Strittige Szenen am 24. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Elversberg, Wiesbaden, Zwickau, Halle, Mannheim und Meppen, das Tor von Elversberg, der verwehrte Treffer von Osnabrück, die Strafstöße für Wiesbaden und Verl, das 1:0 von Bayreuth und ein Foulspiel von Oldenburgs Ndure. Am 23. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Ein Kopfball-Zuspiel von Jakob Lewald bekommt Christian Conteh (Dresden) im Strafraum an die Hand. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Michael Bacher. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]

Babak Rafati: Auch wenn sich Conteh etwas verschätzt, ihm der Ball zunächst auf den Oberschenkel fällt und erst unmittelbar von dort an den Arm springt, ist zu beachten, dass der Arm zuvor ausgespreizt wurde und somit die Intention vorlag, die Körperfläche mit diesem Arm zu vergrößern. Somit liegt keine natürliche Haltung vor, sodass es sich um ein strafbares Handspiel handelt. Es hätte einen Elfmeter für Elversberg geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Handspiel nicht zu ahnden.

Szene 2: Im Mittelfeld spielt Robin Fellhauer (Elversberg) den Ball mit der Hand, die Partie läuft weiter. Direkt danach kommt Nick Woltemade (Elversberg) im Strafraum über das ausgestreckte Bein von Max Kulke (Dresden) zu Fall, Bacher gibt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 3:10]

Babak Rafati: Zunächst einmal stoppt Fellhauer den Ball vor den Augen des Schiedsrichters mit dem Arm und somit regelwidrig. Der Arm geht bewusst zum Ball und nicht andersherum. Es hätte einen Freistoß für Dresden geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Aus dieser Szene resultiert dann eine Strafraumaktion. Dabei läuft Woltemade mit dem Ball am Fuß. Kulke kommt zu einem Zweikampf hinzu, stellt ihm das Bein und bringt ihn dadurch zu Fall, wenngleich er den Ball vom Fuß des Angreifers spielen möchte, das Spielgerät aber eben verfehlt. Auch wenn Woltemade den Kontakt dankend annimmt, ist das ein Foulspiel und eine richtige Entscheidung, auf Elfmeter für Elversberg zu entscheiden. Allerdings hätte es aufgrund des Handspiels erst gar nicht zu dieser Strafraumaktion kommen dürfen.

 

Szene 3: Im Strafraum will Johannes Wurtz (Wiesbaden) zum Ball, wird aber von Omar Haktab Traoré (Osnabrück) in den Rücken gestoßen und geht zu Boden. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Konrad Oldhafer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:37:45]

Babak Rafati: Nach einer Flanke von der rechten Seite fliegt der Ball in die Mitte in zentraler Position zu Wurtz, der zum Kopfball hochsteigen will. Dabei kommt Traore von hinten und drückt den Angreifer entscheidend nach vorne zu Boden, sodass er verhindern kann, dass dieser an den Ball kommt. Die Aktion ist nur gegnerorientiert und zudem ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers. Es hätte folglich einen Elfmeter für Wiesbaden und die gelbe Karte gegen Traore geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Bei der Kartenfarbe ist deshalb die gelbe Karte ausreichend, da ein Kriterium für eine Torverhinderung mit der roten Karte als Folge nicht zutrifft, nämlich die Ballkontrolle des Angreifers. Auch wenn viele an dieser Stelle der Meinung sind, dass der Angreifer nur noch "einnicken" braucht und mehr nicht geht, was ich persönlich auch teile, sei erwähnt, dass die Regel einen Ball in der Luft nicht als Ballkontrolle interpretiert.

Szene 4: Noel Niemann erzielt das 3:0 für Osnabrück, wird aber wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung zurückgepfiffen. Der VfL reklamiert, dass der Ball vom Gegner kam. [TV-Bilder – ab Minute 1:44:45]

Babak Rafati: Das Zuspiel auf Niemann kommt vom Gegner, sodass keine Abseitsposition vorliegen kann. Somit eine Fehlentscheidung, diesen Treffer nicht anzuerkennen. Womöglich hat der Assistent angenommen, dass der Ball zuletzt vom Angreifer – im Zweikampf mit dem verteidigenden Passgeber – berührt wurde. Vielleicht wurde aber auch die Abseitsregel missinterpretiert. Es gibt nämlich die Situation, dass ein Angreifer ein Zuspiel auf den Mitspieler, der zu diesem Zeitpunkt im Abseits steht, vornimmt und danach, als sich der Ball auf dem Weg zum im Abseits befindlichen Stürmer befindet, ein Verteidiger den Ball noch berührt, bevor er zum Angreifer kommt. In diesem Fall liegt eine Abseitsposition vor, weil ein Berühren oder Ablenken des Balles durch den Verteidiger die Abseitsposition nicht aufhebt. In dieser Szene stellt sich der Sachverhalt aber ganz anders dar. Der Verteidiger hat den Ball kontrolliert und erst dann den Ball gespielt, sodass dem nicht ein missglückter Abwehrversuch voraus ging.

Szene 5: Gegen Timo Beermann (Osnabrück) kommt Ivan Prtajin (Wiesbaden) im Strafraum zu Fall, Oldhafer zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 3:35]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball in den Strafraum laufen Beermann und Prtajin rückwärts mit dem Rücken zum Tor nach hinten. Dabei umklammert Beermann beim Rückwärtslaufen ein wenig. Schlussendlich tritt der Angreifer dem Verteidiger unbeabsichtigt auf den linken Fuß, und erst dadurch verlieren beide ihr Gleichgewicht und kommen zu Fall. Das leichte Umklammern ist ein Kontakt und kein Foulspiel, wie es die Fußballregeln vorsehen. Das ist in der Praxis ein sogenanntes "Bearbeiten" oder "Hand anlegen." Somit ist das Umklammern nicht ursächlich für das Zufallkommen des Angreifers. Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass Prtajin den Kontakt dankend annimmt. Es ist einfach das unbeabsichtigte auf den Fuß treten, warum der Angreifer zu Fall kommt. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter zu pfeifen. Wenn nur das Klammern, wie in diesem Fall, im Spiel wäre, würde dieser für einen Elfmeter einfach nicht ausreichen.

 

Szene 6: Johan Gomez (Zwickau) kommt im Strafraum gegen Marcel Götz (Bayreuth) zu Fall, Schiedsrichter Florian Exner lässt weiterspielen. [TV-Bilder – ab Minute 28:20]

Babak Rafati: Bei diesem Einsatz springt Götz sehr riskant in den Zweikampf mit Gomez und nimmt ein mögliches Foulspiel in Kauf. Dabei spielt er allerdings mit dem rechten Fuß klar den Ball, wenngleich er auch mit dem linken Bein die Beine von Gomez touchiert. Dadurch, dass aber der Ball entscheidend gespielt wird, ist das Vergehen ballorientiert. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 7: Bei einem langen Pass von Latteier steht Markus Ziereis (Bayreuth) im Abseits, geht aber nicht zum Ball, sondern lässt für Alexander Nollenberger durch. Dieser spielt dann auf Ziereis ab, der zum 1:0 trifft. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]

Babak Rafati: Bei diesem Pass von Latteier starten zwei Mitspieler in die Tiefe. Dabei steht Ziereis im Abseits und Nollenberger nicht. Auch wenn Ziereis zunächst zum Ball läuft, schließlich den Ball für Nollenberger durchlässt und somit den Ball nicht berührt, gibt es bei der Abseitsregel einige Aspekte zu beachten. Beim Abseits muss der Ball nicht unbedingt berührt werden, um strafbar zu sein, sondern es gibt durchaus einige Kriterien, die auch ohne Berührung eine aktive Abseitsposition hervorrufen können. Ein Kriterium wäre zum Beispiel, wenn ein Spieler, der sich aus einer Abseitsstellung bewegt oder in einer Abseitsstellung befindet, sich im Laufweg eines Gegners befindet und die Bewegung des Gegners zum Ball beeinträchtigt. Ein anderes Kriterium wäre, wenn es zu einem Zweikampf kommt und dabei der gegnerische Verteidiger beim im Abseits stehenden Angreifer aufläuft und dadurch nicht an den Ball kommen kann. Diese zwei und die weiteren in der Regel genannten Kriterien treffen in dieser Szene auf eine Abseitsposition nicht zu, daher ist es richtig, weiterspielen zu lassen und den anschließenden Treffer anzuerkennen.

 

Szene 8: Im Strafraum geht Andor Bolyki (Halle) im Duell mit Jesper Verlaat (1860) zu Fall, einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Richard Hempel nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:25:30]

Babak Rafati: Im Strafraum will Verlaat mit dem rechten Fuß zum Ball, grätscht auch Richtung Ball, verfehlt das Spielgerät aber. Er trifft allerdings auch nicht seinen Gegenspieler Bolyki. Mit dem linken Fuß (Nachziehbein) wiederum spielt er den Ball, sodass kein Foulspiel vorliegt. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 9: Bei einem Laufduell wird Andor Bolyki (Halle) von Jesper Verlaat im Strafraum gehalten, geht aber außerhalb zu Fall. Es gibt nur Freistoß für den HFC. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell an der Strafraumgrenze ist Bolyki in der besseren Position zum Ball, deshalb versucht Verlaat ihn zu stören, hält ihn wirkungsvoll am Arm fest und bringt ihn zu Fall, sodass ein Foulspiel vorliegt. Ob das Vergehen auf der Strafraumlinie oder doch knapp außerhalb des Strafraumes erfolgt, kann anhand der vorliegenden TV-Bilder nicht zweifelsfrei beurteilt werden. Allerdings ist das Vergehen tendenziell auf der Strafraumlinie, sodass womöglich ein Elfmeter für mich die richtige Entscheidung gewesen wäre. Die Schiedsrichter sind aber angehalten, nur dann Elfmeter zu pfeifen, wenn sie sich absolut sicher sind. In dieser Szene wird sich der Schiedsrichter eben nicht zu 100 Prozent sicher gewesen sein, ob es innerhalb war. Es gibt in der Schiedsrichterszene zudem ein ungeschriebenes Gesetz: Über einen berechtigten Elfmeter, den man nicht pfeift, wird weniger diskutiert, als über einen nicht berechtigten oder zweifelhaften, den man pfeift. An diesem Maßstab wird sich der Schiedsrichter womöglich gehalten haben und daher vorsorglich den Tatort außerhalb des Strafraumes verortet haben.

 

Szene 10: Einen Schuss von Bentley Baxter Bahn (Mannheim) bekommt Antonios Papadopoulos (Dortmund II) im Strafraum beim Fallen an den Arm. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Dr. Robert Kampka. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Baxter Bahn springt Papadopoulos in die Schussbahn des Balles, spreizt den Arm aus, vergrößert damit seine Körperfläche und kann dadurch den Schuss blocken. Der Arm ist somit nicht in natürlicher Haltung, sodass ein strafbares Handspiel vorliegt und es somit einen Elfmeter für Mannheim und die gelbe Karte wegen Unsportlichkeit gegen den Verteidiger hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Handvergehen nicht zu ahnden.

 

Szene 11: Jesse Tugbenyo (Verl) wird im Strafraum von Robert Zietarski (Oldenburg) am Fuß getroffen, Schiedsrichter Patrick Hanslbauer gibt Elfmeter für Verl. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]

Babak Rafati: Tugbenyo dringt mit dem Ball am Fuß in den Strafraum ein. Zietarski, der ihm hinterherläuft, tritt ihm in der Laufbewegung in die Hacke und bringt ihn dadurch entscheidend zu Fall. Ob dieser Wirkungstreffer beabsichtigt oder nicht beabsichtigt ist, spielt bei der Foulspielfrage keine Rolle. Der Verteidiger nimmt billigend in Kauf, den Gegner aus einer schlechteren Position zum Ball durch ein Foulspiel zu stoppen, was in diesem Fall auch zum Tragen kommt. Eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters, aus einer sehr guten Position diesen Elfmeter zu pfeifen.

Szene 12: Gegen Oliver-Batista Meier (Verl) geht Dominik Ndure (Oldenburg) mit offener Sohle in den Zweikampf und bringt ihn zu Fall, kommt aber ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:40]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Mittelfeld will sich Meier den Ball am Gegenspieler Ndure vorbeilegen und tickt das Spielgerät an. Dabei kommt Ndure aus vollem Lauf und offener Sohle angelaufen und trifft Meier hiermit am Knie. Erst danach spielt er zufällig den Ball. Diese Aktion ist komplett gegnerorientiert, stellt eine Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers und eine brutale Spielweise dar. In dieser Szene kann es neben dem Freistoß nur eine Entscheidung geben, nämlich die rote Karte. Eine Fehlentscheidung, diese nicht zu zeigen.

 

Szene 13: Im Strafraum geht Marvin Pourié (Meppen) im Duell mit Tobias Fleckstein (Duisburg) zu Fall und fordert einen Elfmeter, den Schiedsrichter Timo Gansloweit jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 2:06:00]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zwischen Pourié und Fleckstein ist im Oberkörperbereich alles regelgerecht, sodass kein Foulspiel vorliegt. Im Fußbereich gibt es durch die Ausholbewegung von Fleckstein einen leichten Kontakt, bei der Pourié zu Boden geht. Dieser Kontakt reicht aber bei weitem nicht für ein Foulspiel und einen Elfmeter aus. Vielmehr wird der Kontakt dankend angenommen und ist nicht ursächlich für das Zufallkommen von Pourié. Das Fallmuster ist auch bezeichnend, denn dieses passt überhaupt nicht zum Kontakt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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