Kommentar: Eine Lobeshymne auf den 1. FC Saarbrücken
Mit 19 Punkten nach neun Spielen steht der 1. FC Saarbrücken als Aufsteiger an der Tabellenspitze. Unserer Autor Jan Ahlers kommentiert in einer Lobeshymne.
Sensation? Nein!
Lieber FCS, ich muss euch enttäuschen. Sicherlich würdet ihr nun gerne davon lesen, dass ihr sensationell und für alle überraschend an der Spitze der 3. Liga thront. Für mich ist das, was ihr leistet, keine Sensation. Für mich kommt ihr nicht wie Kai aus der Kiste. Aber dennoch bin ich fasziniert von eurer Spielweise und eurem Werdegang.
Als die Nachricht vom Drittliga-Aufstieg des 1. FC Saarbrücken nach dem Abbruch der Regionalliga Südwest die Runde machte, habe ich mich erschrocken. Mein Gott, wie schnell vergeht die Zeit! Sechs Jahre haben wir in der 3. Liga ohne den FCS verbracht, es kam mir so viel kürzer vor. Zwischen 2010 und 2014 wart ihr schon einmal da. Anfangs lief es traumhaft, ihr habt die anderen Klubs aufgemischt – und zwischendurch sogar Drittliga-Geschichte geschrieben. Das 7:0 auswärts bei Carl Zeiss Jena hatte lange Rekordstatus, bis vor einiger Zeit der SV Wehen Wiesbaden vorbeikam und Fortuna Köln ähnlich beeindruckend verputzte, wie ihr es einst in Thüringen getan habt. Doch Jahr für Jahr wurde es schwieriger, im vierten und letzten war dann früh klar, dass wir Abschied nehmen müssen. Und doch bin ich wohl nicht der Einzige, der euch gerne im viel zu großen, aber so traditionsreichen Ludwigspark hat spielen sehen – es waren tolle Auswärtsfahrten. Eine Schande, dass dieses Stadion keinen Denkmalschutz erhalten hat.
Mutig, frech und voller Selbstvertrauen
Ihr habt gekämpft wie der Löwe, der auf eurem Wappen prangt. Ihr habt Niederlagen wegstecken müssen, seid in Aufstiegsspielen gescheitert und wart doch immer ein bisschen zu groß für die Viertklassigkeit. Ihr habt euch Jahr für Jahr nicht unterkriegen lassen, auch wenn am Ende einer dominanten Saison nie der berechtigte Ertrag stand. Ihr musstet zweimal Meister werden, um einmal aufsteigen zu dürfen, solch eine Ungerechtigkeit! Aber jetzt – im November 2020 – zahlt es euch eine überordnende Hand, wir nennen sie gerne Fußballgott, doppelt und dreifach zurück. Wenn die Nachspielzeit angezeigt wird, was denken eure Spieler? Und was denken die des Gegners? Dreimal habt ihr nun schon in letzter Sekunde gewonnen, habt Unterhaching, Duisburg und nun Dresden alt aussehen lassen. Geschenkt, dass euch der KFC Uerdingen einmal auf gleiche Art und Weise einen Punkt geklaut hat. Ihr seid die Meister des späten Angriffs. "Neue Regel: Das Spiel ist erst aus, wenn der FCS das Siegtor geschossen hat", schrieb einer eurer Fans. Den Lohn gibt’s obendrauf: Ihr seid Spitzenreiter nach neun Spieltagen, obwohl ihr nicht gegen nominelle Abstiegskandidaten gespielt habt, sondern gegen Dresden, Rostock, 1860, Duisburg, Uerdingen. Eine tolle Momentaufnahme.
Ich hatte euch schon vor Saisonbeginn auf der Rechnung, denn für mich wart ihr kein ganz normaler Aufsteiger. Das hat verschiedene Gründe. Erstens: Ihr habt euch reich gespielt. Nicht aus Glück oder Zufall oder unlauteren Mitteln, ihr habt es euch verdient. Ihr seid in ein DFB-Pokalhalbfinale eingezogen, habt den deutschen Fußball-Jackpot aus Amateurperspektive geknackt. Nun wollen wir nicht so tun, als wärt ihr Amateure – auch wenn die vierte Liga das Image hat. Ihr habt euch gegen starke Konkurrenz bewiesen, ob sie nun Elversberg heißen oder Offenbach, ob Homburg, Ulm oder Steinbach. Zweitens: Ihr habt auch tüchtige Sponsoren im Hintergrund und einen Präsidenten, der euch finanziell besser stellen kann als vergleichbare große Klubs anderer Städte. Drittens: Ihr seid clever mit euren Mitteln umgegangen. Habt keine große Einkaufstour gemacht, sondern wenige, aber schlaue Transfers getätigt. Marin Sverko und Niclas Shipnoski ergänzen derzeit eure Aufsteigertruppe, so ist das Team weiterhin eingespielt, aber punktuell verstärkt. Bislang geht die Wette ganz hervorragend auf. Ihr spielt mutig, frech, voller Selbstvertrauen. Und steht zurecht ganz oben.
Nur nichts überstürzen
Wie viele andere habe ich die Stirn gerunzelt, als ihr im vergangenen Winter euren Trainer Dirk Lottner gefeuert habt, als Tabellenführer der Regionalliga, als Achtelfinalist im DFB-Pokal. Und Lukas Kwasniok vorgestellt habt, der als Gescheiterter aus Jena kam, dort als Sündenbock galt – obgleich, aber das wusste man erst ein halbes Jahr später, der Kader des sang- und klanglosen Absteigers schlicht kein Drittliga-Niveau hatte. Kwasniok kann nun zeigen, welches Trainertalent in ihm steckt. Ihr habt einen guten Griff getan, auch auf dieser Position. Auch wenn es sich aus dem Umfeld bereits andeutet, dass Saarbrücken die 3. Liga noch längst nicht als Endstation betrachtet: Gebt Kwasniok Zeit, bewahrt auch in Krisenzeiten die Ruhe. Spätestens der nigelnagelneue Ludwigspark hat euch ein Umfeld gegeben, in dem ihr die zweite Liga anpeilen könnt. Nur nichts überstürzen, das ist noch keinem gut bekommen.
Unter allen Fußballfans, die derzeit aus den Stadien verbannt sind, schmerzt es mich besonders, wenn ich an die FCS-Fans denke. Sie waren für Jahre aus ihrem Zuhause verdrängt, tingelten immer wieder nach Völklingen, um dort auf einem besseren Dorfplatz mit Siegen für das unwürdige Dasein ohne Heimat entschädigt zu werden. Jetzt ist der Ludwigspark nach mancher Panne endlich spielfertig, doch mehr als 900 von euch Fans durften noch nicht dabei sein. Dieses verdammte Virus! Zu gönnen wäre es euch, dass sich die Blau-Schwarzen oben etablieren. Und vielleicht, vielleicht im Frühjahr noch einige Feiertage vor mehreren tausend Besuchern möglich werden. Es gibt für euch schließlich noch so manche Party nachzuholen, die in diesem Sommer nicht drin war. Macht weiter so!