Kann RWE der große Wurf gelingen? Die Zuversicht wächst
Der Tabellenrechnungen werden immer realistischer: Rot-Weiss Essen kann im zweiten Drittliga-Jahr mindestens die Relegationsspiele um den Aufstieg erreichen! Die Euphorie trägt den Traditionsverein immer weiter – erst recht, wenn RWE den SSV Ulm 1846 nun vom 3. Rang stößt. Doch hinter den Kulissen gibt es einiges zu tun.
Platz 3 in eigener Hand
An der Hafenstraße erlebt man eine Saison, die rundum Spaß macht. Das war in den vergangenen zehn Jahren, das Aufstiegsjahr 2021/22 einmal ausgenommen, längst nicht immer so. Und doch muss, nein darf sich Rot-Weiss Essen allmählich ernsthafte Fragen stellen. Zwei Drittel der Drittliga-Saison sind in den Büchern, 13 Spieltage mit 39 zu verteilenden Punkten stehen noch bevor. Nachdem RWE mit dem 3:1-Auswärtssieg bei Spitzenreiter Jahn Regensburg mehr als nur eine Duftmarke gesetzt hat, wartet eine zwar noch weit hergeholte Rechnung, die aber aktuell Tatsache ist.
Die Mannschaft von Christoph Dabrowski hat das Erreichen des Relegationsrangs – und damit über einen Umweg auch den Aufstieg in die 2. Bundesliga – aktuell gänzlich in der eigenen Hand. Einzige Voraussetzung für den Moment: der Heimsieg am Samstag über jene Mannschaft, die den dritten Platz aktuell belegt, der SSV Ulm 1846. Doch irgendwie wächst die Zuversicht, dass da ein ganz großer Wurf gelingen könnte. Zumindest ist der größte Druck ja schon von allen Schultern abgefallen. Der Klassenerhalt, im Vorjahr noch eine ziemlich zähe und schwierige Aufgabe, ist wohl jetzt schon eingetütet – die 42-Punkte-Marke der Saison 2022/23 in diesem Jahr schon 13 Punktspiele früher erreicht.
Spielerische Leichtigkeit und Effizienz
Die gesamte Stimmung rund um den Klub ist eine auffällig leichte und gelöste, was manch eingefleischtem Fan merkwürdig vorkommen wird. Schließlich stand Rot-Weiss Essen in der Vergangenheit seltenst dafür, war emotional und nach Niederlagen vorschnell aufgeladen. Selbst Trainer Dabrowski, im Vorjahr noch schwerster Kritik ausgesetzt, hat sich gewaltigen Kredit erarbeitet und wurde von vielen der rund eintausend mitgereisten Fans in Regensburg mit Sprechchören gefeiert. Und auch die wenigen, die im Frühling des Vorjahres noch unter anderem mit fragwürdigen "Dabrowski raus!"-Schals einen Rauswurf provozieren wollten, müssen allmählich anerkennen, dass sie schlicht falsch lagen.
Dabrowski liefert in diesen Wochen ab, und das Ergebnis ist Spektakel. Die oft geforderte Effizienz zeigt RWE immer öfter und noch dazu einen äußerst respektablen Spielansatz, der nur in einer harmonierenden Trainer-Spieler-Konstellation Früchte tragen kann. Dass dieser mit einer Mannschaft, die qualitativ im oberen Mittelfeld der 3. Liga anzusiedeln sein dürfte, auch mal zu schweren Fehlern und zu Niederlagen führt wie dem 0:2 bei 1860 München – geschenkt. All dies als Teile eines großen Lernprozesses zu begreifen, die Mannschaft nach solchen Spielen nicht vom Rasen zu jagen, diesen Entwicklungsschritt ist der Gesamtverein gegangen. Keine Wintertransfers? Früher, zu Regionalliga-Zeiten hätte auch das wohl für ein großes Raunen gesorgt. In diesem Jahr siegt das Vertrauen in die eigene Stärke, gepaart mit der Einsicht um die nicht so rosige Finanzlage. Erfolg auf Pump finanzieren, auch dieses Motto ist im Norden der Ruhrgebiets-Metropole ein Artefakt der Vergangenheit.
Zukunft etlicher Leistungsträger im Fokus
Nicht nur der starke Zuschauerschnitt von mehr als 16.000 Besuchern pro Spiel zeigt dabei, dass RWE das Potenzial zum Zweitligisten weckt. War Rot-Weiss in der Hinrunde mit nur 22 Toren aus 19 Spielen noch eine der offensivschwächeren Mannschaften der Liga, so bestätigt sie auffällige Durchschlagskraft aus der Wintervorbereitung nun auch im Ernstfall: 15 Treffer, also 2,5 pro Begegnung, hat Essen in der Rückserie erzielt. Dass Flügelstürmer Marvin Obuz mit bereits 15 Scorern der torgefährlichste Akteur ist, schmerzt zugleich, denn er dürfte nach Ende seiner Leihe im Sommer zum bekanntlich mit einer Transfersperre belegten 1. FC Köln zurückkehren.
Umso mehr rückt die Zukunft von Zehner Cedric Harenbrock in den Fokus, dessen Vertrag nach sieben Jahren aktuell ebenso ausläuft wie der vom weiteren Flügelflitzer Isaiah Young. Auch das Abwehr-Duo Felix Götze und Jose Rios Alonso – Letzter soll eine Einsatzklausel besitzen – ist ab 1. Juli noch ungebunden. Für Trainer Dabrowski gilt das Gleiche. Insgesamt stehen aktuell erst 11 Spieler für die Saison 2024/25 unter Vertrag. Das sportliche Leitungsduo Christian Flüthmann und Marcus Steegmann hat in den kommenden Wochen und Monaten also munter zu tun.
Bereit für die nächsten Etappen der Topspiel-Wochen
Jetzt wartet erst einmal Ulm, die einzige Top3-Mannschaft, die RWE im Saisonverlauf bereits eine Niederlage zugefügt hat: 1:2 lautete das Hinspiel-Ergebnis, ein verdientes Resultat nach einem der wenigen enttäuschenden Essener Auftritte dieser Prima-Saison. Doch warum sollte sich das Blatt mit all dem gesammelten Selbstvertrauen am Samstag nicht wenden? "Es ist eine super spannende Herausforderung, sich mit den Besten zu messen", wird Dabrowski im "RevierSport" zitiert. Schließlich wartet eine Woche darauf noch das Auswärtsspiel bei Dynamo Dresden – schwieriger wird’s in dieser Spielzeit nicht mehr. RWE scheint gerüstet. Und da ja auch die vermeintlich schärfste Konkurrenz, Ingolstadt und Sandhausen, zuletzt immer mal wieder schwächelten, ist die Prognose keine gewagte mehr: Rot-Weiss Essen kann und wird lange um den Aufstieg mitreden. Und solange die Leichtigkeit bleibt, ist die positive Wucht dieses Vereins ein echtes Faustpfand.