Persönlichkeiten der 3. Liga: Professor fordert Titel ein
Es ist ruhig, ein Sonntagabend bei einem Italiener in Grünwald, ein wenig außerhalb Münchens. „Mein Freund Uwe“, hallt es einem Mann entgegen, der zur Tür herein kommt. Die gesamte Belegschaft des Restaurants lässt alles stehen und liegen um jenen Uwe zu begrüßen. Man unterhält sich, wie es geht. Und beglückwünscht ihn zum neuen Arbeitsplatz. Der „Freund Uwe“ ist Uwe Wolf und sein neuer Arbeitsplatz der des Trainers vom SV Wacker Burghausen. Wolf ist pünktlich auf die Minute und telefoniert noch kurz. Ein weiterer Gratulant. Er legt auf, entschuldigt sich und versichert, dass er den ganzen Abend Zeit habe um alle Fragen zufriedenstellen zu beantworten. Er strahlt.
Er wirkt entspannt. Seine Augen verlassen nicht den Tisch. Gerade hatte er sich das Spiel der U23 des SV Wackers in Affing angeschaut, welches der SVW in der Nachspielzeit für 1:2 für sich entschied. Das war ihm besonders wichtig, um möglichst schnell ein umfassendes Bild über seinen neuen Arbeitgeber zu bekommen. Bis zur letzten Minute glaubte er an den Sieg: „Ich denke immer positiv.“ Eine Eigenschaft, die er braucht in Burghausen. Mit nur einem Punkt befindet sich der SV Wacker bei Amtsantritt auf dem letzten Platz der Tabelle. Wolf ist seit Freitag im Amt. Nach einer Trainingseinheit verlor er sein Debüt auf der Bank mit 1:4. Das beunruhigt ihn gar nicht. „Ich erwarte keine Wunderdinge“. Was er aber erwartet sind die Basics, wie er sie nennt. Einsatz, Disziplin, Teamgeist. „Man kann mit mir Pferde stehlen“, sagt er. „Überall auf der Welt, wo ich war, darf ich gerne wieder hingehen.“
Mexikanischer Wolf – El Lobo
Er spricht von seiner Zeit in Mexiko. Von 1995 ab spielte er drei Jahre lang in der höchsten mexikanischen Spielklasse und wurde mit Nexaca und Spielern wie Luiz Hernandez und Alex Aguinaga Meister – vor 120.000 Zuschauern im Azteken-Stadion. Seine Augen leuchten. Er spricht gerne über Mexiko, dabei ist ihm sehr wichtig, dass er immer noch viel Kontakt dorthin hat. Er blickt melancholisch zur Decke. Er ist der Patenonkel seiner ehemaligen Nachbars-Tochter. Außerdem unterstützt er zusammen mit ehemaligen Spieler-Kollegen ein Waisenhaus. Aus seiner Zeit in Mittelamerika stammt sein Spitzname „El-Lobo“ (dt. der Wolf), den er ehrt. Selbst seine E-Mail Adresse enthält den Namen. „Viele Freund nennen mich so“, erzählt er zufrieden.
Sein Handy klingelt. Er geht nicht hin. „Das geht nicht. Das wäre mangelnder Respekt.“ Respekt, das ist ihm besonders wichtig. Immer wieder fällt dieser Begriff. In Mexiko sagt er „nennt man den Trainer Professor, in Italien Mister“. Er wird lauter und gestikuliert: „In Deutschland sagt man Übungsleiter. Wo bleibt da der Respekt?“. Er redet sich in Rage. Diese Bezeichnung wird seiner Meinung nach nicht der Verantwortung gerecht, die ein Fußballlehrer hat. Fußballlehrer, das ist die Bezeichnung, die er bevorzugt, oder Chef-Trainer. „Klar, bin ich der Boss“, sagt er. Aber auch ein Teamplayer. Von seinem Vorbild, dem ehemaligen Trainer der mexikanischen Nationalmannschaft Manuel Lapuente, hat er gelernt die Spieler in seine Überlegungen miteinzubeziehen. “Die Entscheidung aber, treffe ich.“ Er lehnt sich zurück.
Die Chef-Debatte kam zum ersten Mal auf in seiner Zeit als Interimstrainer bei 1860 München. In der Spielzeit 2008/2009 war er für 12 Spiele verantwortlich für die Löwen. Genauestens erinnert er sich an jedes Spiel. Er zeichnet den Weg und die Ergebnisse nach. Eine echte Chance, der „Chef“ zu bleiben sah er nie. Das Präsidium sprach von „Chili-Power“, die Wolf vermittelte, verpflichtete jedoch Ewald Lienen zur neuen Saison. Wolf trug während dieser Spiele weiterhin eine Jacke mit der Aufschrift „CO“, aus Respekt gegenüber seinem Vorgänger Marco Kurz.
Die Verbindung zu 60 München werde nie abbrechen, alleine schon weil sein Sohn Leo von Geburt an Mitglied des TSV ist – Geburtsdatum: 18.6. 2009. Wolf lacht, zieht seine Brieftasche heraus und zeigt stolz den Mitgliedsausweis von Leo Wolf. Gerne erinnert er sich an die Geburt seines einzigen Sohnes. Er habe am 18.6.2009 mehrere Einladungen abgelehnt, weil die Geburt des Filius auf dieses Datum terminiert war. „Ich wusste, er würde an diesem Tag zur Welt kommen – so genau wie der Vater.“ Genau dokumentiert er seine gesamte Arbeit als Trainer. Jedes einzelne Training seit ich Fußballlehrer ist schriftlich dokumentiert und abgeordnet.
Flick und Wolf – Anfänge in Hoffenheim
Trainer ist er seit 2003, Fußballlehrer seit 2006. Vier Jahre lang war er für die A-Junioren der TSG Hoffenheim verantwortlich – seine erste Station als Trainer. Hansi Flick hatte ihn seinerzeit verpflichtet, um die Mannschaft in die A-Junioren Bundesliga zu führen. Im ersten Jahr musste Wolf dem KSC den Vortritt lassen, im zweiten Jahr dann, klappte es. Wichtig ist ihm dabei, herauszustellen, dass er Verbandsliga-Spieler zu Bundesliga-Spielern machen musste. Die B-Junioren der TSG spielten zu dieser Zeit nicht in der höchsten Klasse. Die Basis für den Aufstieg legten damals Spieler wie Thorsten Kirschbaum oder Nick Proschwitz. Bundesliga Shooting-Star Jonas Hofmann ging durch sein Junior Soccer-Team. Alles Spieler, zu denen er noch heute Kontakt pflegt. Er zieht sein Handy zur Hand und zeigt Glückwunsch-Nachrichten. Benny Lauth, Patrick Wolf, selbst ein Freund aus Brasilien habe sich sein erstes Spiel via Livestream angeschaut. Das freut ihn besonders. 2007 dann entschied er sich im Seniorenbereich zu trainieren. Ralf Rangnick hatte nach der Beurlaubung Flicks übernommen und in Hoffenheim war keine Stelle im Seniorenbereich frei. 1860 und Stefan Reuter boten ihm die Stelle des U23-Trainers an.
Wolf und die Presse
Gerne spricht er über Fußball, über das, was er von seinen Spieler verlangt. Immer wieder betont er, dass die Spieler „sein wichtigstes Gut“ sind. Er würde für sie „durchs Feuer gehen“. Er hakt immer wieder nach um herauszustellen, dass nichts so wichtig sei, wie seine Mannschaft. Er spricht lieber von Inhalten – vielleicht ein Grund, warum die Medien kein gutes Bild von ihm haben. Bei Wolf stehen Inhalte vor Nettigkeiten. Die Presse, gerade in Kassel, war sehr negativ geprägt: „50 Prozent derer, die pro Wolf sind, sind ehemalige Kollegen oder Spieler, die andere Hälfte Presse – oder Leute, die mich inhaltlich nicht kennen.“ Er selbst liest nicht viele Beiträge. Wenn es aber um seine Spieler geht, kommt es schon mal vor, dass er die Journalisten berichtigt. Auch hier erwartet er Respekt und Genauigkeit.
Zwischen den Trainerstationen hospitierte er bei Real Madrid, unter dem damaligen Trainer Manuel Pellegrini. Eine Chance, die ihm seine Freunde, Real-Legende Emilio Butragueno und Hansi Flick ermöglichten. Butragueno kennt er aus seiner Zeit in Mexiko. Vor seiner Zeit in Burghausen war er zur Hospitanz am Gardasee, mit Pep Guardiola und dem FC Bayern München: „Er ist ein guter Typ.“, äußert er sich über den FCB-Chef-Trainer. Die Tatsache, dass er spanisch spricht, half bei der Verständigung. Diese Chance ermöglichte Matthias Sammer – ein Bekannter. Sein Telefon klingelt erneut – der Wacker-Präsident. Er zögert kurz, schaut Sekunden auf das Display und spricht weiter. Er kommt nochmal auf Presse zurück. Das scheint ihm wichtig. Das Verhältnis war nie angespannt und er bemühe sich um professionelle Zusammenarbeit. Immer wieder merkt man ihm an, dass er eine flapsige Bemerkung zur schreibenden Zunft auf Lager hat. „Teilweise gönnen die mir nicht den Dreck unter den Fingernägeln.“
Meister und Fan-Liebling in Kassel
Er spricht seine Zeit in Kassel an, als die Fans per Choreografie seine Vertragsverlängerung forderten. Etwas, das es nie gab in Kassel. Er zeigt Bilder. Noch heute denkt er gerne zurück, an das Verhältnis zur Kassler Fanszene. Er blickt wieder zur Decke. Damals habe man ihm vorgeworfen, er habe das inszeniert. Er lacht ironisch. KSV Hessen Kassel war seine letzte Trainerstation. Hier gewann er die Meisterschaft der Regionalliga Südwest unter scheitere nur in der Relegation an Holstein Kiel. Danach verlängerte er seinen Vertrag nicht. Finanzielle Aspekte waren kein Grund. Kassel legte einen Konsolidierungsplan vor, dem er nicht zustimmen wollte. „Es geht darum, im Sinne des Vereins zu handeln.“ Seine Stimme wird etwas lauter. Der Verein wusste, „das Angebot“, das man ihm vorlegte, würde er „nie annehmen“.
„Ich hätte weinen können“
Aus seiner Kassler Zeit stammt auch das Gerücht um eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch im Juni 2013. Per Vertrag wurde ihm ein Zimmer in einem Hotel zugesichert. In diesem Hotel wollte er im Vorfeld der Relegationsspiele gegen Kiel eine Pressekonferenz veranstalten, als „Wertschätzung gegenüber dem Hotel“. Diese wurde ihm jedoch verweigert. Anfang Juni erfuhr er „hinter seinem Rücken“, dass er das Zimmer räumen sollte, das ihm noch knapp vier Wochen zusteht. Er stellte im Beisein seiner Eltern den Vorstand zur Rede. Man versicherte ihm. es sei „nichts dran“.
Zurück aus dem Urlaub musste er feststellen, dass seine persönlichen Dinge in einer Besenkammer des Hotels abgestellt waren, sein Zimmer geräumt: „Ich hätte weinen können“. Er habe entsetzt die Polizei verständigt. Selbst der Polizist konnte nicht fassen, wie man den Meistertrainer behandelte. Auf dem Hotel-Parkplatz packte er seine Koffer. Wolf fehlte der Respekt. Außerdem wurde zwar groß über das Ereignis berichtet, jedoch wurde es nie berichtigt. Das merkt er erst eine Stunde später an. Es scheint ihn gar nicht groß zu kümmern.
Der Wolf – ein Rudeltier
Respekt zeigt er jedem Mitarbeiter eines Vereines. In seiner Ära als KSV-Trainer gab es eine Art Zeugwart, der halbtags arbeitete und noch nicht einmal Vereinsbekleidung trug. Der Verein habe dafür kein Geld – auch nicht um ihn auf Auswärtsfahrten mitzunehmen. Wolf selber setzte sich für ihn eine und bezahlte Fahrt und Hotelzimmer. Der Zeugwart war von nun an „Teil der Mannschaft“. Ähnlich geht er es in Burghausen an. Er fordert von seinen Spieler die Begrüßung der gesamten Geschäftsstelle, „genauso, wie sie den Präsidenten grüßen.“ Respekt, aber auch Disziplin. Er fordert „volle Hingabe – sonst kannst du es gleich lassen.“ Auch altmodische Dinge schätzt der Trainer Uwe Wolf: „Essen in Badelatschen gibt es bei mir nicht.“ Inzwischen ist es 21:30 Uhr. Wolf wird noch heute Abend nach Burghausen fahren, knapp eineinhalb Stunden Fahrtzeit. Dort wird er auch wohnen. „Ich bin kein Trainer, der frei gibt, um nachhause zu fahren. Ich arbeite in Burghausen und lebe auch dort“. Er nimmt den letzten Schluck Espresso und fügt hinzu: „Und Arbeit gibt es viel“ Er verlässt den Italiener, lädt die Belegschaft ein, zum anstehenden Spiel in Unterhaching und umarmt den Chef. Es geht noch zwei Minuten nach Hause und dann ins neue Zuhause, nach Burghausen.