Erfolgsserie an der Donau: Warum Ulm die 3. Liga aufmischt
Tabellenplatz 2! Mancher Fan des SSV Ulm 1846 wird sich derzeit in die Wange zwicken und die Augen reiben. Was macht der Aufsteiger richtig? liga3-online.de blickt hinter die Kulissen der Erfolgsgeschichte.
Ulm nimmt die Defensivstärke einfach mit
Daheim gegen Rot-Weiss Essen hätte es längst nicht so spannend werden müssen. Der SSV Ulm siegte "nur" mit 2:1 und zitterte dabei bis zum Schlusspfiff. Unter anderem, weil Rückkehrer Felix Higl anders als zu Regionalliga-Zeiten einen Tausendprozenter liegengelassen hatte – und weil die derzeit drittbeste Defensive der 3. Liga einen abgefälschten Distanzschuss von Ex-Ulmer Vinko Sapina durchrutschen ließ. Kann passieren. Viel beeindruckender aber war, was die Mannschaft von Trainer Thomas Wörle gegen ein gutes Konkurrenzteam aufgezogen hatte: Mit nur 41 Prozent Ballbesitz generierte Ulm elf Abschlüsse, ließ aber nur vier des Gegners zu. Ganz klar ist dies der erste Baustein zur Serie, die die Donaustädter derzeit kontinuierlich ausbauen: 13 von 15 möglichen Punkten holte der Liganeuling zuletzt. Der zweite Tabellenplatz ist seit Sonntagabend, seit Erzgebirge Aue erstmals verlor, gewiss. Man wird ja wohl noch träumen dürfen, oder?
"Wir wussten vor dem Beginn nicht so genau, wo wir stehen", sagte Innenverteidiger Thomas Geyer vor dem vergangenen Wochenende im Interview mit liga3-online.de. Und doch dürfte er, der 32-Jährige aus dem nur einen Katzensprung von Ulm entfernten Ehingen, doch so eine Vorahnung gehabt haben. 313 Drittliga-Spiele zieren seine Vita schließlich, Stuttgart II, Wehen Wiesbaden und der VfR Aalen hat er durch diese Spielklasse geführt. Wer wüsste besser als er, was es als Aufsteiger zuvorderst benötigt? Defensive Konsequenz. Deshalb ist Ulm nun der beste Neuling, deshalb kommt danach Unterhaching. Und deshalb ist ein deutlich höher gehandelter Aufsteiger wie Münster für den Moment ein gutes Stück distanziert. "Wir hinterlassen unsere Fußstapfen", sagte Geyer. Natürlich gilt das für diese süddeutsche Beton-Defensive, die schon in der Regionalliga mit nur 25 Gegentoren zuweilen unüberwindbar war, im Besonderen.
Gegen Bielefeld erstmals das Gefühl, angekommen zu sein
Er, Kapitän und Leader Johannes Reichert sowie der rundum überzeugende Neuzugang Tom Gaal, ein 22-Jähriger aus der Reserve von Borussia Mönchengladbach, haben als Dreierkette im 3-4-3 alles im Griff – und strahlen dabei eine beneidenswerte Bierruhe aus. 6,45 erwartete Gegentore stimmen ziemlich gut mit den tatsächlich kassierten sechs Treffern überein. Der statistische Wert ist übrigens einer, mit dem sich der SSV Ligaspitze nennen darf. Auch die 68 Schüsse, die Ulm zuließ, sind (geteilt mit dem SC Verl) bislang unnachahmlich.
In den offensiven Bilanzen ist die Wörle-Elf nicht derart vertreten, die Anzahl erhaltener Strafstöße (drei) einmal ausgenommen. Und doch zeigte sich nicht erst jüngst gegen Essen: Ulm kann auch unter Druck richtig guten Fußball spielen. Ein Beispiel: Die "Flügelzange", die beiden Schienenspieler Bastian Allgeier und Romario Rösch, ist enorm unangenehm zu verteidigen und scheut Vorwärtsläufe nicht. Und Dennis Chessa, der offensiv eigentlich überall spielen kann, erlebt im vierten Drittliga-Anlauf (Bayern II, Aalen, Uerdingen) das erste Mal durchschlagenden Erfolg. Weil er seine defensiven Fesseln früherer Jahre, wo er lange Außenverteidiger war, lösen durfte.
Gedanken über neue Zielsetzung?
In einer Englischen Woche erkannte Ulm erstmals seine Leistungsfähigkeit – Ende August waren fast 10.000 Zuschauer Zeugen davon, wie der Aufsteiger Arminia Bielefeld mit 1:0 niederrang. Der erste Saisonsieg, und das gegen einen Verein, der im Mai 2022 noch Bundesligist war: Irgendwie fühlte sich das richtig gut an – und Ulm kam auf den Geschmack. Das 1:1 in Duisburg war nur für die Gastgeber glücklich, das 3:0 über Lübeck war eine einzige Gala und das 2:0 in Mannheim von einigen besonderen wie unschönen Randerscheinungen überschattet. Über allem aber steht eine Erkenntnis: Wer gegen Kaliber wie Mannheim, Bielefeld und Saarbrücken (1:1 zum Saisonauftakt) ungeschlagen bleibt, der ist so richtig angekommen. Chessa verrät das Geheimnis: "Wir wollen erst einmal gut stehen, Zweikämpfe führen und dann über das Spielerische kommen", sagte er nach dem Heimsieg über Essen bei "MagentaSport". "Es macht gerade einfach nur Spaß."
Ist auch schon Zeit, sich über neue Zielsetzungen Gedanken zu machen? Der SSV Ulm scheint gut beraten, solche Gedankenspiele intern wie extern mit einem Lächeln beiseite zu schieben. Und doch erinnern wir uns in 15 Jahren Drittliga-Historie natürlich an den einen oder anderen Durchmarsch – erst im Vorjahr machte es die SV Elversberg schließlich vor. Ulm reiht sich ein in eine immer länger werdende Liste von Südwest-Aufsteigern, die in der Tabelle zeitig oben anklopfen. Und selbst wenn der Fokus ganz klar auf dem möglichst schnellen Klassenerhalt verbleibt: So schnell, wie sich dieser Verein auf die 3. Liga eingestellt hat, sollte sein Werdegang in den kommenden Wochen und Monaten weiterhin genau beobachtet werden.