Fünf Gründe für den Total-Absturz von Arminia Bielefeld
Vor einer Saison noch Erstligist, steht Arminia Bielefeld nach dem zweiten Abstieg in Folge nun vor der vierten Drittliga-Saison seit 2011. Zuletzt waren die Ostwestfalen in der Spielzeit 2014/15 drittklassig. Doch wie konnte es zu dem Total-Absturz kommen? liga3-online.de nennt fünf Gründe.
Grund 1: Unerfahrene Trainer
Mit der Nachricht, als Nachfolger des kurz vor Ende der Bundesliga-Saison 2021/22 (Arminia stieg als 17. ab) entlassenen Frank Kramer den hierzulande unbekannten Uli Forte aus der Schweiz zu verpflichten, legte sich schon manche Stirn in Falten. Zumal schnell klar war: Forte war nicht die A-Lösung, eher ein Notstromaggregat als ein wuchtiger Motor. Der Italiener, der aus der Schweiz kam, erwies sich als Sprachtalent, machte in der Trainingsgestaltung aber etliche Fehler – und bewies schlechten Stil, als er im Nachhinein in Interviews mehrfach wunde Punkte ansprach und damit nachkartete. Die Bilanz: null Punkte aus vier Ligaspielen, dann war schon wieder Schluss.
Doch Arminia Bielefeld beging einen ähnlichen Fehler nochmal, wähnte sich diesmal nur in größerer Sicherheit. Auch Daniel Scherning hatte nie einen deutschen Top-36-Klub als Cheftrainer geführt, er kam aber aus der Region, hatte lange für den DSC gearbeitet. Der anfängliche Optimismus verflog schnell wieder, denn auch unter ihm blieb Arminia in den Auftritten völlig unberechenbar. Scherning versuchte einiges, fand aber im Team ebenso keine Führungsachse. Trotz leicht verbesserter Auftritte passte das Gesamtbild im März nicht mehr, mit Sport-Geschäftsführer Samir Arabi musste nach einem 3:3 in Braunschweig (nach 3:0-Führung der Arminia) auch Scherning gehen. Erst der dritte Trainer, Uwe Koschinat, weckte das Team mit seiner Ansprache – aber auch er tat sich schwer damit, den Ostwestfalen Konstanz einzuflößen (Punkteschnitt 1,0). Allein am Coach kann es also nicht liegen…
Grund 2: Unausgewogene Mannschaft
Die Kaderzusammenstellung im Sommer war eine suboptimale, dabei hatte Arminia Bielefeld genug Zeit, diesen Fall zu planen. Die gesamte Abwehrreihe (Pieper, Nilsson, Brunner, Laursen, Ortega Moreno) brach weg, ganz viel Bundesliga-Potenzial ging verloren. Eindrücklichstes Beispiel: Keeper Stefan Ortega wurde mit Manchester City Englischer Meister! Ersetzt wurde sie mit Fehleinkäufen, Oliver Hüsing aus Heidenheim etwa. Er war als Schlüsselspieler eingeplant und wurde zum Flop, Silvan Sidler sollte neuer rechter Außenverteidiger werden, spielte aber schnell überhaupt keine Rolle mehr. Hektisch wurde nachverpflichtet: Lukas Klünter, Bastian Oczipka, Martin Fraisl – es kam jede Menge Erfahrung. Doch auch sie streuen schlechte Spiele ein, tragen das Fundament nicht. Die Folge: In der kompletten Rückrunde – inklusive beider Relegationsspiele – blieb der DSC nicht einmal zu Null. Während der regulären Saison schlug es 62 Mal ein – nur Sandhausen kassierte noch mehr Gegentreffer.
Es fehlte im Team an Lautsprechern und Führung. Einer allein kann dies nicht kompensieren, auch nicht Rekordspieler und Torjäger Fabian Klos (35), der der Mannschaft im Anschluss an die Niederlage in Wiesbaden öffentlich den Charakter abgesprochen und damit dem Vernehmen nach für einen Krach in der Kabine gesorgt hatte. Trotz sechs Toren und fünf Vorlagen ist er nicht mehr die sportliche Unterschiedsfigur. Dennoch hat er angekündigt, bleiben zu wollen – nicht zuletzt als Identifikationsfigur. Denn Arminia hat es verpasst, Nachfolger aufzubauen – auch weil die Sturmtransfers der vergangenen Jahre nicht zündeten. Größte Baustelle aber war das zentrale Mittelfeld, dem es an Physis mangelt. Scherning meldete vor der Winterpause dort Transferbedarf an, doch das Budget war ausgereizt. Verpflichtet wurden mit wenig Geld zwei Stürmer und ein Ersatztorwart.
Grund 3: Fehlende Struktur und Philosophie
"Ausbildungsverein" nannte sich Arminia im Frühjahr 2021 einst. Ein Begriff, der vielen Fans in der Folge zu den Ohren herausquillen sollte. War es einst nur ein Vorwand, um den beliebten, aber knurrigen und auf erfahrene Spieler setzenden Aufstiegstrainer Uwe Neuhaus vor die Tür zu setzen? Zunächst wirkte es nicht so, denn im folgenden Sommer und Winter tätigte der DSC große Investments, kaufte mehrfach Spieler für Millionen-Summen und wollte dieser weiterentwickeln. Es gelang nur im Fall von Patrick Wimmer, heute beim VfL Wolfsburg, so gut, dass dieser gleich mit üppigem Gewinn weiterverkauft wurde. Viele andere taten sich schwer, die Talente George Bello (USA) und Burak Ince (Türkei) spielen fast oder gar keine Rolle.
Kurzum: Arminia dachte international, Arminia dachte groß – und hatte dabei nicht die Struktur, solche Spieler nachhaltig zu integrieren. Oder ein falsches Händchen beim Scouting? Gleichzeitig lahmte der Nachwuchsbereich in den vergangenen Jahren, intern entwickelte der DSC kaum Talente. Was den Begriff des Ausbildungsvereins mehr und mehr ad absurdum führte. Erst jetzt soll der Fokus wieder mehr auf den Nachwuchs gelegt werden, auch weil dieser mit dem Meistertitel der U17 einen sensationellen Erfolg feierte. Unter Ex-Sportchef Arabi passierte dies lange nicht. So fehlen nun, mit Ausnahme von Jomaine Consbruch und Ersatztorwart Arne Schulz, die Eigengewächse im Kader. Dass der Posten des Sportdirektors nach dem Abgang von Arabi knapp drei Monate lang unbesetzt blieb und erst am Tag nach dem Abstieg durch Michael Mutzel besetzt wurde, passt ins Bild.
Grund 4: Unterschätzen von Situation und Gegnern
Warum scheiterte Arminia in der 2. Bundesliga? Die Qualität, da waren sich alle einig, hatte dieser Kader allemal. Doch die Leidenschaft eines Abstiegskandidaten entwickelte Arminia erst in der zweiten Saisonhälfte, und das auch nur schleppend – und allen voran erst nach diversen Schlüsselspielen. Zwei Niederlagen gegen Tabellenschlusslicht Sandhausen, zwei gegen die spät geretteten Rostocker, nur ein Punkt gegen Nürnberg: Die Bielefelder ließen unglaublich viele Punkte gegen die direkte Konkurrenz liegen, auch weil sie es versäumt hatten, Konzepte gegen Mannschaften mit simplem Fußball und defensivem Fokus zu entwickeln.
Überhaupt fehlte ständig eine Idee im eigenen Ballbesitz, was kurioserweise dazu führte, dass Arminia lange Zeit gegen dominante Teams wie Paderborn oder Kiel gar nicht so schlecht aussah. Erst beim Saisonfinale in Magdeburg (0:4), einem abenteuerlich schlechten Spiel, war der DSC auch damit völlig überfordert. Tiefpunkt war aber ohne Frage der Auftritt im Hinspiel der Relegation, als die Ostwestfalen jegliche Einstellung vermissen ließen.
Grund 5: Unglückliches Auftreten
Womöglich hatte sich Arminia Bielefeld im Verlauf der Spielzeit auch einmal zu oft eingeredet, die Kurve noch zu kratzen. Nie schuf die Mannschaft, deren größte Stars wie Robin Hack und Masaya Okugawa gleichzeitig auch während der gesamten Saison die heißesten Wechselkandidaten waren, über Fabian Klos hinaus echte Identifikation. Und auch der Verein kommunizierte immer wieder unglücklich. Ein Beispiel: Präsident Rainer Schütte gab am Tag des Braunschweig-Spiels ein Bekenntnis zu Arabi und Scherning, das zwei Tage darauf nichts mehr wert war.
Nur die Fans bewiesen beachtliche Widerstandskraft, schluckten ihren Frust immer wieder herunter. Dass der Klub die treuen Dauerkarteninhaber für das Relegationsrückspiel dennoch zur Kasse bitten wollte, reihte sich da nahtlos in die unglücklichen Auftritte ein. Aber immerhin: Arminia revidierte diese Entscheidung – und hat damit seine Anhänger vor den zukunftsweisenden Spielen zumindest ein Stück weit besänftigen können. Die Niederlage in Wiesbaden riss das aber wieder völlig ein, der angestaute Frust einer enttäuschenden Saison entlud sich in Ausschreitungen, die zu einer 20-minütigen Spielunterbrechung führten. Als die Mannschaft am Dienstag zum Aufwärmen auf den Platz kam, schallte es ihr "Wir sind Arminia, und ihr nicht" entgegen. Während des Spiels verzichtete die aktive Fanszene zudem auf eine Unterstützung. Es dürfte einige Zeit dauern, die Scherben nach dem Total-Absturz von der Bundesliga in die 3. Liga aufzusammeln.