Strittige Szenen am 14. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Elfmeter für 1860, Regensburg, Lübeck, Freiburg II, Münster und Bielefeld, die Strafstöße für Münster, Ulm und Saarbrücken, die nicht gegebenen Treffer für Lübeck und Ingolstadt, das Tor für Bielefeld und ein Zweikampf zwischen Danhof und Sessa. Am 14. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 16 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Tim Rieder (1860) geht im Strafraum gegen Andreas Geipl (1860) zu Fall, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 43:25]
Babak Rafati: Rieder holt im Strafraum zum Schuss aus, trifft Geipl selbstverschuldet ganz leicht in die Beine und kommt dann zu Fall. Geipl macht keine Bewegung Richtung Füße/Beine von Rieder, sondern ist in natürlichem Bewegungsablauf zum Ball, auch wenn er diesen nicht trifft. Somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 2: Eine Flanke von Tim Rieder (1860) bekommt Andreas Geipl (Regensburg) im Strafraum an den Arm, erneut zeigt der Schiedsrichter nicht auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:25:45]
Babak Rafati: Rieder flankt den Ball in den Strafraum, und dort bekommt Geipl den Ball aus kurzer Entfernung an den Arm geschossen. Dabei ist der Arm am Körper angelegt und in natürlicher Haltung, sodass kein absichtliches beziehungsweise strafbares Handspiel vorliegt. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.
Szene 3: Jesper Verlaat (1860) bekommt im Strafraum einen Abpraller an den Arm. Regensburg fordert Elfmeter, den es aber nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 1:36:40]
Babak Rafati: Der Ball wird von einem Münchner Spieler abgewehrt, und von da aus prallt der Ball aus kurzer Entfernung an den Arm von Verlaat, der den Arm aber am Körper angelegt hat, sodass dieser in natürlicher Haltung ist und damit kein strafbares/absichtliches Handspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, keinen Elfmeter zu pfeifen.
Szene 4: Nach einem Schuss von Tim Rieder (1860) bekommt ein Regensburger den Ball an den Arm, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:50:30]
Babak Rafati: Ein Schuss von Rieder wird von einem Regensburger Spieler im Strafraum abgewehrt, und von da aus springt der Ball aus kurzer Entfernung an den Arm eines weiteren Regensburger Verteidigers. Der Arm ist allerdings in natürlicher Haltung, und der Verteidiger versucht sogar reaktionsschnell den Arm wegzuziehen, um den Ball nicht an den Arm zu bekommen. Auch wenn ihm das nicht mehr gelingt, ist dieses Handspiel nicht absichtlich und somit nicht strafbar, sodass erneut eine richtige Entscheidung vorliegt, keinen Elfmeter zu pfeifen.
Szene 5: Tarik Gözüsirin (Lübeck) bringt den Ball im Tor unter, allerdings gibt die Schiedsrichterin den Treffer nicht, da Vorlagengeber Robin Velasco zuvor im Abseits gestanden haben soll. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Bei einem Schuss wird der Ball von Velasco abgefälscht, und von da aus prallt der Ball zu Gözüsirin, der den Ball im Tor unterbringt. Zum Zeitpunkt des Abprallers steht der anschließende Torschütze nicht im Abseits. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, diesen Treffer nicht anzuerkennen. Womöglich ist der Assistent nicht auf der richtigen Höhe des vorletzten Verteidigers, der mit der Schulter die Abseitsposition aufhebt. Der Assistent steht etwas weiter rechts, sodass er nicht den optimalen Blick zu den Positionen der Spieler hat. Bei einer richtigen Positionierung wäre ihm dieser Fehler sicherlich nicht unterlaufen.
Szene 6: Im Strafraum kommt Robin Velasco (Lübeck) nach einem Rempler von Mathias Fetsch (Unterhaching) zu Fall, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:29:40]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf stellt Velasco selbst den Fuß Richtung Fetsch und stellt auch den Körper in den Weg, und dabei kommt es naturgemäß zu solch einem Kontakt, weil Fetsch wiederum zum Ball will. Das ist nur ein Versuch einen Kontakt zu provozieren und einen Elfmeter zu schinden. Somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, keinen Elfmeter zu pfeifen.
Szene 7: Nach einem Missverständnis zwischen Stefan Drljaca und Jakob Lewald spritzt Al Ghaddioui (Freiburg II) dazwischen und geht gegen Drljaca zu Fall. Kein Elfmeter, sagt der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]
Babak Rafati: Keeper Drljaca geht bei diesem Zweikampf gegen Al Ghaddioui zum Ball und spielt dabei auch entscheidend (!) das Spielgerät, sodass seine Aktion nur ballorientiert ist. Dabei wird der Angreifer zwar am Fuß getroffen, allerdings ist das klare Ballspielen das Argument dafür, weiterspielen zu lassen. Hätte der Keeper den Ball nicht entscheidend gespielt, wäre die Aktion gegnerorientiert, weil der Gegner getroffen wäre. Dann hätte es einen Elfmeter geben müssen. In dieser Situation ist es aber eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 8: Einen Schuss von Lukas Ambros (Freiburg II) bekommt Luca Herrmann (Dresden) im Strafraum an den Arm. Erneut gibt es kein Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]
Babak Rafati: Ambros will den Ball an Herrmann vorbeispielen, dabei dreht sich der Verteidiger um und bekommt den Ball an den Arm. In dem Moment als sich Herrmann umdreht, ist noch alles in Ordnung. Wäre der Arm in diesem Umdrehvorgang am Körper angelegt geblieben, würde eine natürliche Körperhaltung vorliegen. Da er aber beim Umdrehen den Arm aktiv heraus nimmt, wird die Körperfläche unnatürlich vergrößert, und somit ist dieses Handspiel strafbar. Es hätte folglich einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, den fälligen Elfmeter nicht zu geben. Der Schiedsrichter hätte den Vorgang besser sehen können, wenn er von der Mitte etwas nach rechts gerückt wäre, weil er dann frontal auf die Szene schauen würde.
Szene 9: Im Strafraum kann Christian Ortag (Ulm) den Ball nicht festhalten. Beim Versuch, sich den Ball zurückzuholen, berührt er Joel Grodowski (Münster), der zu Fall geht. Es gibt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 1:24:10]
Babak Rafati: Ortag lässt unfreiwillig den Ball fallen und will sich das Spielgerät wieder zurückkämpfen. Dabei klemmt er in der Vorwärtsbewegung mit seinem rechten Fuß den Fuß von Grodowski ein, sodass dieser nicht weiterlaufen kann und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, auch wenn der Torhüter nur zum Ball will. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor, auf Elfmeter zu entscheiden.
Szene 10: Im Strafraum geht Leo Scienza (Ulm) gegen ter Horst (Münster) zu Fall, es gibt Elfmeter für Ulm. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zwischen ter Horst und Scienza ist ein Foulspiel nicht erkennbar. Selbst ein Kontakt ist nicht erkennbar, sodass Weiterspielen die bessere Entscheidung gewesen wäre. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter zu pfeifen.
Szene 11: Joel Grodowski (Münster) wird von Lamar Yarbrough (Ulm) im Strafraum getroffen. Statt Elfmeter gibt es Ecke. [TV-Bilder – ab Minute 1:58:30]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf grätscht Yarbrough zum Ball, riskiert Kopf und Kragen und hat Glück oder aber auch das richtige Timing, dass er Grodowski nicht trifft, sondern ihm den Ball vom Fuß wegspitzeln und zur Ecke abwehren kann. Auch wenn danach der Angreifer über die Beine des Verteidigers zu Fall kommt, gilt die Attacke eindeutig dem Ball. Eine richtige Entscheidung, nicht auf Elfmeter zu entscheiden. Wenn in dieser Szene der Ball nicht gespielt worden wäre, hätte es natürlich einen Elfmeter geben müssen.
Szene 12: Alexander (Sandhausen) bekommt im Strafraum nach einem Kopfball von Kai Brünker (Saarbrücken) den Ball an die Hand, es gibt Elfmeter für den FCS. [TV-Bilder – ab Minute 1:50]
Babak Rafati: Brünker verlängert den Ball mit dem Kopf. Fuchs hat den Arm vorher in eine unnatürliche Haltung gebracht, um die Körperfläche zu vergrößern, und bekommt dann den Ball an den Arm. Auch wenn die Distanz kurz ist, wird der Arm bewusst vorher in Position gebracht und in Kauf genommen, den Ball an den Arm zu bekommen, sodass dann regeltechnisch ein Handspiel vorliegt. Beim genauen Betrachten der TV-Bilder ist auffällig, dass der rechte Arm in natürlicher Haltung ist (angelegt), im Gegensatz zum linken Arm (abgespreizt), mit dem der Ball aufgehalten wird. Eine richtige Entscheidung, in dieser Szene auf Elfmeter zu entscheiden.
Szene 13: Tim Danhof (Aue) bringt Verls Nicolas Sessa (Verl) als letzter Mann kurz vor dem Strafraum zu Fall. Eine Karte sieht er nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf läuft Sessa zum Ball, tickt das Spielgerät leicht an und kommt dann spektakulär zu Fall. Dabei hat Danhof zwar den Ball nicht gespielt, weil er einen Moment zu spät kommt, aber er trifft nur ins Leere. Im Fußbereich gibt es überhaupt keinen Kontakt, und im Oberschenkel-/Kniebereich kommt es vielleicht zu einer minimalen Berührung, die aber nicht ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers ist. Selbst eine minimale Berührung würde für ein Foulspiel nicht ausreichen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Jetzt kann man berechtigterweise die These aufstellen, dass der Angreifer eine gute Angriffssituation hat und durchlaufen kann, wenn er nicht zu Fall kommt. Warum sollte er sich also fallen lassen? Oftmals ist der Angreifer darauf aus, dass er im Zweikampf ein Foulspiel herausholt, sodass er sich nur auf den minimalen Kontakt fokussiert und alles andere außer Acht lässt. Deshalb ist auch das spektakuläre Rollen danach wie ein Automatismus fest verankert. Das haben mir Spieler auch hier und da nach dem Spiel unter vier Augen "gesteckt". Fakt ist jedenfalls, dass kein regelwidriger Einsatz des Verteidigers zu sehen ist.
Szene 14: Nach einem Zweikampf zwischen Felix Götze (Essen) und Manuel Wintzheimer (Bielefeld) entscheidet der Schiedsrichter auf Freistoß, aus dem das 1:1 fällt. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:05]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zwischen Götze und Wintzheimer sind beide gleichzeitig am Schieben und Halten. Dabei schiebt Götze von hinten, und Wintzheimer greift nach hinten nach Götze. Nur weil Wintzheimer cleverer ist und zu Fall kommt, kann man ihm deshalb keinen Freistoß zusprechen. Das ist eine Fehlentscheidung. Regeltechnisch ist es so, dass wenn zwei Spieler von zwei verschiedenen Mannschaften gleichzeitig ein Vergehen begehen, das erste in puncto Spielfortsetzung geahndet wird. In dieser Szene, in der beide gleichzeitig foulen, ist es gar nicht möglich, für eine Mannschaft zu pfeifen. Somit wäre es optimal gewesen, auf Weiterspielen zu entscheiden und in der nächsten Spielunterbrechung beide Spieler anzusprechen, um wieder Ruhe reinzubringen. Dass danach dann auch noch ein Tor fällt, macht die Sache natürlich noch komplizierter, auch für den Schiedsrichter. Heutzutage können die Spiele durch Standardsituationen entschieden werden, und da muss ein Schiedsrichter einfach sensibler mit Freistoßentscheidungen umgehen. Insbesondere in Strafraumnähe und dann auch noch – wie in diesem Fall – in den Schlussminuten.
Szene 15: Bei einem Laufduell mit Cedric Harenbrock (Essen) geht Niclas Shipnoski (Bielefeld) im Strafraum zu Boden. Kein Elfmeter, entscheidet der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 1:38:55]
Babak Rafati: Shipnoski bekommt eine Flanke von der linken Außenbahn zugespielt, läuft mit dem Ball in den Strafraum und kommt im Zweikampf mit Gegenspieler Harenbrock zu Fall. Dabei gerät aber der Angreifer selbst ein wenig aus der Balance und schafft es nicht bei gleichzeitiger Verfolgung durch den Gegenspieler den Ball unter Kontrolle zu bringen. Shipnoski versucht sich von Harenbrock zu lösen, greift selbst nach hinten, zupft kurz am Trikot des Verteidigers und kommt dann ohne Verschulden des Gegenspielers zu Fall. Der Verteidiger läuft nur hinterher und stört in regelgerechter Form, sodass kein Foulspiel vorliegt. Der Schiedsrichter ist sehr gut mitgelaufen und entscheidet aus einer guten Position auf Weiterspielen. Eine richtige Entscheidung.
Szene 16: Felix Kügel (Ingolstadt) bringt den Ball nach einer Vorlage von Benjamin Kanuric im Tor unter, allerdings wird dem Treffer aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition die Anerkennung verwehrt. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]
Babak Rafati: Nach einer Kopfballvorlage von Kanuric bringt Kügel den Ball im Tor unter. Dabei steht er nicht in Abseitsposition, denn im Moment des Kopfballzuspiels steht ein Dortmunder Verteidiger in der Nähe der Strafraumlinie auf der rechten Angriffsseite als zweiter Verteidiger (der Torhüter ist der erste Verteidiger in diesem Fall) näher zur eigenen Torlinie, als der anschließende Torschütze. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor. Womöglich hat der Angreifer, der hinter diesem Verteidiger und außerhalb des Strafraumes steht, ein wenig den Assistenten irritiert, auch wenn dieser überhaupt nicht ins Spielgeschehen eingreift, sodass dem Assistenten eine Abseitsposition suggeriert wurde.
Allerdings gab es zuvor auf der anderen Seite einen Zweikampf an der Seitenlinie. Dabei schubst ein Ingolstädter Gegenspieler Hettwer im Laufduell zu Boden. Hettwer reklamiert liegend am Boden und bekommt unabsichtlich den Ball an den Arm. Noch im Liegen, als er versucht weiterzuspielen, kommt Kayo und tritt ihm im erneuten Zweikampf auf den Fuß. Hier liegen zwei Foulspiele unabhängig voneinander vor, die natürlich nicht beide geahndet werden können, aber es hätte einen Freistoß für Dortmund geben müssen. Dann wäre es in der Folge erst gar nicht zu der Szene im Strafraum gekommen.
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