Euphorie macht sich breit: FCM steht auf dem Gaspedal
Beim 1. FC Magdeburg ist eingetreten, was nicht wenige erwartet hatten: Auf die grandiose Rückrunde folgt ein nicht minder starker Saisonbeginn. Auch wenn unter Fans zur Zurückhaltung gemahnt wird: Weit weg von einem Spitzenteam kann dieser FCM nicht sein – dafür vereint er in dieser frühen Phase der Spielzeit zu viele Stärken. Eine Analyse.
Spielerische Klasse
"Die Stürmer stechen als Joker", schrieb das örtliche Magdeburger Medium zum spektakulären 4:2-Sieg in Wiesbaden. Das eher boulevardeske Pendant notierte gar die "Magdeburger Mentalitäts-Monster". Tatsächlich: Was der FCM in den Minuten 451 bis 540 der neuen Saison auf das hessische Grün gelegt hatte, war einmal mehr ein Fingerzeig an die Konkurrenz. Nicht, weil die Ostdeutschen völlig fehlerlos agierten oder ihren bis dato ungeschlagenen Gegner an die Wand gespielt hätten. Nein, weil sie – ganz, wie es ein Spitzenteam tun sollte – selbst einen doppelten Rückschlag, zwei Gegentore binnen 59 Sekunden, verkraftet hatten. Am Ende standen vier eigene Tore, die letzten beiden quasi eingewechselt von einem Trainer Christian Titz, dem auch im neuen Jahr so vieles gelingen will, dass es beinahe Angst macht. Was macht den Tabellenzweiten so stark?
Nicht ganz ohne Grund jubelten die Fans, als Baris Atik seine Vertragsverlängerung um ein weiteres Jahr bekanntgab. Noch immer ist ein positives Rätsel, woher der Deutsch-Türke seinen Leistungsschub nahm, der ihn seit Anfang eines bislang außergewöhnlichen Jahres zum Schlüsselspieler gemacht hat. Nun steht er nach sechs Spielen schon wieder bei acht (!) Torvorlagen, die sich in jeweils vier Treffer sowie Vorbereitungen unterteilen. Nach 21 Punktspielen steht er damit immer noch bei einer beeindruckenden Quote von mehr als einem Scorerpunkt pro Partie! Im kommenden Jahr muss Atik, macht er so weiter, eine Liga höher spielen – im Idealfall mit dem FCM.
Breite im Kader
Und doch ist Magdeburg mehr als nur Baris Atik, der zuletzt sogar als Stürmer auflaufen durfte. Luca Schuler, Kai Brünker und Sirlod Conteh helfen ihm derzeit in einem schwer ausrechenbaren Offensivquartett, dahinter agieren etwa in Amara Condé und Andreas Müller Allrounder mit starker Übersicht und guten Spieleröffnungen. Zuletzt stürmte gegen Wiesbaden auf links zunächst noch dazu Florian Kath, sodass Titz in Brünker und Schuler noch zwei wuchtige Stürmer einwechseln konnte. Beide trafen – und drehten so das frühe Spitzenspiel zu Gunsten der Elbestädter.
Mit 28 Leuten im Kader, davon 25 Feldspieler, ist der 1. FC Magdeburg quantitativ angemessen gerüstet für das Jahr. Von den Jugendspielern, die in der Regel noch keine unmittelbaren Alternativen darstellen, einmal abgesehen, herrscht in allen Mannschaftsteilen gesunder Konkurrenzkampf: Abseits von Schlüsselspielern wie dem genannten Atik oder dem zuletzt angeschlagenen Kapitän Tobias Müller kann Trainer Titz viele Profis annähernd gleichwertig ersetzen. Bislang war das kaum notwendig, Täusche an der 4-3-3-Startformation nur vereinzelt nötig. Neuzugang Tim Sechelmann, der gegen Wiesbaden sein Startelfdebüt gab und dies auch noch auf der eher ungewohnten Innenverteidiger-Position, zeigte Titz, dass der zweiten Reihe zu vertrauen ist.
Moral, Moral, Moral
Es ist längst nicht nur jener Moment in Wiesbaden, als Magdeburg binnen weniger Sekunden ein 2:0 aus der Hand gab und am Ende doch drei Punkte einsackte, die unterstreichen, dass das Kollektiv aus Sachsen-Anhalt derzeit herausragende Nehmerqualitäten besitzt. Wer sich etwa an das 2:3 im DFB-Pokal gegen den FC St. Pauli erinnert, weiß, wie das Team an einem zugegeben besonderen Tag mit Rückschlägen umzugehen wusste, immer wieder anrannte. Auch wenn der Lohn ausblieb, so blieb die Leistung nicht nur eigenen Fans haften.
Weitere Beispiele zeigte der FCM zuletzt im Ligabetrieb. Ein spätes 3:1 bei der vermeintlichen Pflichtaufgabe Havelse herauszuspielen, die Heimpartie gegen Duisburg souverän hinunterzuspielen und beim SVWW der besten Defensive der Liga in einem Spiel mit Höhen und Tiefen vier Tore einzuschenken: Als singuläre Ereignisse mögen diese Spiele so eintreten, aber geballt in der Frühphase der Saison sind das sehr gute Zeichen für den weiteren Verlauf.
Unterschiedsspieler auf der Tribüne
Er könnte der entscheidende Faktor sein, oder das, was Trainer so gerne als "Unterschiedsspieler" bezeichnen. Es geht aber weder um einen eiskalten Stürmer noch um einen beinharten Abwehrspieler, dem kein Zweikampf misslingt – vielmehr um die Kulisse, die sich bei Heim- und Auswärtsspielen hinter dem Team versammelt. Während andernorts – auch aufgrund anderer Pandemie-Vorschriften – die Fanszenen noch längst nicht zu alter Aktivität zurückgekehrt sind, ist "Block U" samt allen umgebenden Fans, die davon mitgerissen werden, so lautstark wie vor der Pandemie.
Knapp 15.000 Anhänger im eigenen Stadion, 2.000 als Gast des TSV Havelse und rund 550 in Wiesbaden: In fünf der sechs Ligapartien hatte Magdeburg akustisch die Oberhand. Bezeichnend, wie Stürmer Kai Brünker nach seinem siegbringenden Tor am Magenta-Sport-Mikrofon lauthals in den "Fußballclub Magdeburg"-Gesang einstimmte – und ein kleines Indiz dafür, mit welchem Stolz die Fußballer an der Elbe derzeit das Trikot des Aufstiegsaspiranten tragen.