Kommentar: Türkgücüs Scheitern war vorprogrammiert
Am Montag zog Türkgücü München mit dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Reißleine. Das gleichermaßen ambitionierte wie ehrgeizige Projekt ist damit krachend gescheitert. Überraschend kommt das nicht, vielmehr war das Scheitert vorprogrammiert. Ein Kommentar.
Welten zwischen Traum und Realität
Das Ziel war ganz groß gesteckt: Im Sommer 2023 wollte Türkgücü München nach dem direkten Durchmarsch in der Landesliga in die 3. Liga in die 2. Bundesliga aufsteigen. Zunächst von der Tribüne aus, später sicherlich mittendrin wollte Investor Hasan Kivran voller Stolz mit allen Beteiligten den Sprung ins Bundesliga-Unterhaus feiern. An weiteren, großen Zielen hätte es dem 55-Jährigen auch dann sicherlich nicht gemangelt. Denn Ehrgeiz und Vision, das wurde in den vergangenen Jahren klar, fehlten dem Geldgeber nicht.
Doch der Blick ins Hier und Jetzt zeigt ein anderes, extrem ernüchterndes Bild. Denn von der 2. Bundesliga könnte der Verein kaum weiter entfernt sein. Als Tabellenachtzehnter – noch vor dem drohenden Neun-Punkte-Abzug durch die Insolvenz – steht das Team einen Punkt hinter einem Nicht-Abstiegsplatz und ganze 33 hinter Spitzenreiter 1. FC Magdeburg. Es sind Welten, die zwischen Realität und Anspruch liegen. Dass Drittligisten, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen, nach der 2. Liga streben, ist bekannt. Doch Kivran wollte den Aufstieg mit viel Geld erzwingen. Ein Unterfangen, das in der Geschichte der 3. Liga noch nie funktionierte. Hätte man wissen können – wenn man sich mit der Liga näher beschäftigt hätte.
Zu große Abhängigkeit von Hasan Kivran
Dass Türkgücü nun gescheitert ist, hat mehrere Gründe. Die Münchner waren – wie es bei vielen solcher Vorhaben passiert – dank der Zuwendung eines Geldgebers zu schnell zu erfolgreich. Ein gesundes Fundament fehlte nach drei Aufstiegen in Folge von der sechsten in die 3. Liga komplett. Und das, zusammen mit der großen Abhängigkeit von Kivran, bricht den Münchnern nun das Genick. Andere Geldgeber konnten in den vergangenen Jahren nicht gewonnen werden. Zwar hatte Kivran immer wieder versucht, Anteile zu verkaufen. Doch das schwache sportliche Abschneiden hatte dies nicht all zu verlockend gemacht. Selbst einen Haupt- und Trikotsponsor gab es nicht.
Und auch ein geplanter Börsengang im vergangenen Jahr brachte nicht das gewünschte Ziel, den Verein finanziell breiter aufzustellen. Sieben Wochen lang konnten 666.666 Aktien zum Preis von je zwölf Euro gekauft werden, was dem Klub rund acht Millionen Euro eingebracht hätte. Doch offenbar wurde das Ziel deutlich verfehlt, denn ohne weitere Mitteilungen wurde das Vorhaben still und heimlich verschoben. Klar, welcher Aktionär möchte sein Geld in einen so unüberlegt geführten Verein investieren. Das Chance-Risiko-Verhältnis war einfach zu schlecht, wie sich nicht zuletzt durch die Insolvenz nun zeigt. Alle, die Aktien gekauft haben, werden maximal einen Bruchteil ihrer investierten Summe zurückerhalten.
Ein weiterer großer Schwachpunkt: Auch die Fanbasis wuchs nicht mit. Wenn Zuschauer erlaubt waren, verirrten sich meist nur wenige hundert Fans ins riesige Olympiastadion. So wie am Samstag gegen Havelse, als gerade mal 600 Zuschauer kamen. Mit einem Schnitt von nur knapp 1.000 Besuchern belegt Türkgücü den letzten Platz in der Zuschauertabelle. Geld verdienen und sich weiter vom Mäzen lösen, konnten die Münchner so natürlich nicht.
Keine Infrastruktur, kein Plan
Auch die Infrastruktur war der eines Drittligisten nicht im Ansatz würdig. Ein eigenes Stadion gab es nicht. Während der ersten Saison wurden die Heimspiele im Grünwalder Stadion ausgetragen, in dieser Saison ist das Olympiastadion die "Heimat". Auch dieser Umstand führt nicht dazu, dass sich potentielle Fans und Gönner mit dem Verein identifizieren konnten. Nicht einmal einen Trainingsplatz konnte der Klub sein Eigen nennen. Es wurde auf einer Breitensport-Anlage trainiert. Auch Schulklassen nutzen diesen Platz.
Investitionen diesbezüglich gab es keine. Das Geld wurde lieber in den Kader gepumpt – allerdings ohne jedes Konzept. Rund 40 (!) Neu-Verpflichtungen innerhalb von eineinhalb Jahren verdeutlichen die Planlosigkeit von Türkgücü eindrucksvoll. Eine homogene Truppe war nie zu erkennen. Das zeigte sich vor allem in dieser Saison. Und auch auf dem Trainerstuhl herrschte keine Konstanz – im Gegenteil: Mit Alexander Schmidt (Juli 2020 bis Februar 2021), Serdar Dayat (Februar bis Mai 2021), Petr Ruman (Juli bis September 2021), Peter Hyballa (September bis November 2021) und Andreas Heraf (seit Januar 2022) durften sich seit dem Aufstieg vor anderthalb Jahren schon fünf Trainer probieren.
Ein mahnendes Beispiel
Die zu große Abhängigkeit von einem launigen Investor, die fehlende Fanbase, die nicht vorhandene Infrastruktur und das völlig planlos Agieren auf dem Spieler- und Trainermarkt: All das führte zum vorprogrammierten Scheitern von Türkgücü, das nun von einer ungewissen Zukunft steht. Der Abstieg wird angesichts des drohenden Neun-Punkte-Abzugs nicht mehr zu verhindern sein, und ob die Münchner in der kommenden Saison in der Regionalliga an den Start gehen können, ist ebenfalls ungewiss. Für den Fall, dass Kivran künftig nicht mehr investieren wird und bis Sommer keine neuen Geldgeber gefunden werden, könnte es den Klub sogar vollständig zerreißen. Einmal mehr ist Türkgücü ein mahnendes Beispiel für alle Vereine, die mit viel Geld schnell nach oben wollen, dabei aber jegliche Weitsicht vermissen lassen. Dem KFC Uerdingen erging es im vergangenen Jahr nicht anders. Doch Warnung genug war das für Türkgücü offensichtlich nicht.
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