Für den Liga-Verbleib: FCM muss jetzt wie ein Spitzenteam punkten
Mit der fünften Niederlage in Folge ist ein neuer Tiefpunkt einer ohnehin bescheidenen Saison beim 1. FC Magdeburg erreicht. Immer tiefer versinkt der Ostklub in der verbotenen Tabellenzone, im Mittelfeld zieht die Konkurrenz davon. Auch rechnerisch muss mittlerweile Großes passieren, damit der FCM seine Chance wahrt.
Letzter in der Rückrunde
Konsterniert standen sie da. Die "Größten der Welt" ganz klein, fast unsichtbar schlichen sie vom Feld, als Schiedsrichter Harm Osmers diese so erschreckende wie blutleere Vorstellung beendete. 0:4. Null. Zu. Vier. So hoch hatte der 1. FC Magdeburg gegen den SC Verl verloren. Gegen einen Aufsteiger – wobei sich die Kräfteverhältnisse im Verlauf der ersten beiden Saisondrittel natürlich längst verschoben haben. Verl kam mindestens als leichter Favorit, sie fuhren mit einem triumphalen Gefühl zurück nach Ostwestfalen. 7:1 Tore und sechs Punkte fast im Vorbeigehen haben sie in dieser Saison gegen den FCM mitgenommen. Das Rückspiel war nicht viel mehr als eine lockere Trainingseinheit, zu haarsträubend waren die individuellen Fehler der Elbstädter, die bereits seit November ohne Heimsieg sind. Umso größer ist die Furcht vor dem Abstieg in die Regionalliga Nordost, zumal der FCM in der Rückrunden-Tabelle den letzten Rang belegt. Wir ordnen das Ergebnis ein.
Historie
Ein 0:4 hat es beim 1. FC Magdeburg lange nicht gegeben. Klammern wir die 0:5-Niederlage im DFB-Pokal 2017 gegen den zwei Klassen höher spielenden BVB einmal aus und konzentrieren uns allein auf Ligaspiele, so müssen wir bis zum 28. April 2013 zurückblicken: Da gab es den gleichen Endstand bei RB Leipzig – damals wohlgemerkt noch in der vierten Liga. Im heimischen Stadion gab es eine Klatsche dieser Dimension nur ganz, ganz selten, in diesem Jahrtausend erst zweimal.
Düster erinnern sich die Älteren unter den FCM-Fans wohl noch an den Oktober 2010, als es gegen den Chemnitzer FC ein 1:6 vor knapp siebentausend Zuschauern gab. Ergebnisse, die aus längst vergessenen Zeiten stammen, als Magdeburg selbst in der Viertklassigkeit nur für die untere Tabellenhälfte gut war. Erschreckend, in welchem Tempo der Fußballclub sich diesem sportlichen Stellenwert derzeit wieder annähert…
Reaktionen
Hätten die Beteiligten überhaupt etwas sagen müssen? Trainer Christian Titz sprachen von "verteilten Geschenken", Verteidiger Tobias Müller erkannte, dass es "zu wenig" gewesen sei. So schwierig und undankbar Interviews kurz nach Spielende gerade nach einer solchen Pleite sind – zu dieser Erkenntnis kamen die meisten Fans wohl von allein. Im Internet, in Zeiten leerer Stadien wohl die wichtigste und zugleich gefürchtetste Plattform, um sich unter Fans auszutauschen, überschlugen sich die Kommentare. Sorgen und Ängste, Entsetzen und blanke Wut schlug dem FCM entgegen, einige bezeichneten den Auftritt gegen Verl als "Des FCM nicht würdig". Viel deutlicher kann eine Reaktion kaum noch ausfallen.
Mehr denn je ist spürbar: Das Umfeld des Klubs, das einst die zweite Liga dankend annahm, sich aber auch in der Rolle als Aushängeschild dieser 3. Liga immer pudelwohl gefühlt hat, fürchtet sich vor dem Bedeutungsverlust – zumal es ihnen pandemiebedingt kaum vor Ort möglich ist, positiven Einfluss auf die verunsicherte Mannschaft zu nehmen. Im Zentrum der Kritik steht Geschäftsführer Mario Kallnik, den viele Fans für den schleichenden Niedergang seit der Trennung von Jens Härtel im November 2018 verantwortliche machen.
Der Trainereffekt
Wer einen stark abstiegsbedrohten Klub mitten in der Rückrunde übernimmt, der ist im Normalfall die "letzte Patrone" – mit diesem Rucksack ist Christian Titz zum 1. FC Magdeburg gekommen. Es ist nicht seine erste solche Mission, 2018 führte er den totgesagten Hamburger SV mit einem starken Endspurt fast noch zum Klassenerhalt, machte ihn dabei ballsicherer, kreativer im Spielaufbau und dominanter. Drei Jahre später droht ihm das Geschehen aber schon nach dem zweiten Spiel zu entgleiten: Beim 1:2 in Türkgücü konnte dem FCM mit einer Prise Wohlwollen eine ordentliche Leistung attestiert werden, nun fiel das Kartenhaus gegen Verl wieder in sich zusammen.
Wer dabei die Entstehung der Gegentore analysiert, der ahnt, wie machtlos man sich an der Seitenlinie manchmal fühlen kann – gegen individuelle Fehler dieser Größenordnung lässt sich kaum ankämpfen. Und doch muss nüchtern festgestellt werden: Hatte sich Magdeburg vom Trainerwechsel den oft beobachteten Effekt erhofft, ist der mit diesem ernüchternden Start fast schon verpufft.
Endspurt
14 Spiele hat der FCM noch, um den großen Knall abzuwenden. 14 Spiele, in denen rechnerisch – und wohl auch praktisch – das Punktekonto im Vergleich zu ersten 24 Partien mehr als verdoppelt werden muss. 21 Zähler hat Magdeburg, mindestens 24 weitere sollten dazukommen, um die für den Liga-Verbleib wohl notwendigen 45 Punkte zu erreichen. Das entspricht bereits einem Schnitt von 1,71 Punkten pro Partie. Im Klartext: Um den Klassenerhalt noch schaffen zu können, muss Magdeburg nun wie ein Spitzenteam punkten. Zum Vergleich: Mit Dresden (2,0), Ingolstadt (1,9) und Rostock (1,8) weisen derzeit nur drei Teams einen Punkteschnitt von mindestens 1,7 auf. Wo sollen die verunsicherten Elbestädter einen solchen Lauf nur hernehmen? Nach dem Auswärtsspiel in Wiesbaden am kommenden Samstag stehen innerhalb von 18 Tagen vier Spiele an. Die Gegner: Viktoria Köln, Mannheim, Bayern II und Kaiserslautern – mindestens sieben, besser aber neun Punkte sollten dabei herausspringen.
Anschließend warten mit Ingolstadt und Rostock zwei Spitzenteams, ehe es fast ausschließlich noch gegen unmittelbare Konkurrenten geht: Zwickau (32. Spieltag), Meppen (33), Lübeck (34), Duisburg (36), Uerdingen (37) und Unterhaching (38). Mindestens zwei, eher drei oder gar vier Sechs-Punkte-Spiele wird es für den FCM dort noch geben. Schafft er es, sich bis Mitte April zumindest eine ordentliche Ausgangsbasis zu schaffen, bleibt der Kampf um den Klassenerhalt wohl bis zu einem womöglich spektakulären Finalwochenende offen. Allerdings, und so realistisch muss jeder in Magdeburg mittlerweile geworden sein: Allein ein Szenario, in dem der Klub Mitte Mai noch realistische Chancen auf ein weiteres Jahr in der 3. Liga besitzt, wäre nach jetzigem Stand schon ein großer Erfolg.