Nach 22 Jahren wieder Profifußball? Ulm auf dem Weg in die 3. Liga

Ein netter Vorsprung von derzeit sechs Punkten auf die Kickers Offenbach lässt die Donaustadt Ulm von der 3. Liga träumen. Auch wenn die Historie des SSV sogar Bundesliga-Fußball in diesem Jahrtausend bietet, wäre die Rückkehr in den Profifußball ein enormes Ereignis. liga3-online.de stellt den Tabellenführer der Regionalliga Südwest vor – und zeigt auch, wo er noch nicht drittligatauglich ist.

Formcheck

Etwas Nervosität war beim Anhang vor dem Dienstagabendspiel gegen Ex-Drittligist Aalen (0:0) dann doch vorhanden. Zwei Wochen zuvor hatte es die erst zweite Saisonniederlage im 24. Spiel gesetzt, die erste daheim. Allerdings fiel sie, Kontrahent war mit dem FSV Frankfurt ebenfalls ein alter Bekannter aus der 3. Liga, deutlich aus: Das 1:4 holte den Spitzenreiter ziemlich unsanft in die Realität zurück. "Ein harter Schlag für uns", sagte Trainer Thomas Wörle anschließend. "Kein schöner Tag, aber den nehmen wir mit, weil es zum Sport einfach dazugehört."

Mancher Fan mochte den Denkzettel angekündigt gewusst haben, zuletzt fuhr Ulm zumeist knappe Siege ein. Doch das steckt gewissermaßen in der diesjährigen DNA, denn das Prunkstück ist die Defensive. Die blieb vor jenem 1:4 fünfmal in Serie ohne Gegentor, kommt insgesamt sogar schon auf 15 (!) weiße Westen und entsprechend erst auf 16 Gegentreffer. Bundesweit gibt es in den höchsten vier Ligen nur einen Verein – Carl Zeiss Jena (15) – , der noch besser verteidigt als der Sport- und Schwimmverein von 1846. Die Offensive ist mit 40 erzielten Toren derweil nur die siebtbeste der Südweststaffel. Allein aus diesem Wert ergibt sich ein vorsichtiges Fragezeichen hinsichtlich der offensiven Tauglichkeit für höhere Ziele. Aber schauen wir doch mal in den Kader.

Kader

2.100 Spiele Erfahrung in der Regionalliga Südwest, 840 in der 3. Liga und 129 in der 2. Bundesliga – damit kann der SSV Ulm werben. Zu den bekanntesten Akteuren im derzeitigen Kader zählt etwa Stürmer Lucas Röser, der in 53 Zweitliga-Spielen für Dynamo Dresden zwischen 2017 und 2019 immerhin 13 Tore erzielte. Danach ging es mit der Karriere steil bergab, auch weil den heute 29-Jährigen eine Kreuzbandverletzung für ein ganzes Jahr außer Gefecht setzte. Er kommt auf zehn Saisontreffer, der zweitbeste Torschütze nur noch auf vier – das ist für einen Spitzenreiter ungewöhnlich. Auch Andreas Ludwig (32), lange Jahre in Hoffenheim aktiv, kennt derweil die 2. als auch 3. Liga (Aalen, 1860, Magdeburg).

Mindestens genauso, wenn nicht sogar noch wertvoller wäre im Aufstiegsfall die Erfahrung eines Duos, das in der Rekordspielerliste der 3. Liga trotz jahrelanger Abwesenheit noch die Platz 7 und 21 belegt: Thomas Geyer (32) hält die Innenverteidigung mit Kapitän und Ur-Ulmer Johannes Reichert (31) zusammen, Geyer kommt auf 306 Drittliga-Einsätze (u. a. Wiesbaden, Aalen). 260 sind es beim variablen Stürmer Tobias Rühle (u. a. Großaspach, Münster, Uerdingen), auch er ist schon 32 Jahre alt. Dies zeichnet die Kaderstruktur auch aus: Viele Leistungsträger sind im vielzitierten "perfekten Fußballeralter" zwischen 25 und 30, einige Routiniers auch knapp drüber. Schon auf dem Papier wirkt die Mannschaft höchst homogen, jeder spricht Deutsch, viele stammen aus Süddeutschland. Erstaunlich ist, dass die Abgänge von Adrian Beck (Heidenheim) und Jannik Rochelt (Elversberg) so gut aufgefangen wurden.

Stadion und Infrastruktur

Die Ulmer werden kein Drittliga-Neuling sein, der zunächst eine taugliche Spielstätte suchen muss. Das Donaustadion fasst 19.500 Plätze und feiert 2025 sein 100-jähriges Bestehen. Die letzten größeren Umbaumaßnahmen datieren allerdings auf den Jahrtausendwechsel, rund um den Abstecher in die Fußball-Bundesliga (später mehr). Weite, unüberdachte Kurven und eine Laufbahn wecken Gefühle bei Nostalgikern, sind für die Stimmung gleichwohl eher wenig förderlich.

Um die Spielstätte dem Profifußball heutiger Zeit gewachsen zu machen, soll alsbald rund eine Million Euro für nötige Korrekturen investiert werden. Hierbei geht es laut der "Südwest-Presse" um ein besseres Flutlicht, beleuchtete Zuwegungen sowie das Umsetzen eines zeitgemäßen Brandschutzkonzeptes. Schön für alle, die womöglich ab kommendem Sommer die dortigen Gastvereine anfeuern: Das Stadion ist nicht nur in direkter Donaunähe, sondern liegt auch fußläufig zur vom gewaltigen Ulmer Münster überragten Altstadt.

Die Konkurrenz

Ihre Leistungsschwankungen sind ein zentraler Grund, warum die Aufstiegshoffnungen der Ulmer derart groß sind: Die Kickers Offenbach, der TSV Steinbach Haiger und der FC 08 Homburg wirken zwar teils besser (Offenbach) oder gleichwertig (Steinbach) besetzt, doch seit Monaten schafft es keiner, mit einer Siegesserie dauerhaft Druck auf die Spatzen auszuüben. Das gilt auch für Hoffenheim II, das ebenfalls eine Drittliga-Zulassung beantragt hat.

Natürlich spielt auch die Ligastruktur eine Rolle: Zahlreiche ehemalige Kontrahenten wie Saarbrücken, Elversberg und Mannheim haben sich ihren Weg in die 3. Liga und dort sogar ins obere Drittel gebahnt, hinab kamen nur schwer angeschlagene Vereine: Großaspach und die Stuttgarter Kickers sind nur noch fünftklassig, der VfR Aalen ging zuletzt erneut insolvent. Die zweiten Mannschaft von Stuttgart und Mainz rangieren jenseits von Gut und Böse, sind längst nicht mehr so stark wie früher.

Historie

Wer hätte das gedacht? 1970, als zwei Ulmer Vereine zum heutigen SSV 1846 Ulm fusionierten, war er mit 8.300 Mitgliedern der größte Deutschlands. Zehn Jahre darauf machte sich die Fußballsparte deutschlandweit einen Namen, spielte 1980/81 erstmals in der 2. Bundesliga Süd und zwischen 1983 und 1988 mit einem Jahr Unterbrechung durchweg in der eingleisigen Zweitklassigkeit. Danach verschwanden die Schwarz-Weißen für lange Zeit in Ober- beziehungsweise Regionalliga, ehe ab 1997 das Wunder von Ulm folgte: Ralf Rangnick machte sich als "Fußballprofessor" mit modernster Taktik einen Namen, machte aus dem SSV nicht nur einen Aufsteiger in die 2. Liga, sondern dort auch ein Spitzenteam. Im Bundesliga-Jahr 1999/00 war Rangnick schon nach Stuttgart weitergezogen, Ulm spielte im Schnitt vor mehr als 21.000 Fans und verpasste als 16. am letzten Spieltag den Klassenerhalt.

Es folgte ein Absturz besonderen Ausmaßes: 2001 erst der sportliche Durchmarsch in die Regionalliga, dort wurde die Lizenz verweigert, die erste Insolvenz folgte und die zweite Mannschaft wurde in der 5. Liga zur Ersten umfunktioniert. Viele unruhige Jahre folgten, in die Schlagzeilen geriet der Klub vorrangig wegen Steuerfahndern, Wettmanipulationsverdacht und noch zwei weiteren Insolvenzen (2011 und 2014). Was für ein Chaos! Seit 2016 ist Ulm nun beständiger Regionalligist – und die Aussicht auf nachhaltigen Erfolg im Profifußball lange nicht so gut wie jetzt.

   

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