Drittliga-Kandidaten #1: Cottbus will Drama vergessen machen
Am 24. Mai sowie drei Tage darauf zählt es: Ein letztes Mal spielen sechs Regionalligisten drei Aufsteiger in die 3. Liga aus, ehe die Regelung im Folgejahr angepasst wird. Mit dabei sind diverse große Namen, die viel Tradition und jede Menge Fans mitbringen. Den Start in unsere Serie macht der Club, der als erstes das Ticket für die Aufstiegsspiele einlöste: Energie Cottbus.
Die jüngere Vergangenheit
Was hat Energie Cottbus für bittere Tränen vergossen. Wohl jeder Drittliga-Fan wird sich an den Mai 2016 erinnern, als der damalige Energie-Präsident Wolfgang Neubert regungslos auf der Tribüne saß, erstarrt ob des unwirklichen Zwischenstands. Im Schicksalsspiel gegen Mainz 05 II hatte der FCE einen 0:1-Rückstand in den ersehnten 2:1-Vorsprung gedreht, der Klassenerhalt war zum Greifen nah. Dann patzte die Defensive, ein gewisser Fabian Kalig – heute Zweitliga-Spieler bei Erzgebirge Aue – machte das 2:2. Alles nach vorne, Mainz konterte, ein gewisser Marcel Costly – bald Zweitliga-Spieler beim 1. FC Magdeburg – besiegelte mit dem 3:2 den Abstieg der Lausitzer. Eine Welt brach zusammen.
Seitdem ist so viel geschehen. Energie Cottbus hat ein Jahr gebraucht, um sich zu sammeln, um den neuen Anlauf zu wagen. Als klarer Favorit auf den direkten Wiederaufstieg spielte die Mannschaft von Trainer Claus-Dieter Wollitz, der dem Club trotz Abstieg treu geblieben war, eine solide Saison – Carl Zeiss Jena war aber den Tacken besser und stieg auf. 2017/2018 aber führt kein Weg am FC Energie vorbei. Unfassbare 86 Punkte hat Cottbus aus den bisherigen 33 Spielen geholt, lange Zeit sah es zudem so aus, als könnten die Brandenburger ungeschlagen bleiben. Selten hatte es ein Verein mehr verdient, in die 3. Liga aufzusteigen.
Der Kader
76 Tore, 14 Gegentore. Die Bilanz der aktuellen Saison ist nicht nur beeindruckend, nein, vor ihr können sich Gegner fürchten. "Pele" Wollitz hat eine Mannschaft geformt, die in ihrer Liga dominant auftritt wie der FC Bayern. Die ihre Kontrahenten, wenn sie will, an die Wand spielen kann. Die aber auch geduldig auf die Lücke wartet und sich dabei immer auf die Defensive verlassen kann, die im Saisonverlauf viel zu selten ernsthaft gefordert wurde. Große Namen hat Cottbus in diesem Mannschaftsteil abseits des erfahrenen Marc Stein nicht im Aufgebot. Torhüter ist Eigengewächs Avdo Spahic, der fünfzehn Mal sein Tor blitzsauber hielt. Alle Achtung!
Brandgefährlich wird es ab dem Mittelfeld. Routinier Tim Kruse, mittlerweile 35 Jahre alt, hat sich auf der Sechs nochmal in die Stammelf gefuchst. Vor ihm agieren im Falle der Bestbesetzung Fabio Viteritti, Marcelo Freitas, Maximilian Zimmer und Kevin Weidlich. Das Quartett war im Saisonverlauf für jeweils mehr als 30 Tore und Vorlagen zuständig. Vorne knipst zu allem Überfluss noch Streli Mamba wie verrückt. Streli wer? Nein, den kannte tatsächlich niemand. Cottbus gabelte den Stürmer 2016 beim SV Sandhausen II auf. Nach einem mäßigen ersten Jahr spielt der Deutsch-Kongolese nun wie ein Weltmeister – steigt Energie nicht auf, wird er gehen.
Die Unterstützung der Fans
Energie Cottbus polarisiert im Osten zwar nicht so stark wie Dynamo Dresden oder der 1. FC Magdeburg – Tradition und ein gewisses Selbstverständnis gibt es rund um das Stadion der Freundschaft aber dennoch zuhauf. Doch der Szene haftet auch durch das "Skandalspiel" beim SV Babelsberg 03 wieder ein politischer Ruf an. Statt eines sportlichen Schlagabtauschs auf dem Rasen entwickelte sich eine politische Auseinandersetzung auf den Rängen, in denen Teile der Lausitzer Anhängerschaft rechte Parolen in Richtung der traditionell linksorientierten Babelsberger grölten.
Es sind Fans, die einen ganzen Verein diskreditieren. Denn der Ruf haftet auch Energie Cottbus an. Dabei gäbe es so viele positive Schlagzeilen zu schreiben. Man nehme allein die Treue: 5.262 Zuschauer kamen im Schnitt zu Regionalliga-Spielen – mehr als bei vielen Drittligisten. Noch besser: Innerhalb von fünf Stunden war das Heimspiel der Aufstiegsrelegation ausverkauft. Das Potenzial ist da. Steigt Cottbus auf, kann dort etwas Großes entstehen.
Der Gegner: HSV II oder Weiche Flensburg
Bisher muss Energie Cottbus noch zweigleisig scouten. Erster der Regionalliga Nord und damit Gegner der Wollitz-Elf wäre nach aktuellem Stand der Hamburger SV II. Aber dieser hat gleich zwei Spiele mehr auf dem Konto als Kontrahent Weiche Flensburg. Erledigen diese in ihren Nachholspielen die Hausaufgaben, wird Energie bis an die dänische Grenze reisen dürfen. Flensburg hat mit zusätzlichen Problemen zu kämpfen: Infrastrukturell ist der Verein noch längst nicht auf die 3. Liga ausgerichtet.
Obzwar Vergleichswerte fehlen, ist anzunehmen, dass Energie Cottbus gegen beide möglichen Nord-Regionalligisten favorisiert ist. Zu dominant spielten die Ostdeutschen ihre Runde, zu gut präsentierten sich die Ost-Vertreter in den vergangenen Jahren, als es um den Aufstieg ging. Klar ist auch: Schafft Cottbus die Rückkehr in die 3. Liga, hat der Verein keinen Grund, Bescheidenheit an den Tag zu legen. Gefühlt ist dieser Fußballclub noch immer ein Zweitligist – und das will er dem Rest der Nation so schnell wie möglich beweisen.