Strittige Szenen am 19. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Saarbrücken, Ingolstadt und 1860, die verwehrten Treffer von Saarbrücken und Ingolstadt, die Strafstöße für Münster und Ulm, das 2:2 von Unterhaching, das Tor für Essen, das kurze Gefecht zwischen Feltscher und Kutschke sowie die Platzverweise gegen Paetow und Göbel. Am 19. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Auf dem Weg in Richtung Tor geht Julius Biada (Saarbücken) bei einem Zweikampf mit Jahn-Keeper Gebhardt zu Fall. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichterin Fabienne Michel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:50]

Babak Rafati: Nachdem Biada zuerst am Ball ist und ihn Richtung Tor lupft, kommt Keeper Gebhardt aus seinem Tor herausgeeilt und kann den Ball nicht mehr erreichen, trifft aber Biada klar am Fuß. Auch wenn der Ball bereits gespielt ist, liegt ein Foulspiel vor, sodass es in dieser Szene einen Elfmeter für Saarbrücken hätte geben müssen, zumal kein Vorteil eintritt, da der Ball über das Tor geht. Eine Fehlentscheidung, nicht auf Elfmeter zu entscheiden, auch wenn dabei angemerkt werden muss, dass die Schiedsrichter bei ähnlichen Situationen, wenn die Aktion bereits abgeschlossen ist, in der Praxis fast immer nicht mehr zurückpfeifen, was aber regeltechnisch falsch ist. Proteste gibt es deshalb nicht, weil diese Auslegung für die Beteiligten normal ist und sie sich über die Jahre daran gewöhnt haben. Das heißt, dass wenn richtigerweise Elfmeter gepfiffen worden wäre, die Proteste größer wären, als in diesem Fall.

Anmerkung: Das Argument, dass der Ball sowieso nicht ins Tor gegangen wäre und somit kein Elfmeter gepfiffen werden muss, trifft deshalb nicht zu, weil es bedeuten würde, dass immer, wenn eine Aktion abgeschlossen ist, ein Spieler ein Vergehen begehen kann, ohne dass dieses geahndet wird. Selbst wenn Biada den Ball 100 Meter zum eigenen Torhüter zurückgespielt hätte, würde das Foulspiel von Gebhardt bewertet werden.

Szene 2: Bei einem Einwurf des FCS ist kurzzeitig ein zweiter Ball auf dem Feld. Ein Saarbrücker spielt diesen raus, ehe Stehle den Spielball im Tor unterbringt. Die Szene wird allerdings zurückgepfiffen. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:30]

Babak Rafati: Nachdem der Ball in den Strafraum eingeworfen wird, ist ein zweiter Ball auf dem Spielfeld, und das im Strafraum in zentraler Position, sodass die Verteidiger irritiert sind und stehen bleiben, auch wenn der zweite Ball gleich wieder ins Aus befördert wird. Daher unterbricht die Schiedsrichterin das Spiel, bevor der Ball im Tor ist und erkennt den anschließenden Treffer vollkommen zurecht nicht an.

Wenn ein zweiter Ball im Spiel ist, heißt es nicht gleich, dass unterbrochen werden muss. Wenn aber, wie in diesem Fall, das Spiel und die Spieler gestört werden, muss das Spiel sofort unterbrochen werden. Somit liegt eine richtige Entscheidung vor.

 

Szene 3: Einen Schuss von Yassine Bouchama (Münster) bekommt Raphael Schifferl (Unterhaching) im Strafraum an den angelegten Arm, Schiedsrichterin Dr. Riem Hussein gibt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 2:35]

Babak Rafati: Bei einem Schuss von Bouchama dreht sich Schifferl um und bekommt den Ball aus kurzer Entfernung an den angelegten Arm. Da der Arm angelegt ist und Schifferl sich im Umdrehvorgang und in natürlicher Haltung befindet und die Körperfläche nicht unnatürlich vergrößert, liegt kein strafbares Handspiel vor. Somit eine Fehlentscheidung, in dieser Szene auf Elfmeter zu entscheiden. Genau wegen solcher Szenen wäre meiner Einschätzung nach eine Teilnahme der Schiedsrichter/in an einer Pressekonferenz elementar wichtig, um aufzuklären und eventuell zuzugeben, dass eine Fehlentscheidung vorliegt, damit die Beteiligten die Szene richtig einordnen können und nicht im Glauben gelassen werden, dass dieses Handspiel auch zukünftig strafbar ist und somit die Entscheidung richtig ist.

Szene 4: Nach einer Ecke befördert Manuel Stiefler den Ball zum 2:2 ins Tor. Münster reklamiert Handspiel, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 3:40]

Babak Rafati: Nach einer Ecke befördert Stiefler den Ball nicht mit der Hand, sondern sauber und regelgerecht mit der Brust über die Torlinie, sodass der Treffer regulär ist. Eine richtige  Entscheidung, diesen Treffer anzuerkennen.

 

Szene 5: Auf dem Weg in Richtung Tor kommt Jannik Mause (Ingolstadt) im Duell mit Felix Göttlicher (Sandhausen) zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Felix Bickel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf grätscht Göttlicher in Richtung der Beine von Mause und trifft ihn nur minimal, was für ein Foulspiel noch nicht ausreicht, auch wenn er leicht ins Straucheln kommt. Allerdings zieht Göttlicher anschließend das Bein im Liegen nach oben, trifft Mause am Fuß und bringt ihn dann entscheidend zu Fall, sodass die zweite Aktion ein Foulspiel ist und es daher einen Elfmeter und eine gelbe Karte gegen Göttlicher hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, das Spiel nicht zu unterbrechen und den fälligen Elfmeter nicht auszusprechen. Eine rote Karte wäre nicht erforderlich, da aufgrund der Position von Mause, etwas nach rechts abgedrängt und die Position des Torhüters, keine klare Torchance vorliegt.

Szene 6: Nach einem Pass von Pascal Testroet trifft Yannick Deichmann zum 3:0 für Ingolstadt, allerdings wird dem Treffer aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition die Anerkennung verwehrt. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]

Babak Rafati: Nach einem Pass von Testroet auf Deichmann steht dieser nicht im Abseits, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, diesen Treffer nicht anzuerkennen. An der Rasenmarkierung ist sehr gut zu erkennen, dass Deichmann fast am vorderen Rand der Rasenmarkierung und ein Verteidiger in der Mitte von zwei Rasenmarkierungen steht, was die Sache verdeutlicht. Das darf auf dem Niveau einfach nicht passieren, weil es eine klassische Situation ist und keine großen Herausforderungen an den Assistenten stellt.

Szene 7: Im Strafraum kommt Yannick Deichmann (Ingolstadt) an den Ball, geht aber gegen Tim Knipping (Sandhausen) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Bickel. [TV-Bilder – ab Minute 1:39:10]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kommt Knipping noch rechtzeitig an den Ball und spielt das Spielgerät. Anschließend kommt es zu einem Zusammenprall mit Deichmann. Auch wenn sich Deichmann bei der Aktion weh tut, liegt ein sauberer und regelgerechter Zweikampf vor. Somit ist es eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.

 

 

Szene 8: Leo Scienza (Ulm) kommt bei einem Zweikampf mit Torge Paetow (Verl) im Strafraum zu Fall, Schiedsrichter Timon Schulz zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf hält Paetow seinen Gegenspieler Scienza kurz und ansatzlos am Arm fest und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, sodass der Elfmeter und die gelbe Karte gegen Paetow eine richtige Entscheidung sind. Auch wenn die Aktion von Paetow nicht ballorientiert, sondern wegen Festhaltens gegnerorientiert ist, ist die gelbe Karte angemessen, da Scienza etwas nach links abgedrängt und zudem der Torhüter in entsprechender Position ist, um entscheidend einzugreifen zu können. Somit liegt keine klare Torchance, sondern eine aussichtsreiche Chance vor, die nur eine gelbe Karte nach sich zieht.

Szene 9: Für ein leichtes Halten gegen Max Brandt (Ulm) sieht der bereits verwarnte Torge Paetow (Verl) Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Bei diesem klaren Haltevergehen von Paetow gegen Brandt liegt ein Foulspiel vor, bei dem Brandt zu Fall kommt und ein guter Konter unterbunden wird. Auch wenn das Haltevergehen dankend angenommen wird, ist es ein taktisches Foulspiel, sodass der Schiedsrichter keine andere Möglichkeit hat, als neben einem Freistoß auf die gelbe Karte zu entscheiden, die für den bereits gelb-verwarnten Paetow zu einer Ampelkarte führt. Das ist eine richtige Entscheidung.

 

Szene 10: Im Mittelfeld geht Florian Egerer (Lübeck) nach einem Zweikampf mit Vinko Sapina (Essen) zu Boden, das Spiel läuft weiter. Aus dem Angriff fällt das Tor für Essen. Schiedsrichter Tom Bauer gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:15:35]

Babak Rafati: Im Mittelfeld ist Egerer zuerst am Ball und spielt diesen. Sapina kommt etwas zu spät, trifft nur Egerer am Fuß und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Freistoß für Lübeck geben müssen. Anschließend wäre es dann nicht mehr zu dem Treffer für Essen gekommen. Eine Fehlentscheidung, zuvor wegen Foulspiels das Spiel nicht zu unterbrechen und den anschließenden Treffer anzuerkennen. Um diese Szene geht es höchstwahrscheinlich auch, als der Schiedsrichter nach dem Halbzeitpfiff den Platz verlässt und ein Lübecker Spieler auf ihn einredet.

 

Szene 11: Im Strafraum wird Eroll Zejnullahu (1860) von Marius Wörl (Bielefeld) am Trikot gezogen und kommt zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Daniel Schlager nicht. [TV-Bilder – ab Minute 26:35]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf zieht Wörl seinen Gegenspieler Zejnullahu klar am Trikot und reißt ihn zu Boden. So heftig, dass man sogar das Unterziehshirt von Zejnullahu sehen kann. Das ist ein klares Zufallbringen, sodass das Trikotvergehen ursächlich für das Zufallkommen ist. Somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den Strafstoß nicht zu geben.

 

Szene 12: Stefan Kutschke (Dresden) und Rolf Feltscher (Duisburg) geraten nach einem Zweikampf aneinander und sehen von Schiedsrichter Sören Storks beide Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 57:50]

Babak Rafati: Zunächst bekommt Kutschke auf der linken Außenbahn richtigerweise einen Freistoß zugesprochen. Danach kommt es zu einer "Begegnung" zwischen Kutschke und Feltscher, die in dieser Form auf dem Fußballplatz nichts zu suchen hat, aber immer wieder beobachtet wird. Beide Spieler mit der gelben Karte für ihr Verhalten zu bestrafen, ist vollkommen richtig. Mehr als eine gelbe Karte ist aber auch nicht erforderlich und möglich, weil diese Vergehen unter die Rubrik Unsportlichkeit fallen und in der Konsequenz lediglich die gelbe Karte nach sich ziehen.

 

Szene 13: Für zwei Fouls binnen weniger Minuten sieht Patrick Göbel (Dortmund II) von Schiedsrichter Sören Storks jeweils Gelb und muss runter. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]

Babak Rafati: Bei der ersten gelben Karte liegt ein klassisches Foulspiel vor, das rücksichtslos ist und die Gesundheit des Gegenspielers außer Acht lässt, indem ein Fußtritt erfolgt. Somit eine richtige Entscheidung. Bei der zweiten gelben Karte wird von Göbel zwar zuerst der Ball gespielt, aber durch die offene Sohle trifft er in diesem Bewegungsablauf auch den Fuß des Gegenspielers, sodass erneut ein gelb-würdiges Foulspiel vorliegt. Daher ist diese Ampelkarte eine richtige Entscheidung. Es gibt Vergehen, bei denen der Ball auch zuerst gespielt wird und danach im normalen Bewegungsablauf auch der Gegner getroffen wird und dabei deshalb kein Foulspiel vorliegt. Aber wenn die offene Sohle im Spiel ist und es zu einem Treffer des Gegenspielers kommt, kann nicht mehr von einem normalen Bewegungsablauf gesprochen werden, da die offene Sohle an sich ein Foulspiel ist, unabhängig davon, ob der Ball gespielt wird oder nicht.

 

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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