Die besten Spiele der Saison: Platz 1

Exakt 400 Spiele – der DFB-Pokal mit Drittliga-Beteiligung und die Relegation zur 2. Bundesliga eingerechnet – liegen hinter uns. Zugegeben: Nicht jedes davon war ein Hingucker. Die 20, die es in unsere Liste der besten Spiele der Saison geschafft haben, aber definitiv! Heute: Platz 1.

Los löste keine Freude aus

Die "Freude" über das Pokallos konnte mithilfe Rüdiger Ziehls Mimik an jenem ersten Oktobertag für die Ewigkeit festgehalten werden. Wie ein Auto schaute der 46-Jährige drein, das Lächeln, das sich anschließend formte, war ein gequältes. Der 1. FC Saarbrücken hatte als Zweitrundenlos den großen FC Bayern München gezogen, seines Zeichens nationaler Rekordsieger in allen gängigen Austragungsformaten und in der 1. Runde noch mit einem lockeren 4:0-Sieg bei Saarbrückens Ligarivalen Preußen Münster weitergezogen. Auch in Westfalen war die Euphorie zuvor verhalten gewesen. So ist das heutzutage wohl, wenn der etwas ambitionierte "Pokal-David" das Los aus dem Topf zugewiesen bekommt, das eine lukrative Erfolgsgeschichte im K.o.-Wettbewerb zu 99 Prozent verhindert. Doch was haben wir gelernt? 99 Prozent sind ungleich 100. Und der Fußball ist hin und wieder dazu da, um ungeplante Sensationen zu liefern.

Viereinhalb Wochen später, nun schreiben wir den ersten Novembertag. Schon weit vor der Anstoßzeit um 20.45 Uhr sind die Plätze im Ludwigspark fast alle belegt, "nur" 15.903 Fans dürfen dabei sein – laut Klubangaben hätten es über 100.000 Zuschauer sein können, die Schwarzmarkt-Preise bewegten sich zwischen 300 Euro für einen Stehplatz und 2.500 Euro für eine VIP-Karte. Um sich Chancen auf die begehrten Karten zu sichern, wurden etliche Interessenten zu Klubmitgliedern, mancher trat dann direkt wieder aus, als der FCS die erhoffte Ticketgarantie nicht ausstellen konnte. Und all das, um nur das nächste erwartbare Pokal-Ausscheiden eines Underdogs gegen die großen Bayern zu erleben? Der hatte unter Anleitung von Trainer Thomas Tuchel Kräftesparen als oberste Devise ausgegeben und mit Frans Krätzig und Bouna Sarr auch Akteure aus der zweiten Reihe nominiert. Topstar Harry Kane saß über 90 Minuten auf der Bank, zu groß war das Risiko, dass sich eine leichte Verhärtung im Oberschenkel in Schwerwiegenderes entwickeln würde.

FCS-Bollwerk lässt die Bayern lange verzweifeln

Gerade die im Vorjahr so zuverlässige Defensive hatte beim FCS in dieser Saison bis dato nicht wie erwünscht dichtgehalten. Ziehl setzte nun auf die volle Ladung Erfahrung – und sah mit positivem Erstaunen, wie gut der Plan mit Spielern wie Marcel Gaus, Boné Uaferro und Kapitän Manuel Zeitz aufging. Den Bayern gelang in der Startphase nicht viel, aber sie waren kaltschnäuzig: Thomas Müller traf aus der Distanz perfekt ins Eck, nach 16 Minuten drohte der Stecker gezogen zu werden. Doch das Momentum blieb nicht lange beim FCB, Augenblicke später riss sich Star-Verteidiger Matthijs de Ligt das Innenband an – die ohnehin personell gebeutelte Abwehr der Münchner wurde weiter geschwächt. Doch der nächste Tiefschlag ließ aus Sicht des Favoriten nicht lange auf sich warten: Kurz vor der Pause vertändelten die Roten den Ball leichtfertig im eigenen Spielaufbau. Über Lukas Boeder, Simon Stehle, nochmals Boeder und schließlich Patrick Sontheimer lief der Ludwigspark so richtig heiß. 1:1 nach 45 Minuten! Und das war nicht unverdient.

Das Geschehen nach dem Seitenwechsel war zuverlässig zu prognostizieren: Die Gäste von der Isar drängelten und drückten, Tuchel erlöste Namen wie Coman, Gnabry und Musiala von der Rolle als Bankwärmer – auch weil ihre Qualität gegen diesen tapferen Drittligisten nötig wurde. Mitte der zweiten Halbzeit spannte sich mehr und mehr ein imaginäres Sauerstoffzelt über die Arena, denn der unglaubliche Laufaufwand der Blau-Schwarzen führte zu Erschöpfungsanzeichen. Je länger das 1:1 hielt, desto klarer schien ebenso: Eine nochmals 30-minütige Verlängerung würde der 1. FC Saarbrücken auch mit zahlreichen Spielerwechseln kaum noch durchstehen, die Mannschaft war platt. Torwart Tim Schreiber wuchs in dieser Phase schon ein ums andere Mal über sich hinaus: Der 21-Jährige parierte mehrfach, bevorzugt gegen Kingsley Coman. Saarbrücken blieb im Rennen.

Ekstase in der Nachspielzeit

Es gab nur noch einen aussichtsreichen Weg zur Sensation, und als sich die minimale Chance darauf ergab, schlug der Underdog tatsächlich zu: In der sechsten von sechs Minuten Nachspielzeit trat der eingewechselte Tim Civeja einen letzten intensiven Laufweg auf den rechten Flügel an, schickte den Ball einmal quer durch den Strafraum. Wie hatte Linksverteidiger Marcel Gaus diesen Sprint nach fast 100 Minuten Spielzeit nochmals anziehen können? Er stand aber goldrichtig, seine linke Fußinnenseite schickte den Ball trocken ins untere rechte Eck – und vor ihm wussten plötzlich fünftausend Menschen auf der Osttribüne nicht mehr, wo oben und unten war.

Als ihn Saarbrückens Pressesprecher Peter Müller später einleitend fragte, wie "das Unmögliche doch noch wahr werden konnte", da hauchte Bayern-Coach Thomas Tuchel vor der eigentlichen Antwort ins Mikrofon: "Das ist Fußball." An einem Abend wie diesen ließ sich dazu nichts hinzufügen – und in der Nachbetrachtung einzig, dass die diesjährige Pokalgeschichte des 1. FC Saarbrücken mit dem folgenden Triumph über Eintracht Frankfurt und Borussia Mönchengladbach um zwei weitere beeindruckende Kapitel ergänzt wurde. Erst im Halbfinale war gegen den 1. FC Kaiserslautern Schluss.

 

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