Strittige Szenen am 24. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Saarbrücken, Meppen, 1860, Osnabrück und Freiburg II, das Tor von Meppen, das 2:1 von Magdeburg, der verwehrte Treffer von Mannheim, der Strafstoß für Duisburg, der Platzverweis gegen Niklas May sowie die Foulspiele von Ernst, Boyd und Klingenburg. Am 24. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 16 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Dominik Ernst (Saarbrücken) räumt Leon Bell Bell (Magdeburg) an der Außenlinie ab, kommt bei Schiedsrichter Wolfgang Haslberger aber ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 59:45]

Babak Rafati: Ernst geht an der Seitenlinie zwar sehr kampfbetont in den Zweikampf und touchiert Bell Bell am Fuß, spielt dabei aber den Ball. Es bei einer Ermahnung zu belassen, ist eine vertretbare Entscheidung. Die Art und Weise, wie der Schiedsrichter zuerst die Gemüter beruhigt und anschließend Ernst eine klare Ansage erteilt, löst die hektische Situation wohlwollend auf. Prima gemanagt.

Szene 2: Adriano Grimaldi (Saarbrücken) kommt in der gegnerischen Hälfte an den Ball, wird aber von einem Magdeburger etwas festgehalten und verliert den Ball. Das Spiel läuft weiter. Aus dem Angriff fällt das 2:1 für Magdeburg. [TV-Bilder – ab Minute 1:18:40]

Babak Rafati: Die Aktion gegen Grimaldi ist im Bereich des Erlaubten, zumal Saarbrücken selbst bei einem möglichen Haltevergehen gegen Grimaldi im Ballbesitz bleibt und der Schiedsrichter die Vorteilsbestimmung anwenden kann. Eine richtige Entscheidung, diesen Zweikampf nicht zu unterbinden und den anschließenden Treffer für Magdeburg anzuerkennen.

Szene 3: Im Strafraum legt Tobias Jänicke (Saarbrücken) den Ball quer und wird von Amara Condé (Magdeburg) zu Fall gebracht. Kein Elfmeter, entscheidet Haslberger. [TV-Bilder – ab Minute 3:50]

Babak Rafati: Conde legt sich den Ball im eigenen Strafraum etwas zu weit vor, sodass das Spielgerät zu Jänicke gelangt und dieser den Ball quer zu einem Mitspieler passen kann. Unmittelbar danach setzt Conteh mit dem rechten Fuß nach und will vielleicht auch den Ball erreichen, trifft aber nur in die Füße von Jänicke und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter für Saarbrücken geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Zweikampf nicht zu ahnden.

 

Szene 4: Bei einem Laufduell im Strafraum kommt René Guder (Meppen) gegen Alexander Rossipal (Mannheim) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Christof Günsch. [TV-Bilder – ab Minute 21:00]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell im Strafraum zwischen Guder und Rossipal geht der Ball Richtung Torlinie und beide Spieler laufen hinter dem Spielgerät hinterher. Dabei ist Guder in einer besseren Position zum Ball. Rossipal trifft ihn von hinten unten in die Füße und bringt den Angreifer entscheidend zu Fall. Hier muss ein Verteidiger einfach cleverer agieren und "wegbleiben", statt in Kauf zu nehmen, durch Beinstellen oder Tritt den Gegenspieler zu Fall zu bringen. Das ist ein Foulspiel, wenn auch unspektakulär, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, den fälligen Elfmeter für Meppen nicht zu pfeifen.

Szene 5: Ein Torschuss von René Guder prallt Luka Tankulic vor die Füße, der den Ball zum 1:0 für Meppen im Tor unterbringt, dabei aber möglicherweise im Abseits steht. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 0:30]

Babak Rafati: Das ist eine sehr undurchsichtige Situation, die dem Assistenten alles abverlangt. Zum Zeitpunkt des Torschusses auf das Tor von Mannheim steht ein Angreifer knapp hinter der Torlinie, der aber nicht relevant ist, weil er als angreifender Spieler außerhalb des Spielfeldes steht. Tankulic allerdings steht hinter dem Torhüter und aus der vorliegenden Kameraperspektive in Abseitsposition, zumal er zwar den Ball nicht unmittelbar bekommt, aber dennoch seinen Gegenspieler rempelt und somit ins Spielgeschehen eingreift, bevor er den anschließenden Abpraller im gegnerischen Tor unterbringen kann. Eine Fehlentscheidung, diesen Treffer anzuerkennen, wobei zugegeben werden muss, dass die Szene äußerst schwierig zu erkennen ist. Der Assistent kann von der Seite und aus der Entfernung die räumliche Distanz der jeweiligen Spieler zueinander nicht erkennen. Hier hätte eine Kommunikation mit dem Schiedsrichter, der aus frontaler Position auf die Szene schaut, weiterhelfen können. Dann hätte man gemeinsam im Team – unter Einbringung beider Sichtweisen – eine richtige Entscheidung treffen können.

Szene 6: Nach Vorlage von Niklas Sommer bringt Pascal Sohm den Ball im Tor unter, gegeben wird der Treffer aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition jedoch nicht. [TV-Bilder – ab Minute 46:00]

Babak Rafati: Beim Zuspiel von Sommer auf Mitspieler Sohm steht dieser knapp in Abseitsposition. Nach dem Zuspiel berührt ein Verteidiger den Ball, und von da aus gelangt das Spielgerät erst zu Sohm, der anschließend ins gegnerische Tor trifft. Die Berührung des Verteidigers ist wie ein Abpraller und nicht als ein bewusstes Zuspiel zu werten, sodass diese Berührung nicht maßgeblich für die Abseitsposition ist. Sie wird komplett ignoriert. Ob überhaupt eine Abseitsposition vorliegt, kann man sehr gut an der Strafraumlinie erkennen. Man erkennt gut, dass Sohm etwas tiefer im Strafraum steht als der Verteidiger. Eine richtige Entscheidung, den Treffer zu verweigern.

Übrigens ist dieser Abpraller bzw. diese Berührung regeltechnisch genauso zu werten, wie die Abseitsszene zwei Spieltage zuvor zwischen Braunschweig und Halle, als ein Verteidiger den Ball mit der Hüfte abwehrte und diese Berührung ebenso nicht relevant war und somit das erste Zuspiel entscheidend war.

Szene 7: Im eigenen Strafraum grätscht Marcel Seegert (Mannheim) einen Schuss von René Guder (Meppen) ab und berührt ihn anschließend möglicherweise mit der Hand. Die Pfeife von Günsch bleibt stumm. [TV-Bilder – ab Minute 1:33:25]

Babak Rafati: Im eigenen Strafraum grätscht Seegert zum Ball, blockt damit einen Schuss von Guder und fängt diesen ab. Als er noch am Boden liegend den Ball abgefangen hat und wieder aufstehen will, berührt er den Ball mit dem Knie und von da aus springt der Ball leicht an die Hand. Das ist allerdings kein strafbares Handspiel, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 8: Nach einer Ecke bekommt Niklas May (Köln) einen Schuss von Semi Belkahia (1860) im Strafraum an die Hand/den Arm. Schiedsrichter Lukas Benen lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:42:45]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Belkahia aus kurzer Distanz bekommt May den Ball an den Arm und blockt somit das Spielgerät. May streckt zwar den rechten Arm unnatürlich heraus, bekommt aber den Ball nicht an diesen, sondern an den linken Arm. Dieser ist jedoch angelegt, so dass kein strafbares Handspiel vorliegt und der Schiedsrichter richtig entscheidet, weiterspielen zu lassen.

Szene 9: Tim Linsbichler (1860) läuft frei auf das Tor zu und geht im Strafraum bei einem Zweikampf mit Keeper Elias Bördner (Köln) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Benen. [TV-Bilder – ab Minute 1:53:00]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf läuft Keeper Bördner aus seinem Tor heraus und will vor Linsbichler knapp innerhalb des eigenen Strafraumes den Ball klären. Er räumt zuerst den Angreifer komplett ab und kann dann erst den Ball abfangen. Hier ist die Reihenfolge maßgeblich. Hätte der Keeper erst den Ball kontrolliert abgefangen, könnte man noch argumentieren, dass der Ball Spielobjekt ist. In dieser Szene wird aber zunächst der Angreifer attackiert und abgeräumt und erst anschließend der Ball kontrolliert, sodass ein Foulspiel vorliegt. Es hätte somit einen Elfmeter für 1860 München geben müssen. Eine Fehlentscheidung, das Spiel weiterlaufen zu lassen.

Szene 10: Für ein Ziehen gegen Merveille Biankadi (1860) im Mittelfeld sieht der gelb-verwarnte Niklas May (Köln) die Ampelkarte. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]

Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im Mittelfeld bedrängt May sicherlich seinen Gegenspieler Biankadi, begeht dabei aber keineswegs ein Foulspiel, erst recht kein taktisches Foulspiel, zum Beispiel durch Halten. In dieser Szene einen Freistoß zu pfeifen, ist noch vertretbar. Aber dafür die gelbe Karte zu zeigen, die für den bereits verwarnten May die Ampelkarte bedeutet, ist eine Fehlentscheidung.

 

Szene 11: Einen Schuss von Lukas Kunze (Osnabrück) blockt Dan-Axel Zagadou (Dortmund II) im Strafraum mit dem Arm ab, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Lars Erbst nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Kunze nimmt Zagadou im eigenen Strafraum den rechten Arm zur Hilfe und blockt den Ball, sodass dieser nicht auf das Tor kommt. Die Armhaltung des Verteidigers ist unnatürlich, weil der Arm zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt wird und somit ein absichtliches Handspiel vorliegt. Es hätte einen Elfmeter für Osnabrück sowie die gelbe Karte gegen Zagadou wegen Unsportlichkeit geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das strafbare Handspiel nicht zu ahnden.

Szene 12: Marc Heider (Osnabrück) dringt nach einem Solo in den Strafraum ein und wird von Soumaila Coulibaly (Dortmund II) zu Fall gebracht. Erneut zeigt Erbst nicht auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]

Babak Rafati: Heider ist mit dem Ball am Fuß auf dem Weg auf das gegnerische Tor und wird im Strafraum durch das lange Bein von Coulibaly attackiert und zu Fall gebracht. Coulibalys Einsatz gilt sicherlich dem Ball, er touchiert jedoch wenn überhaupt nur sehr leicht das Spielgerät, bringt Heider aber durch das lange Bein entscheidend zu Fall, sodass ein Foulspiel vorliegt. Hier hätte es erneut einen Elfmeter für Osnabrück geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Eine Karte wäre für dieses Vergehen nicht erforderlich, auch keine rote Karte, da zum einen ein weiterer Verteidiger in Spielnähe postiert und zum anderen die Aktion ballorientiert ist, sodass die Notbremsenregelung in diesem Fall keine Anwendung findet.

 

Szene 13: Nach einem Zweikampf mit Jan Löhmannsröben (Halle) sieht Terrence Boyd (Kaiserslautern) von Schiedsrichter Lasse Koslowski früh im Spiel Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]

Babak Rafati: Bei diesem Luftzweikampf springt Boyd zum Kopfball hoch, nimmt dabei völlig unnötig den Ellenbogen heraus und trifft Löhmannsröben im Kopf- und Gesichtsbereich. Auch wenn kein Schlag von Boyd vorliegt, was dann mit der roten Karte geahndet werden müsste, liegt dennoch ein rücksichtsloser Einsatz durch "Fernhalten des Gegenspielers" vom Ball vor, was vom Schiedsrichter vollkommen richtig mit der gelben Karte geahndet wird.

Szene 14: René Klingenburg (Kaiserslautern) steigt Marcel Titsch-Rivero (Halle) auf den Knöchel, kommt aber ohne Verwarnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 28:55]

Babak Rafati: Bei dieser Aktion steht der Schiedsrichter nicht optimal zum Vorgang, daher kann er nicht erkennen, was sich genau bei diesem Zweikampf ereignet. Wenn er die TV-Bilder sieht, wird er sicherlich zu der Erkenntnis kommen, dass Klingenburg mit offener Sohle Gegenspieler Titsch-Rivero nur auf den Knöchel steigt und somit seine Gesundheit gefährdet. Das ist eine brutale Spielweise, und dafür steht nur die rote Karte zur Auswahl, auch wenn sich diese Szene in der Anfangsphase (11. Minute) des Spiels ereignet. Das sogenannte "Trefferbild" lässt keine andere Entscheidung zu, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, dieses Vergehen nicht entsprechend mit Rot zu ahnden.

 

Szene 15: Im Strafraum geht John Yeboah (Duisburg) gegen Ahmet Gürleyen (Wiesbaden) zu Fall, Patrick Hanslbauer Schiedsrichter zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 2:55]

Babak Rafati: Yeboah bekommt den Ball im gegnerischen Strafraum zugespielt, nimmt das Spielgerät an und kommt anschließend nach einem leichten Kontakt mit Gegenspieler Gürleyen zu Fall. Gürleyen verhält sich absolut regelgerecht und foult den Angreifer überhaupt nicht. Es liegt ein korrekter Zweikampf vor, bei dem Yeboah den leichten Kontakt dankend annimmt und sich dabei fallen lässt. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter für Duisburg zu verhängen.

 

Szene 16: Im Strafraum bekommt Patrick Kammerbauer (Freiburg II) nach einem langen Ball den Arm vom Tobias Kraulich (Würzburg) ins Gesicht und geht zu Boden. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Konrad Oldhafer. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den gegnerischen Strafraum will Kammerbauer den Ball mit der Brust annehmen und unter Kontrolle bringen. Dabei kommt Kraulich zum Zweikampf hinzu, gibt ihm mit dem linken Arm einen Stoß gegen den Hals und bringt ihn dadurch zu Fall. Diese Aktion ist ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers, sodass ein Foulspiel vorliegt. Zudem spielt Kraulich mit seinem linken Arm auch den Ball, indem er den Arm zum Hals ausgestreckt hat, sodass auch ein strafbares Handspiel vorliegt, was ahndungswürdig ist. Somit hätte es sowohl wegen Foulspiel als auch wegen Handspiel einen Elfmeter für Freiburg II geben müssen. Eine Fehlentscheidung, beide Vergehen zu übersehen und weiterspielen zu lassen.

Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde

   

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