Ehemalige Drittligisten #1: Rot-Weiss Ahlen
Insgesamt 57 Mannschaften spielten seit der Saison 2008/2009 in der 3. Liga. Während einige Klubs den Sprung in die Bundesliga geschafft haben, sind andere Vereine vom Radar der breiten Öffentlichkeit verschwunden. liga3-online.de holt diese Klubs nun wieder hervor. Heute: Rot-Weiss Ahlen, das in der Saison 2010/11 drittklassig spielte.
Mit Neururer fast in die Bundesliga
Das Wersestadion ist das letzte Gut, das an die starken Zeiten von RW Ahlen erinnert. Auswärtsfahrer schätzten die kleine, enge Sportstätte, bei der weite Abschläge hinter der flachen Gegentribüne gerne im Wasser landeten: Das namensgebende Flüsschen Werse schlängelt sich in direkter Stadionnähe durch das Wohngebiet. Bilder von Ordnern, die mit Keschern aus dem Stadion stürmten, bevor sich der Ball auf den Weg Richtung Nordsee machte, blieben im Gedächtnis – Ahlen hatte etwas Liebenswertes, Ahlen hatte Charme und war für Gegner im eigenen Stadion fast immer eine knifflige Aufgabe. Heute, in der fünftklassigen Oberliga Westfalen, ist die Arena überdimensioniert, es kommen noch ein paar hundert Unentwegte. Vierstellig werden die Kulissen erst wieder, sollte der Aufstieg in die Regionalliga West gelingen. Doch die Zeichen stehen nicht schlecht.
Wer an RW Ahlen denkt, dürfte sich zuerst zurückerinnern an die wohl erfolgreichste Phase der Vereinsgeschichte. Sechs Jahre am Stück spielte Ahlen zwischen 2000 und 2006 in der 2. Bundesliga, hielt sich zwischen 2008 und 2010 nochmal zwei Jahre in der zweithöchsten deutschen Spielklasse. In seiner Premierensaison nach der Jahrtausendwende schnupperte das Städtchen im Südmünsterland sogar bis kurz vor Schluss an der Bundesliga: Peter Neururer, nach diversen erfolglosen Stationen längst als Feuerwehrmann für kurzfristige Einsätze verschrien, führte den Aufsteiger bis auf den sechsten Rang. Am Ende fehlten fünf Punkte für den großen Coup. "Das Fußballmärchen im Münsterland", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vor 19 Jahren. Ahlen rüstete sich für das Szenario Erstklassigkeit, es lebte einen Traum, der nicht in Erfüllung gehen sollte.
LR Ahlen, das erste RB Leipzig?
Der Weg, den RB Leipzig in den vergangenen zehn Jahren eingeschlagen hat, ist von Erfolgen gepflastert. Gänzlich neu ist er im Profifußball aber nicht. Tatsächlich hat auch Rot-Weiss Ahlen in seiner Historie Parallelen zum Konstrukt aus Sachsen aufzuweisen – wenn auch im Wersestadion damals längst keine derart aggressive Vermarktungsstrategie aufgefahren wurde. 1992 war der Klub fast hinüber, kickte in der Bezirksliga. Siebtklassig. Dann kaufte sich Helmut Spikker, ein Ahlener Geschäftsmann ein, rettete so den Verein. Vier Aufstiege am Stück folgten, 1996 benannte sich der zuvor unter "TuS Ahlen" firmierende Klub in "Leichtathletik Rasensport Ahlen", kurz LR Ahlen, um. LR diente dabei als Anspielung auf Spikkers Unternehmen LR International, einen Vertrieb für Schönheitsprodukte. Diese neue Wirtschaftskraft verhalf dem Klub maßgeblich zum Höhenflug – und stürzte ihn, als Spikker 2006 aus dem Verein ausstieg.
Danach stand die Finanzierung eines Zweit- oder Drittligisten im sich stetig verteuernden Business des Profifußballs jährlich auf wackligeren Beinen. Als Rot-Weiss Ahlen, wie der Klub ab dem Jahr 2006 hieß, zum zweiten Mal aus der 2. Bundesliga abstieg, türmten sich die Finanzprobleme, das erste und einzige Jahr in der eingleisigen 3. Liga 2010/11 wurde zur Hängepartie, in der Ahlen sportlich zwar den Klassenerhalt schaffte, aufgrund eines Insolvenzverfahrens aber zwangsabsteigen musste. Es ging direkt runter in die fünfte Liga, dort sollte ein Neustart her. Nur der Fakt, dass die damalige NRW-Liga im gleichen Jahr aufgelöst wurde und es keine sportlichen Absteiger gab, verhinderte den endgültigen Absturz in die Provinz nach einer Horror-Saison 2011/12 mit 28:90 Toren und nur 18 Punkten aus 34 Spielen. Der Boden war erreicht.
Es soll wieder in die Regionalliga gehen
Vier Jahre später jubelte Ahlen über die verspätete Rückkehr in die Regionalliga West, um zwei Jahre später ernüchtert festzustellen: Auch für diese Spielklasse reicht es finanziell nicht. Marco Antwerpen, heute Coach von Eintracht Braunschweig, machte unter schwierigsten Bedingungen Eindruck, als er 2015/16 den Klassenerhalt mit einem Mini-Etat realisierte – kurz darauf zog er weiter zu Viktoria Köln. Ahlen stieg in der Folgesaison ab, stabilisierte sich abermals in der Fünftklassigkeit.
Aktuell ist RW als Tabellendritter mitten im Aufstiegsrennen, bei erfolgreichen Nachholspielen wäre Ahlen virtuell sogar Tabellenführer. Dennoch verirrten sich zum bislang letzten Heimspiel nur 376 Zuschauer – zu Zweitliga-Zeiten waren es zumindest stets zehnmal so viele. Wie die Saison angesichts der Corona-Krise weitergeht? Das ist in der Oberliga, in der Ahlen theoretisch ab Ende April noch 16 (!) Saisonspiele bestreiten muss, völlig offen. Sicher ist: Der Klub, bei dem einst Marco Reus und Kevin Großkreutz ihre ersten Schritte als Profis gingen, will aufsteigen, will den nächsten Anlauf wagen. Ob ein Etat aufgestellt werden kann, mit dem langfristig zumindest die 4. Liga gehalten werden kann? Fraglich, aber nicht unmöglich. Von der Infrastruktur eines Drittligisten aber wird Rot-Weiss Ahlen noch längere Zeit weit entfernt sein.