Aufstiegskandidaten: Altglienicke, die unbekannte Seite von Berlin

Solange die 3. Liga und der Amateurfußball pausieren, sind auch alle Aufstiegs-Entscheidungen in der Regionalliga vorläufig vertagt. liga3-online.de stellt die Drittliga-Aufstiegskandidaten genauer vor. Heute: Die VSG Altglienicke – die unbekannte Seite von Berlin.

Altglienicke, wo liegt das überhaupt?

Altglienicke. Wo liegt das überhaupt? Man könnte Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg verdächtigen, doch tatsächlich gehört Altglienicke zu Berlin. Längst nicht so bekannt wie Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln oder Prenzlauer Berg liegt der Ortsteil etwas versteckt – dort, wohin sich kaum ein Berlin-Tourist verirren würde. Altglienicke gehört zu Ost-Berlin, es ist Teil des Bezirks Treptow-Köpenick und hat damit den Bundesligisten Union Berlin ganz in der Nähe. Die VSG, ausgeschrieben "Volkssport Gemeinschaft Altglienicke e.V.", definiert sich dabei als Breitensportverein mit mehr als 1.000 Mitgliedern. Einen Namen machte sich aber die Fußballabteilung: zunächst bekannt in Berlin, dann in der Umgebung, dann im ganzen Fußball-Osten. Und vielleicht bald sogar deutschlandweit?

Torsten Mattuschka mochte den Körper eines Spitzenathleten in den finalen Jahren seiner fast zwanzigjährigen Karriere verloren haben – wer konnte es ihm verübeln? Das Fußball-Gen aber konnte dem Mittelfeldspieler mit Veranlagungen eines typischen Straßenfußballers keiner nehmen. Seine Heimat ist Cottbus, zum zweiten Wohnsitz aber wurde der Berliner Osten: In einem Jahrzehnt bei Union Berlin wuchs "Tusche", wie sie ihn alle bloß nennen, nicht nur durch seine präzisen Freistöße zur Identifikationsfigur. Er sprach die Sprache der Fans, war für sie ein geerdeter Star, eine aussterbende Generation Fußballer. 2014 ging es zurück in die erste Heimat in der Lausitz, für die zweite Liga mochte die Fitness allmählich knapp werden, für die 3. Liga reichte es noch. 2016 dann klang die Karriere endgültig aus: Mit fast 36 Jahren ging Mattuschka zur VSG Altglienicke in die Oberliga Nordost, schoss diese noch schnell zum Aufstieg. Vielleicht hätte er noch länger aktiv gespielt? Doch die Achillessehne machte nicht mit – als sie Anfang 2018 anriss, sollte das nach fast 500 Pflichtspielen das Ende der aktiven Karriere von Torsten Mattuschka bedeuten.

Überraschend, aber keine Sensation

In Altglienicke fühlt er sich dennoch wohl. Co-Trainer ist er dort mittlerweile, aktuell wie alle anderen Coaches abseits der Bundesligen (noch) beschäftigungslos. Er kickt mit seiner Tochter im Garten, kümmert sich um sein Eigenheim in Eichwalde, einem Örtchen kurz hinter der Berliner Stadtgrenze. "Es ist brutal für die Jungs", sagte er kürzlich der "Berliner Zeitung" über die Zwangspause. Ihnen werde das genommen, "was sie am besten können und was sie lieben: den Fußball." Er sowie Spieler Christopher Quiring – ehemals bei Union und Hansa Rostock – machen das beste aus der spielfreien Zeit und engagieren sich aktuell mit weiteren Teamkollegen bei einem Essens-Lieferdienst eines Sponsors, so berichtet es der "Berliner Kurier". Eine schöne Geste!

Sportlich lief für die VSG bis zur Corona-Pandemie vieles besser als erwartet. Spitzenreiter ist Altglienicke nach 23 Spieltagen, allerdings hat Verfolger Lok Leipzig punktgleich eine Partie weniger absolviert. Auch Energie Cottbus mischt munter mit im Aufstiegsrennen. Die mit 59 erzielten Toren beste Offensive hat ihren Ruf nicht von ungefähr: Mit Quiring, Patrick Breitkreuz, Tugay Uzan und Benjamin Förster tummelt sich jede Menge Drittliga-Erfahrung im Angriff – Uzan ist mit 15 Treffern Topscorer. Auch die Entwicklung des langjährigen Regionalliga-Spielers Christian Skoda scheint bemerkenswert: Als offensiver Mittelfeldspieler weist er 25 Torbeteiligungen auf, spielt die Saison seines Lebens. Die aufgezählten Namen, hinter deren Verpflichtungen der eine oder andere Euro steckt, lassen vermuten, dass Altglienickes Lauf sicher überraschend, aber keine Sensation ist – Feierabend-Fußballer, wie vielleicht bei manch anderem Viertligisten, sind hier eher nicht anzutreffen. Auch Trainer Karsten Heine kennt die 3. Liga aus Chemnitzer Zeiten.

Stadionfrage ist noch nicht geklärt

Sollte es in die 3. Liga gehen, bereitet nach wie vor die Stadionfrage Sorgen. Der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark im Berliner Mauerpark wird demnächst abgerissen, ein neues, barrierefreies Stadion für Fußballer und insbesondere Leichtathleten soll bis 2023 dort entstehen. Für Altglienicke, dessen bisheriger Sportplatz nicht einmal den Regionalliga-Anforderungen genügte, ergibt sich ein dickes Problem: Wo soll der Klub spielen? Eine Spielstätte mit 10.000 Plätzen braucht Altglienicke mindestens, ungeachtet der Tatsache, dass trotz der sportlichen Erfolgsgeschichte derzeit nur gut 400 Besucher pro Heimspiel erscheinen. Auch der perspektivische Bau einer Heimspielstätte für gut 3.000 Zuschauer für einen niedrigen siebenstelligen Eurobetrag hilft den Ost-Berlinern allenfalls in der Regionalliga.

Vor einigen Wochen wurden daher spektakuläre Überlegungen gemacht, ins 75.000 Zuschauer fassende Olympiastadion auszuweichen, womit die kleine VSG den von vielen Regionalligisten kritisierten DFB-Anforderungskatalog für die 3. Liga endgültig ad absurdum führen würde. Als würde eine Ameise ins Schloss einziehen: Aufwand und Ertrag stünden im krassest möglichen Missverhältnis, die Miete würde geringe Zuschauereinnahmen wohl um ein Vielfaches übersteigen. Entwickelt hat sich seitdem – wohl auch aufgrund des Coronavirus – nichts, schließlich wollen auch in der Nordost-Regionalliga noch elf Spieltage absolviert werden. Vielleicht muss Torsten Mattuschka nochmals einspringen, mit seinem Herzensverein Union und dessen Alter Försterei über eine für alle verträgliche Lösung verhandeln. Denn mehr drittliga-taugliche Spielstätten gibt es in Berlin nicht. Schade wäre es allemal, wenn ein weiterer kleiner, aber sportlich qualifizierter Viertligist nach dem SV Rödinghausen vor zu hohen infrastrukturellen Hürden einknicken muss.

   

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