Strittige Szenen am 15. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Dresden, Aue, Duisburg und Dortmund II, der Platzverweis gegen Aues Schreck, die Strafstöße für Köln und Halle, der Treffer von Duisburg, das 1:0 von Wiesbaden, das 3:0 von Köln, ein Bandentritt in Wiesbadens Prtajin sowie der nicht gegebene Treffer für Ingolstadt. Am 15. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 14 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Nach einem Kontakt von Philipp Treu (Freiburg II) kommt Manuel Schäffler (Dresden) im Strafraum zu Fall. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Nico Fuchs nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Bei einem Laufduell kommt es zwischen Treu und Schäffler im Strafraum zu einem Kontakt. Dabei ist Schäffler in der besseren Position zum Ball, Treu läuft ihm hinterher. Im normalen Bewegungsablauf trifft Treu dem Angreifer hinten in die Beine und bringt ihn dadurch zu Fall. Auch wenn das Zufallbringen unabsichtlich ist, liegt ein Foulspiel vor, sodass es einen Elfmeter für Dresden hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 2: Einen Flanke-Aufsetzer von Julius Kade (Dresden) bekommt Philipp Treu (Freiburg II) im Strafraum an die Brust/den Arm, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:51:25]

Babak Rafati: Nachdem der Ball lange in der Luft ist und von Spielern beider Teams verpasst wird, springt das Spielgerät auf und von da aus an den Bauch von Treu. Dass der Ball abspringt/-prallt und nicht herunter fällt, ist ein Indiz dafür, dass der Ball nicht am Arm war. Der Ball prallt von der rechten Bauchseite von Treu ab. Somit liegt kein Handspiel vor, daher eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 3: Im Strafraum will Stefan Kutschke (Dresden) zum Ball, wird dabei jedoch von Sandrino Braun-Schumacher (Freiburg II) mit dem Fuß im Gesicht getroffen. Erneut zeigt Fuchs nicht auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:00]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum köpft Kutschke auf das Tor und wird dabei von Braun-Schumacher, der etwas spät kommt und den Ball dadurch nicht mehr erreichen kann, mit dem Fuß im Gesicht getroffen. Allein die Flugbahn des Balles verdeutlicht, dass der Ball nur von Kutschke gespielt sein kann und Schumachers Versuch, den Ball zu spielen, einen "Treffer" gegen den Gegenspieler zur Folge haben muss. Ein Indiz für diesen Treffer ist auch, dass fünf Dresdner Spieler, die in Spielnähe sind, gleichzeitig reklamieren. So eine blitzartige Reaktion ist immer ein sogenanntes "Alarmsignal" für den Schiedsrichter. Gleichzeitig ist die Reaktion der Verteidiger von Freiburg vielsagend, weil sie einfach befürchten, dass der Tritt erkannt und vom Schiedsrichter geahndet werden könnte. In dieser Szene hätte es erneut einen Elfmeter für Dresden geben müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt.

 

Szene 4: Paul-Philipp Besong (Aue) dringt in den Strafraum ein, bekommt die Schulter von Jamil Siebert (Köln) ins Gesicht und geht zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Lars Erbst. [TV-Bilder – ab Minute 38:50]

Babak Rafati: Besong dringt in den Strafraum ein und dabei kommt es zu einem Zweikampf mit Siebert. Besong läuft in "Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Manier" mit dem Gesicht gegen die Schulter von Siebert und geht anschließend zu Boden. Dieser Zusammenprall ist unglücklich und stellt kein Foulspiel dar, zumal sich Siebert nicht in Luft auflösen kann. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 5: Für ein Foulspiel mit offener Sohle an Jamil Siebert (Köln) sieht Sam Schreck (Aue) die rote Karte. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]

Babak Rafati: Schreck springt mit offener Sohle und langem Bein zum Ball, verfehlt das Spielgerät und trifft stattdessen seinem Gegenspieler Siebert vor das Schienbein. Das ist ein grobes Foulspiel, bei dem die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet wird, sodass die rote Karte eine absolut richtige Entscheidung ist. Der Schiedsrichter entscheidet aus einer optimalen Position, da er freie Sicht auf den Zweikampf hat und zudem aus einer ruhenden Position den Vorgang beobachten kann, statt aus dem Lauf, bei dem die Konzentration immer etwas beeinträchtigt ist. Deshalb ist er auch von seiner Entscheidung dermaßen überzeugt, sodass die Versuche der Auer, ihn vom Zeigen der roten Karte abzuhalten, ignoriert werden. Kompliment!

Szene 6: Einen Schuss von Luca Marseiler (Köln) bekommt Ulrich Taffertshofer (Aue) im Strafraum an den Arm, Erbst gibt Elfmeter für Köln. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Marseiler nimmt Taffertshofer den Arm etwas heraus, vergrößert dadurch seine Körperfläche und bekommt anschließend den Ball an den Arm, sodass der Schuss geblockt wird. Man könnte auf den ersten Blick annehmen, dass der Arm in natürlicher Haltung ist. Allerdings ist es physikalisch immer so, dass wenn das linke Bein nach vorne bewegt wird, gleichzeitig der entgegengesetzte Arm, also der rechte Arm, mit nach vorne schwingt. In diesem Fall schwingt das linke Bein nach vorne, und nicht der rechte Arm bewegt sich, sondern der linke Arm. Somit liegt ein strafbares Handspiel vor, weil die Körperfläche vergrößert wird. Eine richtige Entscheidung, auf Elfmeter für Köln zu entscheiden.

Szene 7: Nach Vorlage von Luca Marseiler trifft Kevin Lankford zum 3:0 für Köln. Aue reklamiert Abseits, doch der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 2:04:25]

Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Abspiels von Marseiler steht Lankford im Abseits, sodass der Treffer nicht hätte zählen dürfen. Diese Abseitsposition kann man sehr gut an der Rasenmarkierung erkennen. Das linke Knie des Angreifers ist von der Distanz unverkennbar näher in Richtung Torlinie als der Verteidiger. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, diesen Treffer zu geben. Die Berührung des Balles durch einen Auer nach dem Abspiel von Marseiler ist unerheblich für die Abseitsbewertung, weil es ein Klärungsversuch/Abfälschen ist und keine kontrollierte Spielweise darstellt.

Szene 8: Einen Schuss von Aljaz Casar (Halle) bekommt Julian Riedel (Mannheim) im Strafraum an den Arm geschossen, Schiedsrichter Felix Bickel gibt Elfmeter für Halle. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Casar auf das Tor reagiert Riedel mit einem Reflex, dreht sich mit dem Körper seitlich zum Ball, nimmt dabei den Arm heraus und blockt den  Schuss. Zum Zeitpunkt der Berührung des Balles mit dem Arm ist dieser neben dem Körper, sodass allenfalls der Ball den Körper von Riedel leicht touchiert hätte, wenn kein Handspiel zugrunde liegen würde. Wenn der Ball in so einer Szene zum eigenen Schutz (!) per Hand/Arm abgewehrt wird, dann stellt sich die entscheidende Frage, ob der Ball zu 100 Prozent an den Körper gegangen wäre, somit keine Vergrößerung der Körperfläche stattfindet und nicht strafbar ist oder der Arm seitlich vom Körper heraus geht, somit eine Vergrößerung der Körperfläche stattfindet und strafbar ist. In dieser Szene liegt der zweite Tatbestand vor, sodass das Handspiel strafbar wird und somit eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Elfmeter zu entscheiden.

Diese Modifizierung der Regel mit dem Arm vor und neben dem Körper wurde vor einiger Zeit vorgenommen. Eine ähnliche Szene gab es vor einigen Tagen beim Champions-League Spiel Inter Mailand und Bayern München, bei dem Mané den Ball vor dem Gesicht klar mit beiden Fäusten abwehrte und es keinen Elfmeter gab, weil keine Vergrößerung der Körperfläche vorlag, weil der Ball sonst an den Kopf gegangen wäre und der Reflex sodann regeltechnisch nicht strafbar ist. In dieser Szene ist die Schutzhand nicht strafbar, weil man davon ausgeht, dass der Ball sonst gegen den Körper/Gesicht gegangen wäre und somit die Berührung mit Arme/Hände nicht entscheidend ist. Ein berechtigter Einwand ist bei der Szene mit Riedel natürlich, wo der Arm in solch einer Szene hin soll. Das ist aber für die Regelhüter irrelevant.

 

 

Szene 9: Bei einer Klärungsaktion von Felix Weber (Bayreuth) im Strafraum reklamiert der MSV ein Handspiel, Schiedsrichter Richard Hempel lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:21:35]

Babak Rafati: Bei einer Klärungsaktion von Weber im eigenen Strafraum will er den Ball kontrollieren. Hierbei streift der Ball seinen Kopf und springt ihm von da aus auf seine Schulter, sodass kein Handspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 10: Nach einer Flanke bringt Niklas Kölle (Duisburg) den Ball mit dem Rücken, möglicherweise aber auch ein wenig mit der Hand, im Tor unter. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Bei dieser Aktion ist nicht zweifelsfrei erkennbar, ob der Ball von Kölle auch am Arm getroffen wird oder nicht. Bei solchen Situationen, bei denen etwas nicht erkennbar ist, sind die Schiedsrichter dazu angehalten, weiterspielen zu lassen. Es kommt auch keine Reaktion der Verteidiger von Bayreuth in Form von Reklamieren, sodass zumindest ein Indiz für Nicht-Handspiel vorliegt. Somit tendenziell eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 11: Nach einem Zweikampf zwischen Jonas Fedl (Meppen) und Benedict Hollerbach (Wiesbaden) gibt es Freistoß für den SVWW, aus dem das 1:0 für Wiesbaden fällt. [TV-Bilder – ab Minute 36:30]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf nimmt Hollerbach den Ball auf der rechten Außenbahn an, und dabei grätscht sein Gegenspieler Fedl erst ins Leere und trifft somit nicht das Spielgerät, aber gleichzeitig bringt er durch seine Grätsche Hollerbach von hinten zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit liegt eine richtige Entscheidung vor, einen Freistoß für Wiesbaden zu geben.

Szene 12: Nachdem der Ball ins Aus geht, tritt Ivan Prtajin (Wiesbaden) zwei Werbebanden weg, sodass ein Meppener zu Fall geht. Eine Karte sieht Prtajin nicht. Erst kurz danach, als er Markus Ballmert (Meppen) mit der Hand im Gesicht trifft, wird er verwarnt. [TV-Bilder – ab Minute 1:49:50]

Babak Rafati: Dieses Treten von Prtajin gegen die Werbebanden und die Folge daraus lassen einem Schiedsrichter gar keinen Spielraum, sodass eine gelbe Karte unumgänglich ist. Diese Aktion von Prtajin ist womöglich darauf zurückzuführen, dass er seinen Ärger über die eigene Leistung ausdrückt und das anschließende Zufallkommen des Gegenspielers nicht beabsichtigt ist. Vielleicht lässt der Schiedsrichter deshalb Gnade vor Recht ergehen. Hier hätte es aber die gelbe Karte geben müssen, so dass eine Fehlentscheidung vorliegt. Der anschließende "Wischer" nach hinten, dient nur dazu, Gegenspieler Ballmert vom Zweikampf abzuhalten. Das ist ein Foulspiel, das bei solch einer Folge, nämlich ein Gesichtstreffer (aber kein Schlag) mit der gelben Karte zu ahnden ist, sodass es in dieser Aktion zu einer gelb-roten Karte gekommen wäre.

 

Szene 13: Nach einem Pass von Testroet trifft Moussa Doumbouya zum 2:0 für Ingolstadt, allerdings erkennt Schiedsrichter Jonas Brombacher den Treffer wegen einer vermeintlichen Abseitsposition nicht ab. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]

Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Zuspiels von Testroet auf den anschließenden Torschützen Doumbouya steht neben dem Torhüter ein weiterer Verteidiger von Verl (Mikic) näher zur eigenen Torlinie als der Stürmer, sodass keine Abseitsposition vorliegt. Das kann man an den Rasenmarkierungen sehr gut erkennen. Eine Fehlentscheidung, diesen Treffer wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung nicht anzuerkennen.

 

Szene 14: Bei einer Klärungsaktion im Strafraum springt Marcel Correia (Elversberg) möglicherweise mit dem Arm in einen Ball. Kein Elfmeter für Dortmund II entscheidet Schiedsrichter Dr. Martin Thomsen. [TV-Bilder – ab Minute 1:53:55]

Babak Rafati: Nachdem ein Dortmunder Spieler in den Strafraum eingedrungen ist und den Ball in die Mitte passen will, springt Correia dazwischen und bekommt den Ball an den Arm. Allerdings ist der Arm in stützender Haltung, sodass dieser "Stützarm" kein strafbares Handspiel darstellt und somit eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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