktuell etwa 1,7 Millionen Euro kosten lassen sollen, haben keine deutsche Staatsbürgerschaft. Darunter ist in Patrick Hasenhüttl auch ein Österreicher. Unter jenen Fußballern mit türkischem Pass ist Ex-Bundesligaspieler Sercan Sararer – er ist wohl der Prominenteste im Aufgebot. Aber auch Benedikt Kirsch, Fabio Leutenecker, Furkan Zorba und Marco Holz kennen sich in der 3. Liga aus.

Wie bei fast allen potenziellen Aufsteigern fehlt Türkgücü München, das mit seinen bislang 461 Zuschauern pro Spiel trotz des möglichen Dreifach-Aufstiegs auf eher begrenztes Interesse der fußballerisch umkämpften Millionenstadt stößt, ein drittliga-taugliches Stadion. Genauer gesagt: Dem Verein fehlt eine eigene Spielstätte. Ab dieser Rückrunde – das bislang letzte Heimspiel trug Türkgücü noch im 15 Kilometer entfernten Heimstetten und bereits vor viereinhalb (!) Monaten aus – sollte er eigentlich als dritter Mieter im Städtischen Stadion an der Grünwalder Straße auflaufen. Vorerst hat sich das wegen Corona erledigt, langfristig aber bleibt das Problem: 1860, der FC Bayern II und Türkgücü können sich in der 3. Liga kein Stadion teilen. Die Chancen des potenziellen Aufsteigers stehen aber gut, sich im 1860-“Wohnzimmer“ einnisten zu können: Die Bayern-Amateure besitzen mit der Allianz Arena eine Ausweichoption. Die andere Option ist ein Ausbau des FCB-Jugendstadions.

Türkgücü gegen die pauschalen Urteile

Fraglos muss Türkgücü München bei eingefleischten Fußballfans zunächst eine gewisse Barriere durchbrechen. Der erste Reflex ist meist ein Schmunzeln. Aus dem Namen wird ein erstes, pauschales Urteil abgeleitet: Türkgücü. Das klingt in den Ohren des geneigten Fußballinteressierten nach tiefster Kreisliga, einem staubtrockenen Ascheplatz und vielen Reibereien mit Gegnern und Schiedsrichtern. Unabhängig davon, dass sich diese Vorurteile meistens in Luft auflösen, liefert die Münchner Variante der "Türkischen Macht" – so die Übersetzung – nun ein beeindruckendes Gegenspiel. Die erste Mannschaft ist seit Juli 2019 sogar schon ausgegliedert, dort kickt nun die "Türkgücü München Fußball GmbH". In Sachen Professionalität muss sich der Regionalliga-Erste nicht verstecken.

In Deutschland stößt Türkgücü in eine Nische. Drei Millionen türkischstämmige Menschen leben in diesem Land, und jene, die es mit dem Fußball ihrer Heimatrepublik halten, tragen Gelb-Rot für Galatasaray, sie tragen Gelb-Blau für Fenerbahce oder Schwarz-Weiß für Besiktas. Die Vereine der türkischen Hauptstadt Istanbul, zu denen mit Basaksehir ein vierter internationalen Formats zählt, sind die Aushängeschilder des 82-Millionen-Einwohner-Landes. In Deutschland gibt es die zahllosen Amateurteams, in denen die türkischen Gemeinschaften selbst vor den Ball treten. Doch einen Profiverein? Türkgücü München will der türkischen Gemeinschaft in Deutschland einen Traum erfüllen. Im Hinterkopf auch mit der Hoffnung, zu den Gastspielen von Rostock bis Köln dort  lebende türkische Fans in die Stadien zu locken, um "ihren" Fußballklub anzufeuern.

Unruhe hinter den Kulissen

Hasan Kivran ist als Vorstandsvorsitzender der starke Mann bei Türkgücü. Als Geschäftsführer eines Leasing-Unternehmens hat er den wirtschaftlichen Hintergrund, seine Entscheidungen fällt Kivran aber offensichtlich mit harter Hand. So läuft die Planung für die 3. Liga bereits mit kräftigem personellem Verschleiß. So wurde der Vertrag mit Robert Hettich als sportlich Verantwortlichem Ende Februar plötzlich aufgelöst. Ex-Drittligaspieler Mario Erb erhielt zudem die fristlose Kündigung, nachdem er vorzeitig aus dem Wintertrainingslager abgereist war, weil seine Frau ein Kind erwartete. Wenige Wochen später nahm der Klub die Kündigung, nachdem er viel Kritik für sein Vorgehen einstecken musste, zurück – ein Beigeschmack blieb. "Personalpolitik mit der Brechstange" nennt dies der Münchner Merkur, laut dem auch Trainer Maurer im Sommer durch einen neuen Coach ersetzt werden soll. Die Ambitionen scheinen groß, das Potenzial zu Negativschlagzeilen ebenso. Es ist davon auszugehen, dass der Klub nach einem Aufstieg in die 3. Liga kräftig investieren wird.

 

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