Strittige Szenen am 20. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Der Treffer für Braunschweig, der Strafstoß für Kaiserslautern, die nicht gegebenen Elfmeter für Braunschweig, den FCK, Mannheim Magdeburg, Berlin, Köln, Havelse und Würzburg, der verwehrte Treffer von Köln und die Entstehung des Treffers für Halle: Am 20. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Jannis Nikolaou (Braunschweig) fängt einen Pass ab und setzt Enrique Pena Zauner in Szene. Dieser leitet den Ball zu Jomaine Consbruch weiter, der zum 1:0 für Braunschweig trifft. Der FCK reklamiert beim Pass von Nikolaou Abseits, doch Schiedsrichter Sven Waschitzki gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt der Ballabgabe von Nikolaou auf Zauner steht dieser gut sichtbar im Abseits. Das kann man insbesondere an der Begrenzungslinie des Sechzehners sowie der Rasenmarkierung erkennen. Der Assistent hat zudem absolut freie Sicht. Weshalb ihm diese Abseitsposition entgeht, ist nicht nachvollziehbar. Eine Fehlentscheidung, den anschließenden Treffer für Braunschweig anzuerkennen.
Szene 2: Kenny Prince Redondo (Kaiserslautern) geht im Strafraum gegen Philipp Strompf (Braunschweig) zu Fall, es gibt Elfmeter für den FCK. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Strompf springt der Ball im eigenen Strafraum ein wenig vom Fuß. Daraufhin läuft Redondo zum Ball und stellt geschickt den Körper zwischen Gegenspieler und Ball. Strompf will dann klären, begeht dabei allerdings ein Foulspiel. Beim Versuch den Ball zu spielen, kommt es zu einem unbeabsichtigten Zusammenprall. Strompf trifft Redondo im Hüftbereich und bringt ihn dadurch zu Fall. Entscheidend ist aber, dass die Aktion vom Verteidiger initiiert wird. Redondo wiederum nimmt diesen Kontakt dankend an und kommt zu Fall. Das reicht für einen Elfmeter allemal aus, auch wenn Redondo beim Hinfallen ein wenig nachhilft und keine Absicht beim Foulspiel vorliegt, was aber nicht relevant ist. Eine richtige Entscheidung, diesen Elfmeter für Kaiserslautern zu pfeifen.
Szene 3: An der Strafraumgrenze wird Kenny Prince Redondo (Kaiserslautern) von Michael Schultz (Braunschweig) weggecheckt, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:43:40]
Babak Rafati: Eine Szene, die selbst unter Fachleuten immer wieder unterschiedlich bewertet wird. Für mich ist der Einsatz von Schultz gegen Redondo branchenüblich und noch im Bereich des Erlaubten, da der Arm angelegt ist und nur der Körper robust, aber regelgerecht eingesetzt wird. Auch die Beteiligten wünschen sich lieber, eine körperbetonte Spielweise und weniger eine kleinliche Spielleitung. Das tut der Schiedsrichter in dieser Szene, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 4: Im Strafraum kommt Jomaine Consbruch (Braunschweig) im Duell mit Max Hippe (Kaiserslautern) zu Fall und fordert einen Elfmeter. Diesen gibt Waschitzki jedoch nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:07:40]
Babak Rafati: Consbruch wird im gegnerischen Strafraum halbhoch angespielt, kommt an den Ball und legt sich das Spielgerät an Gegenspieler Hippe vorbei. Dieser wiederum will auch zum Ball, kommt aber einen Moment zu spät, verpasst das Spielgerät und kann Consbruch nur durch ein klares Beinstellen stoppen und zu Fall bringen. Das ist ein klares Foulspiel, es hätte einen Elfmeter für Braunschweig geben müssen – auch wenn sich die Szene in der Nachspielzeit ereignet. Der Schiedsrichter hätte dem Spielgeschehen besser folgen, seine zentrale Position aufgeben und weiter nach rechts zum Geschehen rücken sollen. Dann hätte er das Beinstellen sofort erkannt. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter für Braunschweig nicht zu geben.
Szene 5: Nach einem langen Ball läuft Marcel Costly (Mannheim) auf das Tor zu und geht im Duell mit Alexander Bittroff (Magdeburg) im Strafraum zu Fall. Schiedsrichter Lasse Koslowski lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball auf Costly schießt dieser den Ball auf das Tor. Dabei will Bittroff klären und springt per Grätsche ins Leere. Bei diesem Abwehrversuch fällt Costly über die ausgestreckten Beine von Bittroff und kommt zu Fall. Das ist aber kein Foulspiel, sondern eine Aktion (Tackling) im natürlichen Bewegungsablauf, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 6: Luca Schuler (Magdeburg) wird im Strafraum von Jasper Verlaat (Mannheim) am Fuß getroffen. Kein Elfmeter, entscheidet Koslowski. [TV-Bilder – ab Minute 1:35:15]
Babak Rafati: Schuler läuft im Strafraum zum Ball, auch Gegenspieler Verlaat will zum Spielgerät, ist aber in einer schlechteren Position – nämlich hinter dem Angreifer. Er will sicherlich mit dem Fuß zum Ball, trifft aber Schuler nur in die Füße, spielt dabei keinesfalls den Ball und bringt ihn in der Vorwärtsbewegung aus vollem Lauf zu Fall. Auch wenn Schuler geschickt den Körper zwischen Ball und Gegner stellt – was auch legitim ist -, ist der Einsatz von Verlaat einfach zu riskant. Er nimmt damit in Kauf, den Gegner mit allen Mitteln zu behindern. Schließlich wird der Einsatz zum Foulspiel. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter für Magdeburg zu geben.
Szene 7: Nach einem Pass von Patrick Kapp ist Christopher Theisen frei durch und trifft zum 2:1 für Berlin. Köln reklamiert Abseits, Schiedsrichter Konrad Oldhafer gibt das Tor. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Beim Zuspiel von Kapp auf Theisen ist dieser mindestens mit dem Knie im Abseits, sodass eine strafbare Abseitsposition vorliegt. Somit hätte der Treffer nicht zählen dürfen – eine Fehlentscheidung also. Diese Abseitsposition kann man allerdings nur per Standbild oder mittels der kalibrierten Linien beim Videobeweis erkennen, sodass dem Assistenten kein Vorwurf gemacht werden kann. Er setzt sogar richtigerweise die "Im-Zweifel-für-den-Angreifer"-Anweisung um, weil aus Erfahrung bei diesen Szenen oftmals zwar eine knappe Entscheidung, jedoch kein Abseits vorliegt.
Szene 8: Eine Hereingabe von Tolcay Cigerci (Berlin) bekommt der bereits gelb-verwarnte Maximilian Rossmann (Köln) im Strafraum an die Hand. Einen Elfmeter gibt Oldhafer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:15:05]
Babak Rafati: Nach einer Hereingabe von Cigerci in den gegnerischen Strafraum geht Rossmann zum Ball, nimmt im letzten Moment die Hand zu Hilfe und spielt hiermit das Spielgerät. Er kann somit verhindern, dass der Angreifer hinter ihm an den Ball kommt. Das ist ein absichtliches Handspiel, sodass es einen Elfmeter für Berlin hätte geben müssen. Zudem hätte es für das Handspiel, das unsportlich ist, die gelbe Karte gegen den bereits gelb-verwarnten Rossmann geben müssen, was in der Folge zu einer Ampelkarte geführt hätte. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 9: Tobias Gunte (Berlin) bekommt den Ball nach einer Hereingabe in den Strafraum an den Arm/die Hand. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:48:15]
Babak Rafati: Nach einer langen Flanke auf den zweiten Pfosten kommt es zu einem Zweikampf im Strafraum von Berlin. Dabei springt der Angreifer hinter Gunte zum Ball hoch und will das Spielgerät zum Mitspieler in die Mitte passen. Allerdings nimmt Gunte den Arm zur Hilfe, vergrößert damit seine Körperfläche, spielt den Ball aktiv mit dem Arm und verändert die Ballrichtung. Auch wenn eine kurze Distanz vorliegt, nimmt Gunte durch die Vergrößerung der Körperfläche in Kauf, den Ball an den Arm zu bekommen, was auch geschieht. Das ist regeltechnisch ein absichtliches Handspiel, und somit hätte es einen Elfmeter für Köln geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 10: Nick Galle (Saarbrücken) rempelt Julian Rufidis (Havelse) im Strafraum um, einen Elfmeter für den TSV gibt Schiedsrichter Marc-Philip Eckermann jedoch nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:50]
Babak Rafati: Nach einer langen Hereingabe in den Strafraum von Saarbrücken will Rufidis den Ball auf das gegnerische Tor köpfen. Dabei kommt allerdings Galle hinzu, rennt ihn einfach über den Haufen, bringt ihn zu Fall und kann verhindern, dass dieser an den Ball kommt und das Spielgerät auf das Tor bringt. Das ist ein klares Foulspiel, was der Schiedsrichter bei freier Sicht eigentlich erkennen muss. Eine Fehlentscheidung, diesen fälligen Elfmeter für Havelse nicht zu pfeifen. Eine gelbe Karte gegen Galle wäre obendrein regeltechnisch vorgeschrieben, da das Vergehen rücksichtslos ist. Eine rote Karte ist deshalb nicht vorgeschrieben, da keine Ballkontrolle gegeben ist, was bei Notbremsen beziehungsweise Torverhinderungen ein entscheidendes Kriterium darstellt.
Szene 11: Im Mittelfeld wird Steffen Puttkammer (Meppen) vom bereits gelb-verwarnten Julian Derstroff (Halle) per Foul zu Fall gebracht, Schiedsrichter Christian Ballweg lässt weiterlaufen. Aus dem anschließenden Angriff entsteht ein Elfmeter, den Halle zum 1:1 nutzt. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Beim Zweikampf im Mittelfeld ist Puttkammer in der besseren Position zum Ball und wird dabei vom Gegenspieler Derstroff, der bereits gelb-verwarnt ist, klar und deutlich hinten in die Wade getreten und zu Fall gebracht. Dadurch verliert Puttkammer das Gleichgewicht, schlägt den Ball völlig unkontrolliert in die falsche Richtung und wird so unfreiwillig zum Passgeber des Gegenangriffs, der einen Elfmeter für den Gegner einleitet. Es hätte für dieses Vergehen aber zuvor einen Freistoß für Meppen geben müssen, da ein klares Foulspiel vorliegt. Zudem ist dieser Einsatz mindestens rücksichtslos, wenn gar brutal. Aber es wäre vertretbar gewesen, ihn lediglich mit der gelben Karte zu sanktionieren, sodass es die gelb-rote Karte gegen Derstroff hätte geben müssen. Eine klare Fehlentscheidung, weiterspielen und das Vergehen ungeahndet zu lassen. Auch wenn der Schiedsrichter aus seiner Position frontal zum Geschehen steht und somit kein Blick dafür hat, was sich in der hinteren Region (an der Wade) abspielt, muss zumindest der Assistent, der dieses Vergehen aus seiner Position klar erkennen muss, dem Schiedsrichter einfach helfen.
Szene 12: Im Strafraum geht David Kopacz (Würzburg) gegen Marius Willsch (1860) zu Boden, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Florian Badstübner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]
Babak Rafati: Kopacz legt sich den Ball im gegnerischen Strafraum vor. Dabei kommt Willsch hinzu und will den Ball klären. Allerdings kommt er etwas zu spät, stellt das Bein vor die Füße des Angreifers und bringt ihn dadurch zu Fall. Auch wenn Kopacz beim Hinfallen etwas nachhilft und offensichtlich abhebt, ist das ein Vergehen respektive ein ahndungswürdiges Foulspiel, sodass es einen Elfmeter für Würzburg hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, trotz freier Sicht für den Schiedsrichter diesen nicht zu geben. Vermutlich wird das Abheben des Angreifers den Schiedsrichter dazu bewogen haben, kein entscheidendes Vergehen auszulegen und entsprechend zu entscheiden.
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