Strittige Szenen am 17. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Halle, Dresden, Zwickau, Duisburg und Dortmund II, die Platzverweise gegen Halles Landgraf und Bayreuths Zejnullahu, die Strafstöße für Verl und 1860, das nicht gegebene Tor für Mannheim und das 2:0 von Elversberg. Am 17. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de elf strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Tom Zimmerschied (Halle) dringt in den Strafraum ein, geht gegen Steven Zellner (Saarbrücken) zu Fall und will einen Elfmeter, den es jedoch nicht gibt. Aus Ärger darüber wirft sich der vier Minuten zuvor mit Gelb verwarnte Niklas Landgraf kurz danach auf den Boden und sieht von Schiedsrichter Jonas Brombacher Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]

Babak Rafati: Zimmerschied dringt in den Strafraum ein, will an zwei Spielern vorbei und kann sich dabei auch durchsetzen. Zellner will dabei sicherlich den Ball spielen, trifft allerdings Zimmerschied gegen den Fuß und bringt ihn dadurch entscheidend zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und es hätte einen Elfmeter für Halle geben müssen, auch wenn die Aktion des Verteidigers unbeabsichtigt ist. Beim Foulspiel ist die Absicht jedoch nicht relevant. Eine Fehlentscheidung, keinen Elfmeter für Halle zu geben.

Dass anschließend Landgraf sich über diese Entscheidung ärgert, deshalb demonstrativ zu Boden geht und dafür die gelbe Karte bekommt, ist überzogen. Das kann man auch mit einer Ansprache managen. Die erste gelbe Karte zuvor gegen ihn ist ebenso eine Fehlentscheidung, da ein Allerweltsfoul vorliegt. Die Karte sieht er zudem nicht wegen Meckerns, sondern für das Foulspiel.

Szene 2: Auf dem Weg zum Tor wird Sebastian Müller (Halle) von Lukas Boeder (Saarbrücken) am Trikot gehalten, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 3:10]

Babak Rafati: Bei einem Laufduell hält Boeder seinen Gegenspieler Müller am Trikot fest und bringt ihn dadurch aus dem Lauftempo, sodass er den Ball nicht mehr erreichen kann. Das Halten, das auch tatsächlich für das Zufallkommen relevant ist, endet unmittelbar vor dem Strafraum, auch wenn der Angreifer erst im Strafraum zu Boden geht. In dieser Szene hätte es einen Freistoß für Halle sowie die gelbe Karte gegen Boeder für das Unterbinden einer guten Chance geben müssen. Eine Fehlentscheidung, stattdessen auf Stürmerfoul (der anschließende Zusammenprall von Müller mit dem Keeper) zu entscheiden.

 

Szene 3: Im Strafraum erläuft Niklas Hauptmann (Dresden) nach Pass von Manuel Schäffler den Ball und geht gegen Robin Ziegele (Zwickau) zu Fall. Schiedsrichter Patrick Schwengers pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]

Babak Rafati: Hauptmann wird im Strafraum von Mitspieler Schäffler angespielt, dabei geht Ziegele per Grätsche in den Zweikampf und spielt mit einem sauberen Tackling den Ball, auch wenn es im weiteren Bewegungsablauf einen Kontakt gibt. Die Aktion vom Verteidiger ist allerdings absolut ballorientiert, sodass der anschließende Kontakt nicht mehr relevant ist und einem normalen Bewegungsablauf geschuldet ist, der einer sauberen Aktion vorausgeht. Auch die Richtungsänderung des Balles ist ein sehr gutes Indiz für das Ballspielen von Ziegele. Der Schiedsrichter hat freie Sicht und fokussiert sich sehr gut auf den Zweikampf, indem er eine angespannte Körperhaltung einnimmt und sich hierbei vollkommen konzentriert. So kann er die Grundlage für eine richtige Entscheidung schaffen. Sehr gut auch die Außenwirkung durch seine Gestik für alle Beteiligten, indem er anzeigt, dass der Ball gespielt wurde und er somit den gesamten Vorgang erfasst hat, aber eben nicht als Foulspiel auslegt.

Szene 4: Im Anschluss an einen Freistoß bekommt Akaki Gogia (Dresden) den Ball nach einem Schuss von Raphael Assibey-Mensah (Zwickau) an der Strafraumgrenze an den Arm. Einen Strafstoß gibt Schwengers nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Assibey-Mensah nimmt Gogia die Arme heraus und kann den Schuss auf das Tor blocken. Der Arm ist hierbei nicht in natürlicher Haltung, sondern wird abgespreizt und somit bewusst eingesetzt. Das ist eine Vergrößerung der Körperfläche, und somit liegt ein strafbares Handspiel vor. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter für Zwickau nicht zu geben.

 

Szene 5: Joel Grodowski (Verl) geht im Strafraum bei einem Zweikampf mit Emanuel Taffertshofer (Wiesbaden) zu Fall, Schiedsrichter Luca Jürgensen gibt Elfmeter für Verl. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Wiesbaden sieht man selbst im normalen Ablauf sehr gut, dass Grodowski selbstverschuldet beim Gegenspieler Taffertshofer einfädelt und den Kontakt zu dessen Standbein sucht, um zu Fall zu kommen und einen Elfmeter zu schinden. Sehr gut erkennbar auch, dass Taffertshofer vor dem Kontakt stehen bleibt und die Arme hochreißt und damit signalisiert keine aktive Bewegung zu machen, die ein Foulspiel auslösen und in der Folge einen Elfmeter verursachen könnte. Die Aktion von Grodowski ist ein Täuschungsversuch, sodass es statt eines Elfmeters, einen Freistoß für Wiesbaden sowie die gelbe Karte wegen Schwalbe gegen Grodowski hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Übrigens müssen Schwalben regeltechnisch nicht immer kontaktlos sein. Es reicht schon die Intention aus, einen Täuschungsversuch zu unternehmen.

 

Szene 6: Einen Schuss von Marvin Ajani (Duisburg) bekommt Pascal Testroet (Ingolstadt) im Strafraum an den Arm. Kein Elfmeter für den MSV, sagt Schiedsrichter Mitja Stegemann. [TV-Bilder – ab Minute 0:30]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Ajani nimmt Testroet den Arm aktiv hoch und blockt somit den Schuss auf das eigene Tor. Der Ball wäre am Verteidiger vorbeigegangen, sodass diese Armhaltung eine Vergrößerung der Körperfläche darstellt und somit strafbar ist. Nach Anweisung reicht übrigens eine Vergrößerung der Körperfläche schon um 1 Prozent aus, dass ein solches Vergehen vorliegt. Auch wenn die Entfernung sehr kurz ist, ist die Absicht entscheidend. Es hätte somit einen Elfmeter für Duisburg geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 7: Im Strafraum kommt Niklas Dams (Dortmund II) im Duell mit Nazarov (Aue) zu Fall. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Assad Nouhoum nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist Dams früher am Ball. Gegenspieler Nazarov kommt in den Laufweg des Angreifers, stellt die Beine in den Weg, springt ihn von hinten an und bringt ihn in der Summe durch diese Vergehen zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und es hätte somit einen Elfmeter für Dortmund geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Womöglich lässt sich der Schiedsrichter etwas vom Fallmuster des Angreifers irritieren, das ihn wohl zu der Annahme veranlasst, dass Schauspielerei und kein Foulspiel vorliegt. Ja, der Angreifer dreht und wendet sich auch etwas theatralisch, trotzdem bleibt es bei einem Foulspiel. Nazarov weiß aber auch genau, dass er ein Foulspiel begeht. Deshalb ist er bestrebt, sich anschließend ins Gesicht zu fassen, um eine Verletzung vorzutäuschen und den Schiedsrichter davon abzuhalten gegen ihn zu pfeifen, obwohl sein Gesicht bei diesem Zweikampf nichts abbekommt.

 

Szene 8: Im Anschluss an eine Ecke trifft Dominik Martinovic aus dem Gewühl heraus zum 1:0, wird aber von Schiedsrichter Mario Hildenbrand aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition zurückgepfiffen. Mannheim reklamiert, dass die Vorlage vom Gegner kam. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum kommt es zu einem Zweikampf. Dabei berührt/stoppt ein Oldenburger Angreifer den Ball mit der Brust, will sich das Spielgerät vorlegen und auf das Tor schießen. Nachdem der Ball auf dem Boden auftippt, spitzelt ein Mannheimer Verteidiger den Ball vor den Füßen des Angreifers weg, und der Ball kommt anschließend zu Martinovic, der daraufhin ein Tor erzielt. Maßgeblich ist bei Abseitspositionen der Moment der letzten Berührung des Angreifers bei Pass auf einen Mitspieler. In diesem Fall ist regeltechnisch diese letzte Berührung mit der Brust des Angreifers als Pass zu bewerten. Zu diesem Zeitpunkt – wie beschrieben – steht Martinovic nicht im Abseits. Das anschließende Spitzeln des Verteidigers zu Martinovic ist nicht relevant (auch wenn er dann schlussendlich zu diesem Zeitpunkt in Abseitsposition steht), weil ein Stürmer den Ball zuletzt gespielt haben muss, damit eine Abseitsposition vorliegen kann. Es gibt eine andere Ausnahmeregelung (Torverhinderungsaktion), die aber an dieser Stelle nicht weiter vertieft wird. Eine Fehlentscheidung, diesen Treffer abzuerkennen.

 

Szene 9: Im Strafraum geht Stefan Lex (1860) zum Ball und kommt im Duell mit Björn Rother (Essen) zu Fall. Schiedsrichter Patrick Alt zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]

Babak Rafati: Im Strafraum kommt es zu einem Zweikampf, bei dem Lex zuerst am Ball ist und sich das Spielgerät vorlegen kann. Rother will auch zum Ball, kommt aber einen Moment zu spät und trifft Lex nur gegen den Fuß und bringt ihn somit zu Fall. Das ist ein Foulspiel, sodass die Elfmeterentscheidung richtig ist.

 

Szene 10: Zunächst wegen Ballwegschlagens, dann aufgrund eines Fouls sieht Eroll Zejnullahu (Bayreuth) von Schiedsrichter Christian Ballweg jeweils Gelb und muss vom Platz. [TV-Bilder – ab Minute 1:05 & 1:45]

Babak Rafati: Das Ballwegschlagen passiert zwei Sekunden nach dem Pfiff, sodass Zejnullahu genug Zeit hatte, den Ball liegen zu lassen. Somit ist die erste gelbe Karte regelgerecht. Bei der zweiten Aktion rutscht er zum Ball, touchiert das Spielgerät nur minimal und trifft seinen Gegenspieler entscheidend in die Füße, was ein Foulspiel darstellt. Da der Einsatz rücksichtslos ist und in Kauf genommen wird, dass der Gegner getroffen wird, ist auch diese gelbe Karte, die zu Gelb-Rot führt, eine richtige Entscheidung.

 

Szene 11: Einen Einwurf führt die SV Elversberg deutlich weiter vorne aus, daraus entsteht das 2:0 und zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]

Babak Rafati: Sicherlich kann man bei Einwürfen etwas großzügiger agieren, wenn es um den Ort geht, an dem der Ball wieder ins Spiel gebracht wird. Je weiter es aber Richtung gegnerisches Tor geht, desto genauer sollte der Einwurfort eingehalten werden. In diesem Fall wird der Ball circa 10 Meter vom gegnerischen Strafraum ausgeführt, womit dieser etwa drei bis fünf Meter zu weit vom richtigen Ort abweicht. Hier hätte der Schiedsrichter entweder noch vor der Ausführung sofort zurückpfeifen oder aber auch, wenn der Ball bereits im Spiel ist, unterbrechen und den Einwurf vom Gegner ausführen lassen sollen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen.

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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