Analyse: Woran Timo Rost bei Erzgebirge Aue gescheitert ist
Nach nur zehn Pflichtspielen mit lediglich drei Punkten und 5:18 Toren ist Timo Rost bei Erzgebirge Aue seit Dienstagabend Geschichte. liga3-online.de erklärt, woran der 44-Jährige gescheitert ist.
Liga unterschätzt
Auch wenn nach dem XXL-Umbruch mit 19 Zu- und 18 Abhängen klar war, dass nicht alle Räder sofort ineinander greifen und es Zeit braucht, ehe das Team auch menschlich zusammenwächst: Dass Aue nach neun Spieltagen als einziges Team noch sieglos ist und den letzten Tabellenplatz belegt, hängt weniger mit dem Umbruch, sondern vielmehr damit zusammen, dass Timo Rost die Liga unterschätzt hat. Der 44-Jährige war der Überzeugung, dass ein offensiver Spielstil zum Erfolg führen wird – ein Trugschluss. Denn zum einen steht die 3. Liga eher für Kampf und weniger für gnadenlosen Offensivfußball, zum anderen erfordert ein offensiver Spielstil ein nahezu blindes Verständnis der Spieler für die Laufwege der anderen. Qualitäten, die eine runderneuerte Mannschaft gar nicht aufweisen kann.
Dass Kapitän Dimitrij Nazarov nach der Partie gegen Osnabrück schimpfte, "in dieser Kackliga" würde kaum Fußball gespielt werden, zudem seien viele lange und zweite Bälle ein "ganz schönes Gehacke", legten deutlich offen, dass Rost der Mannschaft einen spielerischen Ansatz beibringen wollte. Irritierend waren die Aussagen von Nazarov auch deshalb, weil er in der Saison 2012/13 bereits mit Preußen Münster in der 3. Liga gespielt hat und daher wissen müsste, dass in der 3. Liga – anders als Rost es offenbar vorhatte – selten gezaubert wird.
Auch Rost selbst ließ mit seinen Aussagen darauf schließen, dass er die Liga unterschätzt hatte. So hatte er sich nach der Niederlage in Mannheim am 10. August noch über den hohen Ballbesitz-Anteil seiner Mannschaft gefreut und daraus abgeleitet, dass sein Team "über weite Strecken des Spiels deutlich besser" gewesen sei und somit eigentlich klar hätte "gewinnen müssen". Nur vier Tage später schlug er nach der 1:5-Klatsche gegen Wiesbaden dann plötzlich ganz andere Töne an: "Wir müssen uns davon lösen, alles über Ballbesitz (wie er für einen spielerischen Ansatz typisch ist, d. Red.) zu regeln." Es gehe nämlich nicht darum, viel Ballbesitz zu haben, ohne torgefährlich zu werden. Zudem bringe es nichts, "Ballbesitz in Räumen zu haben, wo du dem Gegner nicht wehtun kannst".
Anschließend ließ Rost für alle erkennbar deutlich defensiver spielen und kommunizierte das nach außen auch, was beim anschließenden Spiel in Saarbrücken (0:0) zu einem ersten Erfolgserlebnis führte. Doch zu diesem Zeitpunkt war das Kind bereits in den Brunnen gefallen, was die darauffolgenden Niederlagen gegen Dresden, Essen, Zwickau und 1860 zeigten. Dass Rost die Liga unterschätzt hat, überrascht im Rückblick sogar nicht mal: Schließlich war der 44-Jährige, bevor er nach Aue kam, noch nie in der 3. Liga aktiv – weder als Spieler, noch als Trainer.
Kaderplanung
Dass ein Trainer zeitgleich auch noch Sportdirektor und damit für die Kaderplanung zuständig ist, stellt im Profifußball eher eine Seltenheit dar. Und wenn ein Chefcoach dann auch noch die Möglichkeit hat, eine nahezu komplett neue Mannschaft zusammenstellen zu können, handelt es sich endgültig um eine Rarität – so geschehen beim FCE. Allein: Rost machte viel zu wenig aus dieser Gelegenheit. Masse statt Klasse lautete das Motto. Von den 19 Neuzugängen konnte bislang nur Marvin Stefaniak unter Beweis stellen, dass er eine echte Verstärkung ist. Viele als Stammspieler verpflichtete Akteure blieben bislang deutlich unter ihren Möglichkeiten, überhaupt wirkt der Kader unausgewogen. So steht mit Anthony Barylla nur ein etatmäßiger Rechtsverteidiger zur Verfügung, dafür aber gleich fünf Stürmer – und das, obwohl Aue meist nur mit einem Angreifer spielt. Bei der Partie in München am vergangenen Freitag saß kein Innenverteidiger auf der Bank, dafür aber gleich zwei Linksverteidiger. Verletzungsbedingte Gründe hatte das nicht.
Seltsam mutete auch die Tatsache an, dass Rost Anfang August – und damit zwei (!) Monate nach seinem Amtsantritt – gleich sechs (!) Spielern mitteilte, dass sie in den Planungen keine Rolle mehr spielen. Zwar hatte der 44-Jährige die betroffenen Akteure allesamt nicht nach Aue geholt, dennoch stellt sich die Frage: Warum wartete Rost so lange mit der Entscheidung? Dass sie die Veilchen nicht weiterbringen würden, hätte schon deutlich früher auffallen müssen – etwa in Testspielen. Problem: Diese waren wenig aussagekräftig, testete Aue als einziges Team der Liga doch ausschließlich gegen unterklassige Gegner – eine weitere Fehlplanung. Ein 29:0 gegen einen Kreisligisten klingt zwar spektakulär, brachte aber keine wirklichen Erkenntnisse. Denn keiner (!) der zehn verschiedenen Torschützen aus dieser Partie hat bislang im Liga-Alltag getroffen.
Zuletzt irritierte Rost mit der Aussage, Erzgebirge Aue würde zu viele Altlasten aus der Vorsaison mit sich herumtragen. Dabei war es der Ex-Bundesligaprofi, der den Kader nach seinen Wünschen zusammenstellen konnte. Neben zwei Spielern brachte er mit Tomislav Piplica (Torhüter) und Michael Gehret (Athletik) auch zwei Trainer mit aus Bayreuth nach Aue.
Kompetenzen & Mannschaft
Doch Rost scheiterte nicht nur an sich selbst, sondern auch an der fatalen Fehleinschätzung der Verantwortlichen um Präsident Helge Leonhardt, nach dem Aus von Pavel Dotchev keinen neuen Sportdirektor zu verpflichten. Dieser hätte Rost nicht nur bei der Kaderplanung unter die Arme greifen können, sondern ihn auch in sportlichen Themen beraten können – etwa, was die Organisation von Testspielen angeht. So aber war Rost in Belangen wie diesen auf sich alleine gestellt – und damit offensichtlich überfordert. Es wirkt schon fast zynisch, dass der FCE ausgerechnet am Abend der Rost-Entlassung mit Mirko Reichel nun einen sportlichen Berater verpflichtet hat.
Doch nicht nur vom Verein, sondern auch von der Mannschaft wurde Rost im Stich gelassen. "Wir haben ein Problem in der Führung der Mannschaft", sagte er vor dem Derby gegen Zwickau. In der Tat suchte man Führungsspieler bei den Veilchen vergeblich, besonders Kapitän Dimitrij Nazarov konnte die Ansprüche und Erwartungen an dieses Amt nicht erfüllen. Auch von Alexander Sorge, Ulrich Taffertshofer und Elias Huth war mehr erwartet worden. Enttäuschend war für Rost auch, dass Antonio Jonjic – immerhin der Top-Scorer der letzten Saison – sich zu Beginn der Vorbereitung so hängen ließ, sich nicht aufdrängte und den Verein verlassen wollte. Erst Anfang September raffte sich der 23-Jährige nochmal auf – zu spät für Rost.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Rost ist es nicht gelungen, aus den Spielern eine Einheit zu formen. Vor allem die ständige Rotation verhinderte das, eine Stammformation fand der 44-Jährige nicht. Dass Interimspräsident Torsten Enders im "MDR" von einer "gespaltenen Mannschaft" spricht, gibt zu denken. Unter dem Strich waren also mehrere Faktoren ausschlaggebend, warum Rost bei den Sachsen gescheitert ist.