Kommentar: Warum sich Münster in der 2. Liga etablieren kann
Schalke, HSV und der 1. FC Köln: Künftig darf Preußen Münster auf der deutschen Fußball-Landkarte wieder an Orten Spuren hinterlassen, die der SCP seit Jahrzehnten vermisst hat. Dass alles größer geworden ist, werden die Adlerträger bemerken. Und doch bringen sie einiges mit, um sich langfristig zu etablieren. Ein Kommentar.
Von der Intensivstation in den siebten Himmel
Was haben die Stuttgarter Kickers, Blau-Weiß 90 Berlin und der TSV Havelse gemeinsam? Sie alle waren Mitstreiter in der bis dato letzten Zweitliga-Saison des SC Preußen Münster. Im Jahr 1990/91 war das, nur die Älteren erinnern sich daran. 33 zumeist triste Jahre sollten an der Hammer Straße folgen, vor allem die erste Hälfte dieser Periode war von kontinuierlichem Rückschritt geprägt. Irgendwann ackerte sich der SCP wieder zurück auf nationale Ebene, war 2011 zurück in der 3. Liga. Stieg 2013 fast auf, aber eben nur fast. Im entscheidenden Moment – ein typisches Gebaren der Preußen – versagten die Nerven. 2020 ging es wieder zurück in die Viertklassigkeit wie einst 2006, mitten in der Corona-Pandemie – schlimmer geht nimmer.
Und jetzt lacht der Münsteraner, jetzt erhebt sich der Adler. Wundersam, überraschend, aber mit der Macht einer Lawine haben die Preußen in den vergangenen Monaten alles um sich herum mitgerissen. Von der Intensivstation ging es nicht nur zurück ins Leben, sondern gleich in den siebten Himmel – es ist ein Ergebnis etlicher guter Entscheidungen und Entwicklungen. Der nun zu Werder Bremen wechselnde Sport-Geschäftsführer Peter Niemeyer schuf ein Mannschaftsgefüge voller Positivität. Das Vertrauen in Trainer Sascha Hildmann, seit viereinhalb Jahren in Amt – genau die richtige Wahl. Erfindet Hildmann den Fußball neu? Nein. Aber er lebt seinen Posten, er lebt den Verein. Die Beziehung passt und wirkt so gefestigt, auch eine womöglich schwere Zweitliga-Debütsaison zu durchstehen. Denn auch die Vereinsspitze und das Fan-Umfeld wirkt geeint wie lange nicht. In Münster, wo sich über viele Jahre selbst die Fangruppen untereinander nicht ganz grün waren, ist das eine beachtliche Leistung. Preußen Münster ist so fest im Stadtbild verankert wie lange nicht.
Darmstadt, Kiel und Heidenheim als Vorbilder?
Die Wucht dieser Entwicklung schob jegliche Drittliga-Konkurrenz beiseite – auch die spielerisch stärkere wie Dresden oder Saarbrücken musste in der Rückrunde kapitulieren. In der 2. Bundesliga, das ist jedem Beteiligten klar, wird Teamgeist und Emotionalität alleine nicht für den Ligaverbleib genügen. Doch diese Grundfaktoren so lange wie möglich zu bewahren, muss das Ziel sein. Unverkennbar ist, dass mehrere Positionen im Kader teils massiv aufgerüstet werden müssen, vom defensiven Mittelfeld über die Flügel bis hin zur Innenverteidigung und das personell noch komplett vakante Tor. Rivale und Nachbar VfL Osnabrück darf ein mahnendes Beispiel sein, wie schnell Aufstiegseuphorie bei einem Klub verschwinden kann, dem im Kader Zweitliga-Niveau fehlte und dem dann das Aufrüsten nicht gelang. Er darf aber übrigens genauso ein positives Beispiel sein, wie ein Verein mit Würde und Anstand wieder absteigt – sollte die Preußen dieses Schicksal ereilen.
Klar: Finanziell werden die Münsteraner gemeinsam mit dem SSV Ulm 1846 tief im Keller der 2. Bundesliga starten. Umso wichtiger werden Vertrauensbekenntnisse der lokalen Wirtschaft und der gemeinsame Wille, im münsterländischen Dunstkreis von Borussia Dortmund und Schalke 04 eine attraktive Top-36-Station des deutschen Fußballs etablieren zu wollen. Wie dies gelingt, haben mit Darmstadt 98, Holstein Kiel und dem 1. FC Heidenheim nun schon drei Vereine gezeigt. Sie alle haben sich gar so weit entwickelt, dass sie das "Wunder" Bundesliga-Aufstieg meisterten – und es sich in keinem der Fälle wie ein Wunder anfühlte, sondern vielmehr als logische Konsequenz langjährig guter, konzentrierter und progressiver Arbeit. Apropos: Da in Münster in drei bis vier Jahren ein hochmodernes 90-Millionen-Euro-Stadion für gut 20.000 Menschen stehen soll, wird der Sportclub auch infrastrukturell deutlich aufholen. Das ist angesichts der Baufälligkeit des Preußenstadions allerdings auch dringendst notwendig.
Es braucht viele Faktoren
Bis dahin werden die Schwarz-Weiß-Grünen viel dazulernen. Vereine wie der SC Paderborn, Greuther Fürth und auch die SV Elversberg gehen mit einem riesigen Wissensvorsprung in das neue Jahr. Bei Namen wie Schalke und dem HSV, aber auch Hannover, Nürnberg und Düsseldorf oder Bochum schwingt aus Sicht der Münsteraner viel Ehrfurcht mit – diese Gegner sind seit Jahrzehnten nicht mehr zu Punktspielen zu Gast gewesen. Die Preußen brauchen jedes Prozent Leidenschaft von ihren Aufstiegshelden. Sie brauchen eine Handvoll neuer Unterschiedsspieler aus dem möglichst glücklichen Händchen von Niemeyer-Nachfolger Ole Kittner, ebenfalls eine Lösung mit viel Stallgeruch. Sie brauchen den Zusammenhalt, der sich in den vergangenen 36 Monaten in Münster entwickelt hat. Und sie brauchen ein Quäntchen Glück. Nur dann ist es möglich, sich längerfristig in den erlesenen Kreis der Zweitligisten hineinzuarbeiten.