BVB II oder Essen? Wer macht das Rennen in der Regionalliga West?
90 Punkte für Borussia Dortmunds Reserve, 87 für Traditionsklub Rot-Weiss Essen: Die längste Spielzeit der Regionalliga West wird wohl auch als hochklassigste im Aufstiegskampf in die Historie eingehen. Vor dem letzten Spieltag am Samstag liegt der BVB in sehr guter Position, um nach sechs Jahren in die 3. Liga zurückzukehren. Aber auch RWE hat noch eine kleine Chance.
BVB fehlt nur noch ein Punkt
Erleichtert lagen sich die jungen Talente des BVB am Mittwochabend in den Armen. Die Pflichtaufgabe gegen das Schlusslicht Bergisch Gladbach war gelöst, ein verdienter 3:1-Sieg – der ganz nebenbei auch den Abstieg des Kontrahenten besiegelte – auf der letzten konditionellen Rille eingefahren. Einen Blick auf die Blitztabelle an diesem herrlich lauen Sommerabend im Stadion Rote Erde gönnte sich mancher der 500 zugelassenen Besucher in Verbindung mit einem Kaltgetränk. Drei Punkte und drei Tore Vorsprung vor dem 42. und letzten Spieltag dieser nicht enden wollenden, zuletzt auch noch von einer Teamquarantäne empfindlich gestörten Spielzeit, dann wäre dieser Marathon geschafft, dann wäre Gegner Rot-Weiss Essen endgültig und unwiderruflich distanziert. Und die höchst spannende Personalie des Erfolgstrainers Enrico Maaßen, im Vorjahr bereits ungekrönter Meister mit dem nicht aufstiegswilligen SV Rödinghausen, dürfte sich erstmalig im Profifußball beweisen.
Drei Tage vor dem finalen Showdown verspricht die letzte Episode damit nicht mehr den ganz großen Kitzel, zumindest nicht auf den ersten Blick. Selbst wenn Rot-Weiss Essen die eigene, vermeintlich leichte Prüfung beim FC Wegberg-Beeck löst, bräuchte der BVB beim Wuppertaler SV – just dort gelang im Jahr 2012 auch der bislang letzte Aufstieg in die 3. Liga – nur einen Punkt. Essen muss also auf einen Patzer des BVB hoffen, sein Spiel gewinnen und zeitgleich drei Tore aufholen. Möglich ist auch eine zwar unwahrscheinliche, aber theoretisch denkbare Konstellation: Denn gewinnt Essen mit 4:3 und verliert Dortmund mit 0:1, so stünden die Rivalen beide bei 90 Zählern, beide bei 92:31 Toren – und die direkten Duelle endeten jeweils im 1:1-Remis. Möge sich der Westdeutsche Fußballverband auch für dieses verrückte Szenario vorbereiten. Einen Aufsteiger muss es schließlich geben.
Finanziell schon längst auf Drittliga-Niveau
Am Samstag endet damit das Rennen zweier absolut würdiger Schwergewichte, die sich auch von ihrem ärgsten Verfolger und langjährigem Drittligisten Preußen Münster nicht bange machen ließen: Trotz des Münsteraner Zwei-Punkte-Schnitts über 39 Spieltage und einer starken Rückrunde mit lediglich einer Niederlage schafften es die Adlerträger nie, sich dem Spitzenduo entscheidend zu nähern. Anhand finanzieller Eckdaten ist unterdessen klar, dass die Platzierungen der beiden alles andere als Zufallsprodukte sind. Der bloße Spieleretat von Rot-Weiss Essen soll sich auf rund 3,5 Millionen Euro belaufen, und beim BVB II, bei dem die Ausgaben offiziell ein gut gehütetes Geheimnis sind, sogar noch ein gutes Stück höher liegen – beide könnten mit einem derart gefüllten Portemonnaie schon in dieser Saison vielen Drittligisten Konkurrenz machen.
Einer dieser für alle anderen Regionalligisten wohl unbezahlbaren Unterschiedsspieler ist Steffen Tigges. Der 22-jährige Stürmer schaffte bei seinem Heimatverein VfL Osnabrück den Durchbruch trotz etlicher Anläufe nicht, in Dortmund wurde er zum eiskalten Knipser mit 55 Torbeteiligungen in 59 Spielen seit seines Wechsels 2019. Die Belohnung gab es in Form von Bundesliga-, Pokal- und gar Champions-League-Einsätzen sowie einem gut dotierten Profivertrag. Auch Ansgar Knauff (19) hatte bereits seine Erstliga-Momente, andere warten auf ihre Nominierung. Dortmunds nie versiegende Talentquelle führt etliche Kicker zwangsläufig in die Reserve, die sich nun endlich – auf dem Plan stand das schon viel früher – in der 3. Liga etablieren soll.
Begehrte Plätze, belegt von Talentschmieden
Mancher wird sich lieber Rot-Weiss Essen wünschen. Gründe dafür gibt es einige: Essen nimmt seit vielen Jahren vergeblich Anlauf, nachdem RWE 2007 aus der 2. Bundesliga abgestiegen war und 2008 die Qualifikation für die neu gegründete 3. Liga verpasste. Der Ruhrpott-Klub birgt als Standort großes Potenzial, bringt etliche Fans mit und steht an der heimischen Hafenstraße für besondere, ehrliche Fußballatmosphäre. Wäre die BVB-Reserve ein schwacher Trost? Immerhin ist die Anhängerschaft der Schwarz-Gelben bekannt für ihre Treue zu den "Amateuren", regelmäßig gibt es bei den Heimspielen organisierten Support. Und im bislang letzten Drittliga-Jahr strömten pro Spiel fast 3.000 Zuschauer in das altehrwürdige, direkt ans große Westfalenstadion angeschlossene Stadion Rote Erde – mehr Fans mobilisiert in Deutschland keine andere Profi-Reserve. Für Liebhaber solch einzigartiger Spielstätten hätte die Auswärtsreise fraglos ihren Charme.
Umgekehrt bleibt der fade Beigeschmack eines Konkurrenten, der im sportlichen Wettbewerb nur teilweise mitmischt, und dem der SC Freiburg II am Wochenende folgen könnte. Etliche Viertligisten, ob Essen, Münster, Offenbach, Cottbus oder Jena, haben allen Anlass, kritisch auf die Zweitvertretungen zu schauen, die ihnen – teils unter großem Geldeinsatz – einen der begehrten 56 Plätze im Profifußball wegnehmen, nachdem sie zuvor nicht selten von genau diesen Klubs vielversprechende Talente ins hauseigene Erstliga-Nachwuchsleistungszentrum abgeworben haben. Bis zu vier von ihnen (2009/10), man erinnert sich kaum noch an diese Zeiten, waren bereits gleichzeitig in der 3. Liga unterwegs. Geschieht zwischen Wegberg-Beeck an der niederländischen Grenze und Wuppertal am Samstag keine mächtige Überraschung, so wird es trotz des Abstiegs des FC Bayern II in der Saison 2021/22 mindestens wieder eine Zweitvertretung in der 3. Liga geben.