Ziege im Interview: "Der Klassenerhalt wird schwer genug"
Den Zuschauern im Holstein-Stadion stockte der Atem: In Minute 59 rasseln Kiel-Keeper Kenneth Kronholm und Hachings Fabian Götze (Bruder von Weltmeister Mario) böse zusammen. Götze krümmt sich vor Schmerz – muss vom Platz getragen werden. Diagnose: Schlüsselbeinbruch. Sechs Wochen Pause, mindestens. Bitter für Haching: In der zweiten Halbzeit verletzte sich der andere Weltmeister-Bruder, Jonas Hummels, schwer am Knie. Kreuzbandriss, Saison voraussichtlich gelaufen. Schwere Zeiten für den Münchner Drittligisten: Das beachtliche Auftakt-Remis (0:0) bei starken Kielern wurde da zur Nebensache. Mit liga3-online.de hat Trainer Christian Ziege jetzt erstmals über den Verletzungs-Schock gesprochen. Außerdem hat er verraten, was seine Ziele mit der Spielvereinigung sind und was er von der Dritten Liga hält.
liga3-online.de Christian Ziege, die neue Saison hat für Sie mit einem 0:0-Auswärtsremis bei Holstein Kiel begonnen. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Christian Ziege: Mit dem Spiel meiner Mannschaft und auch dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden. Kiel hat sehr robust gespielt, intensiv in den Zweikämpfen gearbeitet und viele lange Bälle geschlagen. Solche Spiele werden uns in der Saison noch sehr oft blühen. Kiel spiegelt meiner Ansicht nach den Stil der Liga sehr gut wieder.
Ihre junge Mannschaft hat dagegen gehalten.
Stimmt. Vor allem in der zweiten Halbzeit haben wir unseren Fußball gespielt und hinten – bis auf eine Standardsituation – nichts zugelassen. Das Unentschieden geht für mich insgesamt in Ordnung. Ich bin sehr zufrieden, weil die Mannschaft gezeigt hat, was sie kann – trotz junger Jahre. Darauf können wir aufbauen.
Mit Jonas Hummels und Fabian Götze werden zwei wichtige Spieler lange ausfallen. Wie schwer treffen die Verletzungen das Team?
Das sind zwei Spieler, die mit ihrer Erfahrung sehr wichtig für die Mannschaft waren. Dass beide jetzt lange ausfallen trifft uns natürlich schwer. Nichtsdestotrotz: So etwas gehört zum Fußball dazu. Wir müssen jetzt junge Kerle reinwerfen – und ihnen Fehler zugestehen. Ich habe deswegen aber keine Angst. Eine solche Situation kann Spieler, die schnell ins kalte Wasser geworfen werden, unheimlich voran bringen.
Klingt, als würden Sie personell nicht nachrüsten.
Da haben wir keine Möglichkeiten. Wir können leider nicht mit Geld um uns werfen. Das konnten wir vor den Ausfällen schon nicht und daran hat sich jetzt auch nichts geändert. Wir mussten vor der Saison sogar Spieler abgeben – entweder weil sie den nächsten Karriereschritt gehen konnten oder weil sie anderswo mehr verdienen. Dementsprechend ist es schon schwierig, überhaupt Spieler hier zu halten. Aber: Wir haben die Möglichkeit, talentierte Spieler weiter voran zu bringen und ins kalte Wasser zu schmeißen.
Auch Sie waren in Ihrer Profikarriere oft verletzt. Wie können Sie Fabian Götze und Jonas Hummels jetzt mit Ihrer Erfahrung helfen?
Ich stehe in ständigem Kontakt zu beiden, wirklich viel tun kann ich aber momentan leider nicht. Zumindest bei Fabian (Götze, Anm. d. Red.) ist die Verletzung überschaubar. Es wird zwar dauern, bis wir wieder voll auf ihn bauen können – aber eine Heilungsdauer von sechs bis acht Wochen ist wahrscheinlich.
Bei Jonas Hummels ist das anders.
Ich weiß, wie so etwas ist – bin selber 13 Monate am Stück ausgefallen und musste meine Karriere wegen einer Verletzung beenden. Das einzige Positive, was ich zu so einer Verletzung sagen kann, ist dass es immer wieder Spieler gab, die nach zwei Kreuzbandrissen zurück gekommen sind.
Jonas Hummels hat schon vor der Saison überlegt, seine Karriere zu beenden – wollte ein Studium an der Deutschen Sporthochschule beginnen. Trauen Sie ihm zu, dass er noch mal zurückkommt?
Jonas ist unglaublich klar im Kopf und kann mit dieser Situation gut umgehen. Ich glaube, seine Entscheidung hängt vom Heilungsverlauf und den Voraussetzungen im Verein ab. Ich kann nur sagen, dass er sehr an Unterhaching hängt. Er ist schon viele Jahre hier und kommt auch aus dem Umkreis. Es gibt auf jeden Fall die Möglichkeit für ihn, weiter zu machen. Wenn er nach seiner Verletzungspause zurück ist, werden wir ihn voll unterstützen. Ich persönlich kann mir sehr gut vorstellen, dass er noch in diesem Jahr zurückkommt.
Unterhaching muss jedes Jahr Leistungsträger abgegeben. Nervt Sie das?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe drei Jahre beim Deutschen-Fußball-Bund gearbeitet. Da haben sich die Möglichkeiten auch ständig verändert. Egal ob Vereine ihre Akteure nicht abstellen wollten oder Spieler zu alt für die jeweilige Auswahlmannschaft werden. Ich hatte da immer einen Kern, mit dem ich gearbeitet habe. Außenrum habe ich immer wieder neu strukturiert. Ich kenne das und habe deswegen überhaupt kein Problem. Im Gegenteil: Man nutzt sich selbst nicht so sehr ab, wenn immer wieder etwas Neues kommt. Es ist für uns immer eine Herausforderung, die Liga zu halten und jungen Spielern eine Plattform zu bieten, auf der sie sich für Höheres empfehlen können.
Präsident Manfred Schwabl hat kürzlich gesagt, dass er mittelfristig zurück in die 2. Bundesliga möchte.
Wir müssen mit den gegebenen Möglichkeiten arbeiten und uns auf die aktuelle Situation einstellen. Als kleiner Verein müssen wir schauen, dass wir die Liga halten. Trotzdem wollen wir langfristig auch oben angreifen. Ich kann aber jetzt noch nicht überschauen, wann das so weit sein wird. Wir wollen auf jeden Fall immer wieder Schritte machen. Aber: Das dauert seine Zeit und wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Klar ist aber: Viele schauen auf Unterhaching. Das ist eine Riesenchance – für uns als Verantwortliche, aber vor allem für die Spieler. Dafür müssen wir arbeiten!
Sie sind dafür bekannt, gut mit jungen Spielern zu können. Welchen Einfluss hatten Sie bei den Transfers?
Das ist ganz unterschiedlich. Bei Simon Kranitz habe ich nachgefragt. Ich kenne ihn vom DFB. Andere Spieler geht Manni Schwabl selber an. Das Verhältnis zwischen Manni Schwabl und mir ist so gut, dass wir über jeden Transfer sprechen. Wir sitzen oft lange zusammen und diskutieren über unsere Arbeit. Egal ob spät am Abend oder früh morgens. Das ist wichtig und ich bin davon überzeugt, dass wir mit unserem System langfristig Erfolg haben werden.
Ist die gute Atmosphäre der Grund, warum jemand wie Sie in der Fußball-Provinz arbeitet?
Ich bin hier zu Hause. Meine Familie kommt aus München und wir fühlen uns hier sauwohl. Mein Sohn spielt bei der Spielvereinigung. Aber: Mir geht es um die Sache. Man kann hier im Verein unglaublich viel entwickeln und etwas Geiles voranbringen. Dieses Projekt ist spannend. Es macht einfach richtig Spaß, Dinge auf den Weg zu bringen. Das Arbeiten hier ist mir lieber als eines bei einem Verein, der seit Jahren dasselbe macht und aus seinen Strukturen nicht rauskommt.
Mit Florian Heller, Francisco Copado und Christian Wörns haben Sie drei Co-Trainer. Ist schon klar, wie die Aufgabenverteilung aussehen wird?
Alle drei haben zur Tätigkeit als Co-Trainer noch andere Aufgaben. Florian Heller und Francisco Copado trainieren die U17, Christian Wörns die U16. Es natürlich Überschneidungen – gerade am Wochenende, wenn alle Mannschaften gleichzeitig spielen. Die drei werden so oft es geht bei den Profis dabei sein, aber nicht immer. Wir sind untereinander gut vernetzt, verstehen uns gut und können voneinander profitieren.
Köpke, Hummels, Götze, Ziege, Wörns, Schwabl. Bei der Spielvereinigung tummeln sich große Namen. Stört Sie der Rummel um den Promi-Faktor?
(lacht) Mir persönlich ist das total egal. Ich bin kein Mensch, der Namen hinterher rennt oder irgendwelchen Promis. Ich selber konnte nur ein bisschen Fußball spielen – mehr nicht. Deswegen sehe ich mich selbst nicht als etwas Besonderes. Diese Vergötterung, die da oft stattfindet, kann ich nicht verstehen. Ich weiß nämlich, dass ich völlig normal bin. Für Unterhaching ist die Situation aber eher positiv. Wir freuen uns darüber, dass die Leute sich für den Verein interessieren. Ist doch super, dass über uns geredet wird. Mir ist egal, ob das wegen unserem Fußball ist oder wegen den Leuten, die bei uns rumrennen.
Ihre Idee von Fußball ist, Situationen spielerisch zu lösen. Die Philosophie vieler anderer Vereine ist eine andere. Wie schätzen Sie die Liga ein?
Wir haben gegen Kiel schon gemerkt, wo die Reise hingeht. Unsere Leute wurden Mann gegen Mann gedeckt. Das spricht für die Gefährlichkeit, die wir ausstrahlen. Ich habe den Jungs gesagt, dass wir gegen körperlich robuste Mannschaften dagegen halten müssen. Alle Teams werden gegen Ende des Spiels müde und können ihr aggressives Spiel nicht mehr strikt durchziehen. Da müssen wir die richtige Mischung finden, um angreifen zu können. Mit unserer spielerischen Qualität können wir jedes Team in der Liga vor Probleme stellen. Klar ist aber: In der dritten Liga kann jeder jeden schlagen. Da ist alles unglaublich offen und unberechenbar.
In der Vergangenheit hat Unterhaching immer wieder starke Hinrunden gespielt – dann folgte der Absturz. Können Sie sich das erklären?
Nein, erklären kann ich mir das nicht. Ein möglicher Ansatz ist aber, dass der Kader oft sehr groß war. Teilweise gehörten 35 Spieler zur Drittligamannschaft. Am Anfang der Saison ist das noch kontrollierbar, später kristallisiert sich aber ein Kern an Spielern heraus, der regelmäßig spielt. Viele Spieler bleiben da auf der Strecke. Wenn viele Spieler in der Kabine nicht zufrieden sind, weil sie nicht spielen, kannst Du als Trainer erzählen, was Du willst: Das wird nicht funktionieren, spätestens in der Rückrunde gibt es da Probleme.
Ihr nächster Gegner ist der SV Wehen Wiesbaden. Was erwarten Sie?
Einen starken Gegner, gegen den wir uns aber letztes Jahr schon sehr gut verkauft haben. Wehen Wiesbaden hat eine Menge mitzureden, was die vorderen Plätze in der Tabelle angeht. Aber: In dieser Liga ist jeder Gegner schwierig. Wir werden sie analysieren und schauen, was dann dabei rauskommt.
Ihr Saisonziel lautet Klassenerhalt. Was muss passieren, dass Sie dieses Ziel nach oben korrigieren?
(lacht) Darüber will ich gar nicht nachdenken. Der Klassenerhalt wird schwer genug.
Wir werden Sie daran erinnern, Herr Ziege. Vielen Dank für das Interview und alles Gute für die Drittliga-Saison.
FOTO: SpVgg Unterhaching