Das Traditionsduell in Halle: Eine fragwürdige Rivalität

Der Hallesche FC gegen den FC Hansa Rostock. Ein Spiel zweier Traditionsclubs aus der ehemaligen DDR, deren Weg seit der Wende nicht hätte unterschiedlicher verlaufen können. Am morgigen Sonntag (14 Uhr, live im MDR und auf mdr.de) treffen die beiden zu einem Duell aufeinander, was nicht nur mit dem Geschehen auf dem Platz schon Wochen im Voraus für Gesprächsstoff sorgt. Wir von liga3-online.de wollten diesem besonderen Spiel Tribut zollen und haben in den vergangenen Tagen von allen Seiten und aus allen Augen auf die beiden Vereine geblickt. Die Geschichtsbücher wurden gewälzt, die Teams analysiert, die Fans befragt; es kam jeder zu Wort und konnte seine Sicht auf die Partie und den Gegenüber darstellen. Bevor wir euch in den Countdown zu großen Spiel morgen entlassen, gehen wir im dritten und letzten Teil unserer Vorschau heute auf die Beziehung der Fans zueinander ein.

„Wie soll nach 20 Jahren Rivalität entstehen?“

Nachdem mehrere Regionalmedien in den letzten Tagen vermehrt über den scheinbaren Derbycharakter des Spiels am Sonntag berichtet hatten, reagierten gerade ältere Fans in Halle und Rostock etwas verwundert. „Die haben doch seit über 20 Jahren nicht mehr gegeneinander gespielt, ich verstehe nicht, wie da Rivalität entstehen soll. Die Fans sollen sich freuen, dass die beiden Clubs trotz Abstiegen und Geldnot überhaupt nochmal gegeneinander antreten.“, empfahl ein Fan, der den HFC schon zu seiner Gründungszeit in den 60er Jahren begleitet hat. „Natürlich gab es auch zu Ostzeiten Gewalt, der Fußball war eine der wenigen Möglichkeiten aufzubegehren, aus dem strengen Korsett des Sozialismus auszubrechen. Aber was haben die jungen Leute denn heute noch zu rebellieren? Die sind freier, als wir es uns jemals erträumen konnten im Osten.“.

Verkehrsbehinderungen am Spieltag

In den letzten Tagen hatten sich in verschiedenen Fanforen beider Vereine regelrechte „Märchenrunden“ gebildet, in denen ältere Fans den jungen von den alten Zeiten erzählten. Schon damals seien beide Fangruppen in Aufeinandertreffen recht rabiat miteinander umgegangen. Und auch, wenn diese Aufeinandertreffen tatsächlich über 20 Jahre zurückliegen, und damit älter sind als viele der jungen Fans, die am Sonntag auf ihren selbsternannten „Hassgegner“ treffen, hat die Polizei in Halle höchste Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Auf der Merseburger Straße, rund um den Hauptbahnhof, an dem rund 900 Fans des FC Hansa mit dem Sonderzug erwartet werden, und das Stadion wird es zu Park- und Passiereinschränkungen kommen, Polizeiverstärkung wird auch von außerhalb Halles erwartet. Etwa 2400 Plätze des ERDGAS-Sportparks bleiben Sonntag als Pufferzone leer, weil ein Internetanbieter zum Vorverkaufsstart unmittelbar am Gästeblock gelegene Plätze frei an Rostocker Fans verkauft hatte. Einer Vermischung von Hallensern und Rostockern soll unbedingt vorgebeugt werden.

Halle sagt „NEIN zum FCH“

Doch woher kommt diese überraschende Abneigung zweier Vereine, die seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten? Der Beginn liegt für viele im Mai 2012. Als eine Welle von Solidarität für den nahezu zahlungsunfähigen FC Hansa durch Deutschland schwappte, verabredeten sich auch in Halle etwa 30 Fans der Kogge, um für die Aktion „JA zum FCH“ ein gemeinsames Foto vor dem Landesmuseum für Vorgeschichte zu machen. Der Initiator, ein Schüler aus der Saalestadt, hatte sich, anders als die Berliner (Fernsehturm) oder Leipziger (Völkerschlachtdenkmal) Pendants bewusst für diesen recht neutralen Ort entschieden, um keinen inszenierten Machtkampf ála „Hier regiert der F.C.H.“ zu suggerieren. Das schien einigen HFC-Fans, die eindeutig der Ultraszene zugeordnet werden konnten, nicht auszureichen, sie überfielen die Rostocker, zerstörten deren Autos und stahlen Schals und andere Fanutensilien. Ein Überfall der, weil er ausschließlich gegen Familien, Studenten und ältere Hansafans, aber keinesfalls Szenemitglieder gerichtet, auch in den eigenen Reihen kontrovers diskutiert wurde. Auch heute ist dieses Thema aktuell, allerdings waren sich die von uns befragten Fans beider Clubs einig, dass dieser Überfall indiskutabel war. „Diese Aktion fand ich nicht angebracht und sogar etwas hinterhältig. Man sollte sich keinesfalls damit rühmen, Fans überfallen zu haben, die friedlich für ihren Verein demonstrieren wollten.“, erklärte ein Mitglied der aktiven Fanszene des HFC. Ein in Halle studierender Fan des FC Hansa berichtete: „Ich hatte, als ich nach Halle gekommen  bin, keine besonderen Sympathien oder Antipathien gegen den HFC, schaue zwar, wie sie gespielt haben am Wochenende, aber eine Aktion wie im Mai brennt sich natürlich schon ins Gedächtnis. Seit dem sind zumindest die Fans unten durch bei mir.“. Am deutlichsten zeigte ein Hallenser Fan des FC Hansa seine Enttäuschung, wenige Minuten nach dem Überfall ließ er seiner Wut freien Lauf: „Da lebst du seit 21 Jahren in dieser Stadt, konntest als Kind im Sportunterricht ohne Probleme im Hansatrikot mitturnen, während die anderen eben den HFC mochten, gehst mehrfach im Jahr ins Stadion in Halle um mitzufiebern, mitzusingen und den HFC zu unterstützen und dann wirst du angegriffen, wenn du einmal öffentlich zu deinem Verein halten willst.“.

„Endlich mal was los hier!“

Ein weiteres unplanmäßiges Zusammentreffen fand zu Beginn der Saison in Würzburg statt, als etwa neun reisende Rostocker auf rund einhundert Hallenser trafen und erheblich verletzt wurden. Die Reaktion der Rostocker ließ wenige Monate später nicht auf sich warten, als Berliner Fans der Kogge beim Auswärtsspiel des HFC in Babelsberg eine Fahne ergatterten und zerrissen. Was wie Zickenkrieg anmutet, war tatsächlich ein ernstzunehmender weiterer Grund, das Spiel am Sonntag zum Hochsicherheitsspiel zu deklarieren, ist die jeweilige Flagge der Fangruppen schließlich ein Heiligtum, was es zu verteidigen gilt. Auch das Internet hilft seit jeher fleißig mit, eine Rivalität zu kreieren, die es eigentlich gar nicht geben müsste. So produzierten Hallenser Fans vor dem Hinspiel in Rostock nicht nur martialische Sticker, sondern auch ein Video, was gefährlich wirken sollte, in Rostock aber eher für Gelächter sorgte. Allgemein mutet es so an, als wäre den Fans des HFC eine Rivalität erheblich wichtiger als den Fans des FC Hansa. Nach Jahren von Pflichtspielen in Halberstadt und Meuselwitz schielen die Hallenser gierig auf jeden Traditionsverein, der sich in der Saalestadt blicken lässt. Als die Frankfurter Eintracht 2011 zum Pokalspiel anreiste, war die ganze Stadt in hellem Aufruhr, weil die Hallenser Fanszene überall Flyer und Sticker mit aggressivem Unterton verteilte. „Endlich mal was los hier!“ schien man sich zu denken.

Reisefreude und Chaoten

Für die Rostocker gab es nach zehn Jahren Bundesliga nur noch Abstiege. Konnte man sich seinerzeit sportlich mit den Bayern, Dortmund und dem HSV messen, so mussten in der Einöde der 2. Liga neue „Highlights“ her. Die Rivalität zum FC St. Pauli wurde aufgefrischt und das Bild der ehemaligen Fußballgröße in Deutschland wich dem trotzigen Image des „unangenehmen Gastes“, weil sich die legendäre Reisefreude des Rostocker Publikums mit einigen Chaoten mischte, denen die Geschehnisse auf dem Feld zu langweilig waren und die deswegen lieber das Georg-Melches-Stadion in Essen entflammten oder den Bahnhof in Stendal umgestalteten. Die Boulevardmedien nahmen diese Geschehnisse gerne als Grundlage für das Bild des „gewalttätigen Rostocker Hooligans“, welches nun wieder die Hallenser dankend als Vorbild und Maßstab nahmen, ungeachtet dessen, dass seit Jahren die Mehrheit der Ultras, Fans und Offiziellen des FC Hansa gegen dieses Image kämpfen. Und so warten fast alle am Sonntag neben dem Sport und dem, was sich Fans beider Vereine womöglich als Choreographie für dieses besondere, traditionsreiche Spiel ausgedacht haben, auf das, was davor und danach geschehen wird. Zur Enttäuschung von HFC-Trainer Sven Köhler: „Der Fußball sicherlich die einfachste Möglichkeit um mal zu rebellieren, aber natürlich würde ich mir wünschen, dass man solch ein tolles sportliches Ereignis ohne diese erhöhten Sicherheitsmaßnahmen erleben könnte.“.

Insgesamt muss man sich im Jahr 2013 wohl davon entfernen, oberhalb der Regionalligen ein solches Traditionsduell ohne erhöhten Polizeieinsatz genießen zu können. Zu groß scheint vor allem die Lust einiger Hallenser darauf, sich mit den „berüchtigten“ Rostockern messen zu können, die ihrerseits zum größten Teil gar kein Interesse daran haben, und vor allem ihr Team im Stadion lautstark unterstützen wollen. Doch auch auf Seiten der Fans des HFC erhoffen sich so manche ein friedliches Spiel. Für die Mehrheit im Stadion ist der sportliche Aspekt vor diesem Duell viel zu spannend, wenn der zuletzt lange sieglose FC Hansa bei der „Mannschaft der Stunde“ in Halle gastiert, als dass man sich auf fadenscheinig begründete Pseudorivalitäten stürzen müsste.

FOTO: halle-sport.de

   

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