Strittige Szenen am 24. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Essen, Lübeck, Ulm, Sandhausen und Ingolstadt, die Tore für Saarbrücken und Regensburg, der Platzverweis gegen Steinhart sowie Foulspiele von Sijaric und Fahrner. Am 24. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de elf strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Philip Fahrner (Freiburg II) räumt Isaiah Young (Essen) an der Seitenlinie ab, sieht von Schiedsrichter Tobias Wittmann aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 17:55]

Babak Rafati: Bei dieser Grätsche von Fahrner gegen Young wird zum Glück für beide der Ball entscheidend gespielt, obwohl der Einsatz grenzwertig ist. Natürlich trifft Fahrner auch ein wenig den Fuß von Young, aber wie man sieht, steht dieser sofort wieder auf, sodass dieses Trefferbild keine rote Karte rechtfertigen würde, da der Treffer leicht ist und nicht voll den Gegner trifft. Somit ist die gelbe Karte vertretbar.

Szene 2: Im Strafraum wird Leonardo Vonic (Essen) von Niklas Lang (Freiburg II) gehalten und zu Fall gebracht und fordert Elfmeter, den Wittmann jedoch nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 43:00]

Babak Rafati: Nach einer Flanke von der rechten Seite setzt Vonic zu einem Seitenrückzieher an. Dabei zieht ihn Lang am Trikot, sodass Vonic nicht mehr zum Ball kann und zu Fall kommt. Lang lässt sich clever mitfallen, damit sein Vergehen untergeht. Das ist aber ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben. Dem Schiedsrichter wird das Trikothalten nicht genug für ein Foulspiel gewesen sein, aber durch die Position des Angreifers, dass er nicht statisch steht, sondern dynamisch zum Ball will, reicht das Halten für ein Foulspiel aus, da die Wirkung größer wird.

Szene 3: Ron Berlinski (Essen) will den Ball gegen Freiburg-Keeper Benjamin Uphoff vom Fuß spitzeln, geht dabei aber zu Fall. Auf den Punkt zeigt der Schiedsrichter nicht, stattdessen entscheidet er auf Stürmerfoul. [TV-Bilder – ab Minute 1:45:00]

Babak Rafati: Berlinski kommt im Rücken von Keeper Uphoff angelaufen und spielt den Ball. Dabei will der Keeper klären, was ihm aber nicht mehr gelingt, er begeht aber auch kein Foulspiel. Somit liegt kein Foulspiel an Berlinski vor. Ein Stürmerfoul ist aber auch nicht auszumachen. Eine richtige Entscheidung, keinen Elfmeter zu geben.

 

Szene 4: Omar Sijaric (Aue) geht ohne Rücksicht in einen Zweikampf mit Leroy Kwadwo (1860) und trifft ihn am Schienbein, kommt bei Schiedsrichter Leonidas Exuzidis aber mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:03:45]

Babak Rafati: Sijaric geht mit offener Sohle und gestrecktem Fuß in den Zweikampf gegen Kwadwo, hat aber Glück, klar den Ball zu spielen – auch, wenn er dabei auch Kwadwo trifft. Das Trefferbild rechtfertigt allerdings keine rote Karte, was auch an der Reaktion der Spieler eindeutig ist. Ja, so muss man nicht zum Ball, aber der Ball wird dennoch klar gespielt. Eine richtige Entscheidung, es lediglich bei der gelben Karte zu belassen. Wenn nicht der Ball, sondern stattdessen der Fuß von Kwadwo voll getroffen worden wäre, hätte es keine zwei Meinungen gegeben. Dann wäre die rote Karte angemessen gewesen.

Szene 5: Für ein Foul an Sean Seitz (Aue) sieht Philipp Steinhart (1860) glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:00]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf springt Steinhart mit voller Wucht, mit offener Sohle, aus dem Lauf und zudem vollkommen unkontrolliert in die Beine von Seitz und trifft ihn am Knöchel. Damit wird die Verletzung des Gegenspielers billigend in Kauf genommen. Bei dem Trefferbild bleibt dem Schiedsrichter nur die Möglichkeit, die rote Karte zu zeigen. Eine vollkommen richtige Entscheidung, Steinhart vom Platz zu stellen.

 

Szene 6: Nachdem der Ball nach einem Schuss von Rasim Bulic vom Pfosten abprallt, läuft Elias Huth zum Spielgerät und bringt es im Tor unter. Duisburg reklamiert Abseits, Schiedsrichter Konrad Oldhafer gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]

Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Torschusses steht Huth minimal im Abseits, greift aber noch nicht ins Spielgeschehen ein. Nach dem Pfostenabpraller gelangt der Ball dann schlussendlich zu Huth, der aktiv ins Spielgeschehen eingreift und den Ball im Tor unterbringt. Damit wird die vorige passive Abseitsposition zu einer aktiven Abseitsposition, weil die gleiche Spielsituation vorliegt und keine neue eingeleitet wird. Somit eine Fehlentscheidung, diesen Treffer anzuerkennen.

 

Szene 7: Daouda Beleme (Lübeck) erkämpft sich an der Strafraumgrenze den Ball und kommt dann innerhalb des Sechzehners gegen Max Brandt (Ulm) zu Fall. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Martin Speckner. [TV-Bilder – ab Minute 57:10]

Babak Rafati: Bei diesem Duell im Strafraum geht es mit rechten Dingen zu. Im Fußbereich ist alles regelgerecht. Im Oberkörperbereich kommt es zwar zum Kontakt, aber Beleme nimmt das zum Anlass, zu Fall zu kommen. Das ist jedoch ein normaler Zweikampf mit Armeinsatz, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

Szene 8: Bei einem Luft-Zweikampf mit Johannes Reichert (Ulm) bekommt Daouda Beleme (Lübeck) den Ball im Strafraum an den Arm, einen Elfmeter gibt Speckner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:28:50]

Babak Rafati: Bei diesem Kopfballduell bekommt Beleme den Ball zwar aus sehr kurzer Entfernung an den Arm geköpft, allerdings ist der Arm nicht in natürlicher Haltung, vielmehr wird dieser zur Vergrößerung der Körperfläche eingesetzt, sodass in Kauf genommen wird, den Ball an den Arm zu bekommen. Somit liegt ein strafbares Handspiel vor, und es hätte einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu verhängen. Man kann diese Armhaltung auch nicht damit begründen, dass der Arm beim Herunterkommen von Beleme in einer Schwungbewegung ist. Dafür springt er viel zu wenig ab.

 

Szene 9: Michael Eberwein (Dortmund II) spielt gegen Kasim Rabihic (Saarbücken) den Ball, dennoch gibt Schiedsrichter Timon Schulz einen Freistoß, aus dem das 1:1 resultiert. [TV-Bilder – ab Minute 3:50]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spielt Eberwein gegen Rabihic klar den Ball, auch wenn sich der Angreifer theatralisch fallen lässt. In dieser Szene auf Freistoß zu entscheiden, ist daher eine Fehlentscheidung. Somit hätte der Schiedsrichter weiterspielen lassen müssen.

 

Szene 10: Auf dem Weg Richtung Tor kommt Markus Pink (Sandhausen) im Duell mit Enrique Lofolomo (Halle) zu Fall und kann den Ball anschließend nicht im Tor unterbringen. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Patrick Schwengers nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]

Babak Rafati: Pink hat bereits den Torhüter ausgespielt und braucht nur noch ins leere Tor einschießen. Allerdings läuft Lofolomo hinter Pink her, will dabei sogar ausweichen, um einen Kontakt und möglichen Elfmeter zu vermeiden, kann aber nicht mehr verhindern, dass er ihn trotzdem (ungewollt) trifft und deshalb zu Fall bringt. Der Treffer von Lofolomo geschieht mit dem linken Fuß gegen den linken Fuß des Angreifers, was die entscheidende Szene ist. Die Laufwege kreuzen sich, und der Angreifer ist in der besseren Position zum Ball als der Verteidiger. Er nimmt mit der Verfolgung und nicht 100-prozentigem Zurückziehen in Kauf, den Gegner zu foulen, sodass ein Foulspiel vorliegt und es einen Elfmeter hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterlaufen zu lassen. Auch wenn eine klare Torchance verhindert wird, ist die Aktion ballorientiert, sodass es nur die gelbe Karte hätte geben müssen.

Dass ein Verteidiger niemals den Angreifer laufen lassen wird, ist selbsterklärend. Er will zumindest versuchen, ein wenig zu stören, manchmal mit Erfolg. Dabei kann es dann auch zu solch einem Vergehen kommen, was aber eben einen Elfmeter nach sich ziehen würde.

 

Szene 11: Im Strafraum kommt Julian Kügel (Ingolstadt) gegen Claudio Kammerknecht (Dresden) zu Fall und fordert einen Elfmeter. Diesen gibt Schiedsrichter Martin Petersen jedoch nicht, stattdessen zeigt er Kügel wegen einer vermeintlichen Schwalbe die gelbe Karte. [TV-Bilder – ab Minute 2:08:50]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf stößt Kammerknecht seinem Gegenspieler kurz vor der Torlinie in den Rücken, was aber kein Vergehen darstellt. Das ist normale Zweikampfführung mit „gesunder Härte“, was wiederum Kügel dankend annimmt und atypisch zu Fall kommt. Das leichte Stoßen ist nicht ursächlich für das Zufallkommen. Ein Fallmuster, das den Schiedsrichter dazu veranlasst, auf Schwalbe zu entscheiden. Richtig gewesen wäre, weiterspielen zu lassen. Kein Elfmeter, aber auch keine Schwalbe. Wenn man solche Vergehen als Schwalbe ahndet, gehen wir mit diversen gelben Karten aus dem Spiel. Eine Schwalbe muss klar sein (fast kein Kontakt) und nicht halb Körperkontakt und halb Zweikampf. Eine richtige Entscheidung, keinen Elfmeter zu pfeifen, aber eine übertriebene Entscheidung, auf Schwalbe zu entscheiden.

Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde

   

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