Strittige Szenen am 10. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Der Platzverweis gegen Sicker, das 2:1 für Duisburg, die nicht gegebenen Elfmeter für 1860 und Halle, die Freistöße vor den Toren für Uerdingen, die Nachspielzeit in Meppen, der Strafstoß für Magdeburg und das 3:0 für Bayern II. Am 10. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de neun Szenen genauer angeschaut.
[box type="info"]Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 48-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf ist Rafati heute Mentalcoach für Profifußballer und Manager sowie ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).[/box]
Szene 1: Maximilian Rohr (Carl Zeiss Jena) startet bei einem hohen Anspiel frei durch und wird nur noch von Arne Sicker (MSV Duisburg) verfolgt. Rohr stolpert und fällt, Schiedsrichter Franz Bokop schickt den MSV-Verteidiger wegen einer Notbremse mit der roten Karte vom Platz. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball kommt es circa 30 Meter vor dem Duisburger Tor zu einem Laufduell zwischen Rohr und Sicker. Dabei kommt Rohr zu Fall. Eine schwierige Situation für den Schiedsrichter. Die Frage nach einem Kontakt lässt sich sogar anhand der TV-Bilder nicht zweifelsfrei auflösen. Es sieht eher danach aus, dass Rohr über seine eigenen Füße stolpert. Es kann auch sein, dass Sicker ihn im Laufduell minimal berührt und dadurch dieser Stolperer zustande kommt, aber das ist eine Spekulation. Bei diesem Zweifel, ob überhaupt ein Kontakt vorgelegen haben könnte, ist es immer klüger, weiterspielen zu lassen und nicht unnötig einzugreifen. Für mich eine Fehlentscheidung, in dieser Szene trotzdem auf Foulspiel zu entscheiden und zudem in der Folge Sicker für eine vermeintliche Notbremse die rote Karte zu zeigen.
Szene 2: Duisburg führt eine Ecke aus, in der Mitte umklammert Marvin Compper (MSV Duisburg) Dominic Volkmer (Carl Zeiss Jena) und bringt diesen zu Fall. Unbeteiligt an der Szene netzt Vincent Vermeij zum Führungstreffer ein, der Unparteiische gibt das Tor. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]
Babak Rafati: Nach einem Eckball von Duisburg wird Compper zunächst von seinem Gegenspieler ein wenig bedrängt, was aber noch im Bereich des Erlaubten ist. Compper wiederum umklammert Volkmer entscheidend, verhindert, dass dieser zum Kopfball hochspringt und bringt ihn dadurch final zu Fall. Das ist ein Stürmerfoul, sodass der anschließende Treffer nicht hätte zählen dürfen. Somit eine Fehlentscheidung, diesen Treffer für Duisburg anzuerkennen.
Szene 3: Julian Guttau (Hallescher FC) tankt sich über den Flügel in den gegnerischen Strafraum, wo sich ihm Benjamin Kessel und Robin Becker (Eintracht Braunschweig) entgegenstellen. Zwischen Guttau und Becker kommt es zum engeren Zweikampf, der Hallenser fällt und Schiedsrichter Guido Winkmann entscheidet sich gegen einen Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]
Babak Rafati: Der Schiedsrichter steht im Strafraum von Braunschweig optimal zum Zweikampf und sieht sehr gut, dass der Braunschweiger Verteidiger seinen Gegenspieler Guttau unten im Fußbereich nicht trifft und oben im Oberkörperbereich alles im Bereich des Erlaubten ist. Der leichte Schubser reicht für einen Strafstoß nicht aus. Eine richtige Entscheidung, in dieser Szene weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Jan Kirchhoff (KFC Uerdingen) wird hoch angespielt und von Willi Evseev (SV Meppen) bearbeitet. Von der Seite kommt Meppens Hassan Amin dazu und fährt sein linkes Bein aus. Schiedsrichter Michael Bacher pfeift Freistoß, aus dem das 0:1 resultiert. [TV-Bilder – ab Minute 17:05]
Babak Rafati: Amin fährt an der Seitenlinie das Bein aus, trifft Kirchhoff und bringt ihn dadurch etwas aus dem Tritt. Diesen Zweikampf als Foulspiel auszulegen und einen Freistoß zu geben, ist eine vertretbare Entscheidung.
Szene 5: Tobias Rühle (KFC Uerdingen) stibitzt Marco Komenda (SV Meppen) den Ball und dribbelt auf dem Flügel. Der Innenverteidiger stellt den Krefelder erneut und nimmt den rechten Arm zur Hilfe, Rühle kommt nach leichter Berührung zu Fall. Der Unparteiische entscheidet erneut auf Freistoß, wieder fällt daraufhin ein Tor für den KFC. [TV-Bilder – ab Minute 1:51:05]
Babak Rafati: Dieser Zweikampf, bei dem Rühle minimal berührt wird, ist korrekt – es liegt somit kein Foulspiel vor. Hier einen Freistoß zu pfeifen, ist nicht nur sehr kleinlich, sondern einfach nur falsch. Gerade in der Nähe des Strafraums sollte man fußballtypische Zweikämpfe zulassen und nicht unnötige Standards, die heutzutage Spiele entscheiden können und daher immer mehr geschindet werden, verhängen. Eine Fehlentscheidung, diesen Zweikampf zu unterbinden und einen Freistoß für Uerdingen zu verhängen.
Szene 6: Nach einem Zweikampf mit Willi Evseev (SV Meppen) in Spielminute 89:45 bleibt Jean-Manuel Mbom (KFC Uerdingen) im Mittelkreis liegen. Die angezeigte Nachspielzeit von drei Minuten beginnt während der Behandlung. Das Spiel wird erst wieder bei 90+ 1:04 angepfiffen und läuft dann bis zur Minute 90+ 3:45 – für SVM-Trainer Christian Neidhart in der Differenz zu wenig Nachspielzeit. [TV-Bilder – ab Minute 2:02:35]
Babak Rafati: Verloren gegangene Zeit – wegen Verletzungen – muss der Schiedsrichter nachspielen lassen. Vergeudete Zeit – wegen Zeitspiel – kann der Schiedsrichter nachspielen lassen. In diesem Fall vergehen wegen der Verletzungspause kurz vor Schluss zwei Minuten. Diese Zeit muss somit nachgespielt werden. Was diesbezüglich vorher passiert ist, kann hier nicht überprüft werden. Aber natürlich ist der Ärger der Meppener nachvollziehbar. Im Normalfall gibt der Schiedsrichter 2-3 Minuten Nachspielzeit, wenn man die 2 Minuten in dieser Szene dazu addiert, wäre es klüger und taktisch besser gewesen etwas länger nachspielen zu lassen.
Szene 7: Bei einem weiten Pass in den Würzburger Strafraum gehen Rico Preißinger (1. FC Magdeburg) und Sebastian Schuppan (Würzburger Kickers) gleichermaßen zum Ball. Schuppan verpasst das Spielgerät, das nach einem Abpraller von Preißinger den ausgestreckten Arm des FWK-Verteidigers touchiert. Schiedsrichter Asmir Osmanagic pfeift Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]
Babk Rafati: Nach einem langen Pass in den Strafraum von Würzburg geraten Preißinger und Schuppan im Zweikampf aneinander. Dabei wird Schuppen von Preißinger grenzwertig angerempelt und aus dem Gleichgewicht gebracht. Der Verteidiger bekommt den Ball hierbei ohne Orientierung und ohne Absicht an den Arm. Es liegt somit keine Absicht vor, zumal der Arm auch nicht entscheidend über der Schulter ist, was ab dieser Saison grundsätzlich strafbar ist. Der Schiedsrichter entscheidet aber sofort auf Strafstoß. Weiterspielen wäre die richtige Entscheidung gewesen, wobei auch auf Stürmerfoul zu entscheiden möglich gewesen wäre. Eine Fehlentscheidung, auf Strafstoß für Magdeburg zu entscheiden.
Szene 8: Löwen-Stürmer Sascha Mölders wird im Strafraum von Carlo Sickinger und Kevin Kraus (1. FC Kaiserslautern) zu Fall gebracht. Einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 49:10]
Babak Rafati: Mölders wird bei einem Angriff im gegnerischen Strafraum lang angespielt und kommt dabei mit zwei Verteidigern im Kampf um den Ball in einen Dreikampf. Dabei will Kraus den Ball vor Mölders klären, trifft den Angreifer aber klar und deutlich und bringt ihn entscheidend zu Fall. Das ist ein lupenreines Abräumen, somit ein Foulspiel und hätte folglich einen Strafstoß für 1860 nach sich ziehen müssen. Eine klare Fehlentscheidung des Schiedsrichters, dieses Vergehen nicht zu ahnden
Szene 9: Im Mittelkreis drückt Kwasi Okyere Wriedt (FC Bayern) seinen Gegenspieler Simon Scherder (Preußen Münster) mit dem Arm beiseite, trifft dabei wohl den Kehlkopf des Verteidigers. Scherder geht zu Boden und bleibt liegen, Bayern spielt weiter und Wriedt erzielt das 3:0 für die Münchener. Schiedsrichter Johann Pfeifer gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 48:15]
Babak Rafati: Im Mittelfeld kommt es zu einem Zweikampf zwischen Wriedt und Scherder. Wriedt bekommt den Ball hoch angespielt und stellt nur den Gegner. Dabei schlägt er nicht mit dem Arm nach seinem Gegenspieler, der hinter ihm steht, vielmehr geht Scherder selbst unglücklich nach unten und verursacht einen möglichen Kontakt. Hierbei ist alles regelgerecht und somit eine richtige Entscheidung vom Schiedsrichter, das Spiel nicht zu unterbrechen und den anschließenden Treffer anzuerkennen. Die Frage, ob der Schiedsrichter das Spiel für eine Behandlung hätte unterbrechen können, da Scherder möglicherweise noch verletzt am Boden lag, obliegt nur dem Schiedsrichter. Aus meiner Sicht lag eine ernsthafte Verletzung aber nicht vor.
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