Rafati: "Es war vollkommen richtig, das Spiel abzubrechen"

Nach dem Abbruch der Partie Zwickau gegen Essen spricht Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati im Interview mit liga3-online.de darüber, ob der Abbruch die richtige Entscheidung war, erklärt, was in einem Schiedsrichter vorgeht, wenn er ein Spiel abbrechen muss – und wie den steigenden Fehlentscheidungen in den letzten Monaten entgegengewirkt werden kann. 

"So ein Vorfall ist durch nichts zu entschuldigen"

liga3-online.de: Die wichtigste Frage zuerst: War der Spielabbruch alternativlos?

Babak Rafati: Der Schiedsrichter hatte nach dem tätlichen Angriff auf sich überhaupt keine andere Wahl, als das Spiel abzubrechen. Nachdem er mit Bier überschüttet wurde, wäre es ihm nicht mehr möglich gewesen, Entscheidungen mit klarem Kopf zu treffen. Daher war es vollkommen richtig, das Spiel abzubrechen – auch, um ein Signal für die Zukunft zu senden.

Die Bierdusche tat zwar körperlich nicht weh, allerdings wurde der Schiedsrichter damit herabgewürdigt. Das ist ein seelischer Schmerz. Für mich war es ein Schock, als ich die Szene gesehen habe. So ein Vorfall ist durch nichts zu entschuldigen. Einen Schiedsrichter nicht gut zu finden und zu pfeifen, gehört zum Geschäft dazu. Doch hier wurde eine Grenze überschritten, was knallhart bestraft werden muss. So ein Verhalten hat nirgendwo etwas zu suchen. Dass er die Entscheidung, das Spiel abzubrechen, alleine getroffen hat, war ebenfalls vollkommen richtig, weil die Vereine natürlich andere Interessen haben.

Hätte Winter zunächst auch nur mit Abbruch drohen können?

Die Möglichkeit gibt es sicherlich. Etwa, wenn ein Schiedsrichter-Assistent aus der Ferne beworfen und nicht richtig getroffen wird. Wenn der Schiedsrichter aber wie in diesem Fall aus einem Meter und ganz bewusst Bier ins Gesicht geschüttet bekommt, ist der Angriff anders zu bewerten.

Macht es einen Unterschied, ob der Schiedsrichter mit Bier übergossen wird oder von einem Gegenstand getroffen wird?

Nein, das spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass der Schiedsrichter herabgewürdigt wurde. Man hat gesehen, wie er sich erschrocken hat.

Hätte die Partie auch abgebrochen werden können, wenn ein Spieler die Bierdusche ins Gesicht bekommen hätte?

Das wäre möglich gewesen, da gibt es keinen Unterschied. Zumal es dann auch darum geht, dass die Mannschaft von dem Angriff mental betroffen ist.

 

"Er darf sich nicht als Schuldigen für den Abbruch sehen"

Was geht in einem Schiedsrichter vor, wenn er die Entscheidung treffen muss, ein Spiel abzubrechen?

Für den Schiedsrichter wird es eine sehr schwierige und emotionale Entscheidung gewesen sein. Du bist in so einem Moment geschockt und seelisch so verletzt, dass du gar nicht in der Lage bist, ein Spiel wieder anzupfeifen. Es wäre falsch gewesen, das Spiel nur wieder anzupfeifen, um eine vermeintliche Stärke zu zeigen. Dem Schiedsrichter wird es in den nächsten Tagen mental schlecht gehen. Das muss psychisch aufgearbeitet werden.

Am nächsten Wochenende wird er sicherlich kein Spiel pfeifen. Wichtig wäre aber, ihn in zwei Wochen, nachdem das Thema aufgearbeitet wurde, wieder auf den Platz zu schicken. Das wird dann sein schwierigste Spiel. Wichtig ist für ihn aber zu verstehen, dass nicht er als Nicolas Winter im Fokus stand, sondern in seiner Funktion als Schiedsrichter. Er darf sich nicht als Schuldigen für den Abbruch sehen und sich fragen, ob er in den strittigen Szenen anders hätte entscheiden müssen, um einen Abbruch zu verhindern.

Hätte der FSV Zwickau den Schiedsrichter besser schützen müssen?

Natürlich ist man nachher immer schlauer. Aber es war so, dass es vor der Bierdusche schon Pfiffe gegen den Schiedsrichter gegeben hat. Dann muss ein Verein sensibilisiert werden und den Schiedsrichter mit Schirmen schützen. Die Vereine müssen sich Gedanken machen und sofort handeln, damit so etwas nicht mehr passiert.

Die Zahl der Fehlentscheidungen hat zuletzt zugenommen. Wie lässt sich dem entgegenwirken?

Das Problem in der Schiedsrichter-Ausbildung ist aus meiner Sicht, dass zu viel fachbezogen ausgebildet wird. Es geht um die Auslegung der Regeln und Laufwege, nicht aber um Stressmanagement, Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikation. Hinzukommt, dass in der 3. Liga viele junge und unerfahrene Schiedsrichter pfeifen. Dann machen sie Fehler und bekommen Stress, was sie mit Arroganz überspielen. Sie müssen lernen, mehr mit den Spielern und Trainern zu sprechen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.

Nur zu sagen: 'Gehen Sie weg, ich entscheide', ist nicht der richtige Weg. Die 3. Liga ist für den DFB eine Ausbildungsliga, was auf den Schultern der Vereine ausgetragen wird. Zudem fehlt die Transparenz, dass Schiedsrichter öffentlich ihre Entscheidungen erklären. Wenn sie sich auf der Pressekonferenz nach den Spielen äußern, würde das vielmehr Glaubwürdigkeit und Akzeptanz schaffen.

   

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