Strittige Szenen am 11. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Platzverweise gegen Eitschberger und Kutschke, die nicht gegebene rote Karte gegen Stöcker, Fechner und Kastanaras, die nicht gegebenen Elfmeter für Rostock (2), 1860 und Sandhausen, das 2:0 für Saarbrücken, der Elfmeter für Osnabrück sowie das 1:1 für Aue. Am 11. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Im Mittelfeld begeht Julian Eitschberger (Essen) ein taktisches Foul an Berkan Taz (Verl) und sieht dafür zunächst Gelb. Kurz danach, als klar wird, dass der Verler nicht mehr weitermachen kann, nimmt der Schiedsrichter die gelbe Karte zurück und zeigt glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]

Babak Rafati: Taz spielt Eitschberger aus, dabei foult Eitschberger seinen Gegenspieler, indem er das Bein ausstreckt, Taz trifft und ihn zu Fall bringt. Hier die gelbe Karte zu zeigen, sieht auf den ersten Blick richtig aus. Dadurch, dass sich Taz schwerwiegender verletzt, vergewissert sich der Schiedsrichter in der Unterbrechung noch einmal und erkennt womöglich, dass Taz an der Achillessehne getroffen wurde, blutet und folglich nicht weiterspielen kann. Deshalb revidiert er seine Entscheidung und zeigt Eitschberger die rote Karte. Regeltechnisch kann man eine Entscheidung bis zur nächsten Spielfortsetzung zurücknehmen und korrigieren. Das tut der Schiedsrichter auch in diesem Fall. Die Schwere der Verletzung ist regeltechnisch zwar nicht maßgeblich für eine Kartenfarbe, aber dennoch ist es richtig und klug, dass der Schiedsrichter diese berücksichtigt. Das Ganze sieht natürlich in der Außenwirkung unglücklich aus, aber die Entscheidung für eine rote Karte ist schlussendlich richtig.

Natürlich wäre es besser und glaubwürdiger gewesen, gleich die rote Karte zu zeigen, aber im normalen Ablauf war das Erkennen des gesamten Vorgangs gar nicht möglich. Alles in Allem hat der Schiedsrichter das richtig und gut gelöst. Eitschberger wollte Taz sicherlich nicht so schwer verletzen. Aber wenn ein Spieler ein taktisches Foulspiel begeht und nur die Intention hat, ein Foulspiel zu begehen, dann muss er, wenn es so schwerwiegend ausgeht, wie in diesem Fall, die Konsequenzen dafür tragen.

Erwähnenswert ist auch, dass die Kamera das Vergehen von vorne zeigt und das Trefferbild nicht deutlich transparent wird. In der 3.Liga gibt es weniger Kameras als in der Bundesliga. Eine Kamera von hinten hätte sicherlich mehr Klarheit für die TV-Zuschauer gebracht und die Entscheidung des Schiedsrichters, wenn auch erst später und nach Korrektur, unterstrichen.

Szene 2: Michel Stöcker (Verl) blockt den Ball vor den eigenen Tor mit der Hand, es gibt Elfmeter für Essen. Rot sieht Stöcker aber nicht, der Schiedsrichter belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:35]

Babak Rafati: Das Handspiel von Stöcker ist unstrittig, sodass es einen Elfmeter gibt. Da der Ball aber nicht ins Tor gegangen wäre, ist die gelbe Karte die richtige Entscheidung.

 

Szene 3: Für ein hartes Einsteigen gegen Tony Menzel (Dresden) sieht Gino Fechner (Wiesbaden) im Mittelfeld nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:23:05]

Babak Rafati: Fechner kommt angelaufen, grätscht Menzel in die Füße und trifft ihn in harter und brutaler Weise. Dabei wird billigend die Gesundheitsgefährdung des Gegenspielers in Kauf genommen. Es sieht nach einem Frustfoul aus und als ob Fechner mit dieser Aktion die Mitspieler aufwecken und ein Zeichen setzen will. Hier hätte es die rote Karte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, nur die gelbe Karte zu zeigen.

Szene 4: Stefan Kutschke (Dresden) legt sich den Ball im Mittelfeld zu weit vor, geht dann mit gestrecktem Bein in einen Zweikampf mit Florian Hübner (Wiesbaden) und trifft ihn. Der Schiedsrichter zeigt glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]

Babak Rafati: Kutschke legt sich den Ball vor und grätscht dann unkontrolliert zum Spielgerät. Dabei spielt er zwar den Ball, trifft aber auch erst mit der Sohle Gegenspieler Hübner am Fuß. Durch das Reinrutschen zum Ball räumt er Hübner anschließend auch noch von hinten ab. Auch das ist eine brutale Spielweise, da die Gesundheitsgefährdung des Gegenspielers billigend in Kauf genommen wird. Eine richtige Entscheidung, Rot zu zeigen.

 

Szene 5: Im Strafraum geht Sigurd Haugen (Rostock) bei einem Laufduell mit Joel Bichsel (Saarbrücken) zu Fall und fordert Elfmeter, den Schiedsrichter Tobias Wittmann jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 44:55]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum überläuft Haugen seinen Gegenspieler Bichsel und ist in der besseren Position zum Ball als der Verteidiger. Bichsel nimmt den Arm zu Hilfe und stößt Haugen entscheidend weg und bringt ihn dadurch zu Fall, sodass der Armeinsatz ursächlich für das Zufallkommen ist. Auch, wenn die körperbetonte Spielweise gefördert werden sollte und die Beteiligten das auch wollen, ist in dieser Szene zu berücksichtigen, dass der Angreifer in einer guten Position ist und keinen Grund hat, sich fallen zu lassen. Zum anderen ist jeder Armeinsatz anders zu beurteilen. In dieser Situation holt der Verteidiger Schwung, sodass der Armeinsatz regelwidrig wird. Es hätte somit einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 6: Nach einer Ecke bekommt Simon Stehle (Saarbrücken) den Ball im Strafraum womöglich an den Arm, einen Elfmeter gibt Wittmann erneut nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:04:20]

Babak Rafati: Der Ball ist nach einer Ecke lange in der Luft, fliegt an einigen Spielern vorbei und wird vielleicht nur minimal von einem dieser Spieler vorher berührt. Dadurch, dass der Ball durchkommt, ist Stehle womöglich überrascht, verschätzt sich ein wenig, geht infolge dessen mit dem Arm zum Ball und spielt das Spielgerät. Das ist ein absichtliches und somit strafbares Handspiel, und deshalb hätte es einen Elfmeter geben müssen. Auch, wenn Stehle kurz vorher den Ball an die Brust bekommen haben sollte, geht der Arm danach aktiv zum Ball, so dass kein Abpraller vorliegt, die zur nicht Absicht führen könnte. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter nicht zu geben, was daran liegen könnte, dass das Handspiel auf der abgewandten Seite des Schiedsrichters passiert und dieser deshalb das Vergehen nicht erkennen kann.

Szene 7: An der Außenlinie setzt sich Simon Stehle (Saarbrücken) rustikal gegen Alexander Rossipal (Rostock) durch, Wittmann lässt laufen. Aus dem Angriff fällt das 2:0 und zählt. [TV-Bilder – ab Minute 2:40]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf an der Seitenlinie rutscht Stehle von hinten mit beiden Beinen in die Füße von Rossipal und trifft ihn auch, sodass ein klares Foulspiel vorliegt. Dabei wird auch der Ball minimal gespielt, aber es werden viel mehr die Füße getroffen und Rossipal wird abgeräumt. Hier hätte es einen Freistoß und die gelbe Karte gegen Stehle geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen. So ein Vergehen muss der Assistent direkt vor seiner Nase einfach sehen.

 

Szene 8: Im eigenen Strafraum spielt Maxwell Gyamfi (Osnabrück) den Ball im Duell mit Patrick Hobsch (1860) mit der Hand. Statt Elfmeter entscheidet der Schiedsrichter jedoch auf Stürmerfoul von Hobsch. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf liegt überhaupt kein Foulspiel von Hobsch an Gyamfi vor, sodass alles korrekt ist. Der Verteidiger kommt im Laufduell selbstverschuldet und vielleicht auch durch einen Kontakt mit Hobsch zu Fall, der aber regelgerecht ist. Im Fallen spielt Gyamfi dann den Ball mit der Hand. Der Arm ist über dem Kopf und somit strafbar. Somit hätte es einen Elfmeter sowie die rote Karte gegen Gyamfi geben müssen. Dieses Handspiel ist nicht nur strafbar, sondern vereitelt gleichzeitig eine klare Torchance, da Hobsch nur noch den Torwart vor sich hat, sodass die rote Karte vorgeschrieben ist. Eine Fehlentscheidung, auf Stürmerfoul anstatt auf Elfmeter und Rot zu entscheiden.

Szene 9: Nach einer Hereingabe in den Strafraum gehen Soichiro Kozuki (1860) und Bastien Conus (Osnabrück) zum Ball und spielen diesen auch, gleichzeitig wird Conus von seinem Gegenspieler getroffen. Es gibt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 4:00]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf springt Conus zum Ball, wird von seinem Gegenspieler Kozuki von hinten gestört und springt deshalb hoch, um sich auch ein wenig zu befreien. Ein Foulspiel von Kozuki ist hierbei aber nicht auszumachen. Auch, wenn der Faller des Angreifers spektakulär aussieht, liegt kein Foulspiel vor. Somit eine Fehlentscheidung, Elfmeter zu geben.

 

Szene 10: Thomas Kastanaras (Stuttgart II) geht mit gestrecktem Bein und offener Sohle in SVS-Keeper Timo Königsmann rein und trifft ihn am Arm. Schiedsrichter Leonidas Exuzidis belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 0:55]

Babak Rafati: Im Kampf um den Ball geht Kastanaras mit offener Sohle und gestrecktem Bein völlig unnötig gegen Keeper Königsmann zu Werke und trifft ihn am Arm. Wenn der Keeper nicht geschickt ausgewichen wäre, hätte die Verletzung noch viel schlimmer aussehen können. In dieser Szene liegt eine brutale Spielweise von Kastanaras vor, sodass er billigend in Kauf nimmt, die Gesundheit des Gegenspielers zu gefährden. Hier muss es die rote Karte geben, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, nur eine gelbe Karte zu zeigen. Womöglich wollte der Schiedsrichter nicht bereits in der Anfangsphase (9. Spielminute) eine rote Karte zeigen und Einfluss auf das Spiel nehmen. Was zudem hinzukommt, ist die Distanz des Schiedsrichters zum Geschehen, die etwa 13 Meter betragen dürfte. Aus dieser Entfernung kann man eher erahnen, als richtig wahrzunehmen, was zu einer Fehleinschätzung führt.

Szene 11: Nach einer Flanke von Emmanuel Iwe (Sandhausen) bekommt Michael Glück (Stuttgart II) den Ball im Strafraum womöglich an den Arm, auf den Punkt zeigt Exuzidis nicht. [TV-Bilder – ab Minute 55:00]

Babak Rafati: Nach einer Flanke von Iwe geht Glück mit dem Oberkörper etwas seitlich herunter und spielt den Ball. Ob dabei der Arm oder die Schulter oder vielleicht aber auch die Brust am Ball ist, kann anhand der vorliegenden TV-Sequenzen nicht beurteilt werden. Die Schiedsrichter sind angehalten, im Zweifel weiterlaufen zu lassen.

 

Szene 12: Bei einem Freistoß von Aue geht Filip Kusic (Cottbus) im Strafraumzentrum im Duell mit Mika Clausen (Aue) zu Fall und bleibt liegen. Direkt danach geht der Ball ins Tor. Schiedsrichter Daniel Schlager gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]

Babak Rafati: Nach einem Freistoß kommt es zu einem Zweikampf im Strafraum. Dabei "bearbeiten" sich Kusic und Clausen gleichermaßen, wie man es typischerweise bei Standardsituationen kennt. Die erste Aktion geht sogar vom Verteidiger aus. Es ist aber eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und beide Aktionen nicht als Foulspiel auszulegen.

 

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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