Rot-Weiss Essen lindert die Sorgen – aber wie lange?
Was für eine Schlacht war das am Samstag, und was für eine Erlösung folgte mit dem Abpfiff: Unter widrigsten Bedingungen befreite sich Rot-Weiss Essen aus der Abstiegszone, noch bevor der Klub so richtig hineingerutscht war. Doch war das 2:0 über Freiburg II im Ruhrgebietsmonsun ein Ergebnis, aus dem sich Langfristiges ziehen lässt? Es bleiben Zweifel.
Zerfleischung vorübergehend gestoppt
Den wichtigsten Neuzugang für die kommende Saison hat Rot-Weiss Essen längst eingetütet. Anfang Juni, so verriet es Geschäftsführer Marcus Uhlig jüngst dem "RevierSport", wird der Rasen im Stadion an der Hafenstraße ausgetauscht. Nicht etwa ein Rollrasen, sondern ein frisch eingesätes Grün soll dort dann bis zum Saisonstart wachsen. Wie notwendig ein besseres Geläuf ist, war nach dem jüngsten von so manchen Regenspielen dieser Saison gegen Freiburg offensichtlich. Kurioserweise aber halfen Witterung und schlechter Stand gegen den spielstarken Titelanwärter: In puncto Kampf, Leidenschaft und all dieser Grundlagen durften die 14.000 Fans hochzufrieden sein, die Tore kurz vor und nach der Pause kamen zu sehr guten Zeitpunkten – so einfach lässt sich an manchen Tagen eine Mannschaft besiegen, die zum Besten gehört, was die 3. Liga zu bieten hat.
Nun ist nicht alles, was glänzt, gleich ein wertvolles Edelmetall, und was nach der Schlammschlacht am Wochenende noch hervorblitzte, darf daher nicht überbewertet werden. Aber: Der Abstand von sieben Punkten auf die Abstiegszone ist ein wichtiger, vielleicht fehlen noch fünf, sechs Zähler bis zum sicheren Ligaverbleib. Dazu wurde das Rad der im Verlauf einer Saison fast schon obligatorischen Zerfleischung vorübergehend gestoppt. "Wir kennen diese Selbstzerstörungstendenzen", sagte Uhlig dem "RevierSport". "Ich kann es verstehen, dass im Umfeld eine gewisse Angst grassiert, jetzt wieder abzusteigen." Und bezog dies klar auf den zuletzt unter Fans angezählten Trainer Christoph Dabrowski: "Ich hoffe, dass die Trainerdiskussion, die wir nie geführt haben, beendet ist."
Unruhe abseits des Platzes
Platz 13, 36 Punkte, ein paar Unentschieden zu viel, aber auch nur jedes dritte Spiel verloren: Für einen Aufsteiger bewegt sich Rot-Weiss Essen voll im Soll. Für einen, der die Ambitionen auf höhere Ziele schon im ersten Jahr schwer verbergen kann und dies unter anderem mit beeindruckenden Zuschauerzahlen untermauert, ist selbst eine solche Bilanz aber schwer zu vermarkten. Wie kurz die Zündschnur war, zeigte kürzlich das knappe Weiterkommen im Niederrheinpokal, das bei Regionalligist Bocholt erst im Elfmeterschießen gelang. Danach folgten hässliche Szenen, aus dem Gästeblock gab es rassistische Rufe gegen eigene Spieler. Einer der vielen Tiefpunkte vergangener Jahre – auch diese Momente holen RWE immer wieder ein. Der Kampf gegen solche Tendenzen, dem sich Essen offiziell stets verschreibt, er muss noch viel intensiver und unbequemer geführt werden. Immerhin folgte das schöne Zeichen: Lawrence Ennali, der Betroffene aus dem Bocholt-Spiel, wurde am Samstag lautstark gefeiert.
"Diese Phase haben wir uns alle zuzuschreiben: Mannschaft, Trainerteam und Verantwortliche", sagte Sportchef Jörn Nowak am Samstag derweil bei "MagentaSport". Auch der Ex-Spieler, der als Funktionär sein Debüt in der 3. Liga gibt, gehört zu denen, die in dieser Saison dazulernen mussten. Vor allem das Stürmertrio erwies sich als nicht verlässlich genug, wurde womöglich vorab überschätzt: Regionalliga-Torjäger Simon Engelmann kämpfte mit Verletzungen, aber auch mit dem höheren Niveau. Für ihn endete mit dem Tor gegen Freiburg eine halbjährige Durststrecke, bei Ron Berlinski waren es immerhin 14 Spiele ohne Treffer. Und Luca Wollschläger, die einst vielversprechende Leihgabe von Hertha BSC, kommt überhaupt nicht zum Zug.
RWE muss sich Zukunftsfragen ehrlich stellen
Das Problem der Ineffektivität greift auf andere Positionen über, denn auch die Flügelstürmer Isaiah Young und Ennali, die zuletzt beide nur noch auf der Bank saßen, machten aus etlichen Aktionen viel zu wenig Zählbares. Die sonstige Substanz des Kaders ist eine gute, mit zwei, drei Verstärkungen ließe sich aus Abwehr und zentralem Mittelfeld bereits ein ordentlicher Grundstock für den Angriff aufs obere Drittel bilden. Kapitän Felix Bastians ist mit fast 35 Jahren noch ein Unterschiedsspieler. Transfers wie jene von Felix Götze, Björn Rother und Clemens Fandrich verdeutlichten schon im vergangenen Sommer, in welches Regal RWE zu greifen gewillt ist. Für dieses investierte Geld, diese individuelle Klasse ist die Platzierung und das, was dahinter steckt – der spielerische Ansatz – nicht ausgereift genug.
Rot-Weiss Essen muss sich schon in diesen Wochen seinen Zukunftsfragen ehrlich stellen. Gibt es die Überzeugung, in Christoph Dabrowski den Mann in seinen Reihen zu wissen, der auch für die kommende Spielzeit eine Weiterentwicklung einleiten kann? Falls ja, ist jedes Vertrauen gerechtfertigt. Doch: Die Stagnation in einer Rückrunde, in der RWE ungefährlich geworden ist und im Schnitt weniger Punkte holt, ist unverkennbar und durch einen erkämpften Heimerfolg noch nicht ausgeblendet. "Wir stehen im Pokalfinale und sind auf Kurs Klassenerhalt. Solange alles im Soll ist, warum soll man sowas hinterfragen?", nahm Stürmer Berlinski im "RevierSport" Stellung zur Trainerdiskussion. Die Antwort liegt nahe: Weil RWE mit dem jetzigen Status nicht mehr lange zufrieden sein wird. Jetzt hat Dabrowski Zeit, Argumente zu sammeln. Angefangen am Samstag auswärts in Dresden. Die Chance, dass nochmals ein Sturzregeln die spielerische Problematik verhüllt, ist gering.