Strittige Szenen am 25. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Rostock (2), 1860 und Sandhausen, die Strafstöße für Essen und Saarbrücken, die nicht gegebenen Treffer für Aachen und Osnabrück, das 2:0 für Stuttgart II, ein Nachtreten von Kopacz, die Aktion von Keidel gegen Mizuta, sowie Foulspiele von Risch, Casar, Felix, Lucoqui, Fröde. Am 24. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 16 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Sascha Risch (Dresden) geht rüde in einen Zweikampf mit Nico Neidhart (Rostock), der anschließend ausgewechselt werden muss. Schiedsrichter Tom Bauer belässt es bei Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 23:00]

Babak Rafati: Risch kommt einen Moment zu spät und erreicht mit seinem langen Bein am Boden nicht mehr den Ball, vielmehr kann er nur durch ein Beinstellen seinen Gegenspieler Neidhart stoppen und zu Fall bringen. Das ist ein rücksichtsloses Foulspiel, bei dem eine gute Angriffschance vereitelt wird, sodass die gelbe Karte vollkommen richtig ist. Wäre statt Beinstellens ein Foulspiel mit einem entsprechenden Trefferbild passiert, wäre durchaus eine rote Karte fällig.

Szene 2: Im Strafraum geht Sigurd Haugen (Rostock) gegen Aljaz Casar (Dresden) zu Boden, einen Elfmeter gibt Bauer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf zieht Haugen am Trikot von Casar, der wiederum ein wenig gegen Haugen klammert. Beide Aktionen, die beim Fußball dazu gehören, sind nicht regelwidrig und einfach zu wenig für ein Foulspiel. Insbesondere das Umklammern des Verteidigers ist nicht entscheidend und somit liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.

Szene 3: Bei einem Luftzweikampf im Mittelfeld bekommt King Manu (Rostock) den Ellenbogen von Casar (Dresden) in den Nacken, eine Karte zeigt der Schiedsrichter nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:05:35]

Babak Rafati: Casar setzt bei diesem Luftzweikampf den Ellenbogen ein und trifft Manu im Nackenbereich. Das ist unnötig und rücksichtslos, sodass der Ellenbogen regeltechnisch als Werkzeug eingesetzt wird, was keinen Schlag darstellt, der mit der roten Karte geahndet werden würde, aber dennoch die gelbe Karte nach sich zieht. Eine Fehlentscheidung, die zwingend vorgeschriebene gelbe Karte nicht zu zeigen. Eine typische Szene dafür, die natürlich durch die TV-Bilder leicht aufzulösen ist, aber auf dem Platz oftmals aufgrund der Schnelligkeit, Dynamik, Blickwinkel des Schiedsrichters und schließlich wegen den Emotionen untergeht und somit nachvollziehbar ist.

Szene 4: Sigurd Haugen (Rostock) wird im Strafraum gehalten und fordert Elfmeter, den der Schiedsrichter aber nicht gibt. [TV-Bilder – ab Minute 1:52:15]

Babak Rafati: Haugen wird im Strafraum klar gehalten und entscheidend gestört, an den Ball zu kommen. Durch das klare Halten am Trikot gerät Haugen deutlich sichtbar in Rückenlage und kommt dadurch schließlich zu Fall. Das ist ein klares Foulspiel. Dabei ist auch unerheblich, dass selbst wenn er an den Ball gekommen wäre und diesen verlängert hätte, keine große Torchance entstanden wäre, weil der Keeper im Tor steht und hätte eingreifen können. Hier hätte es einen Elfmeter geben müssen, aber eine Karte wäre nicht erforderlich. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter nicht zu geben.

 

Szene 5: Joel Felix (Bielefeld) zieht Dickson Abiama (1860) die Beine weg, sieht von Schiedsrichter Marc Philip Eckermann aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:11:10]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf ist Abiama im vollen Lauf. Felix kommt nicht hinterher und entscheidet sich für ein Foulspiel, indem er ohne Chance auf den Ball von hinten seinem Gegenspieler die Beine wegzieht und rüde zu Fall bringt. Das ist ein klares Foulspiel, das nur gegnerorientiert ist und somit bewusst in Kauf nimmt, dass sich der Gegenspieler verletzen kann. Somit hätte es die rote Karte geben müssen. Der Schiedsrichter denkt auch über eine rote Karte nach, was man daran erkennt, dass er hilfesuchend zum Assistenten guckt, um seine Meinung einzuholen. Sich dann aber schlussendlich für die gelbe Karte zu entscheiden, ist eine Fehlentscheidung.

Im Vergleich zu Szene 1 ist anzumerken, dass dort der Gegenspieler nur einen Moment zu spät kommt und eine Chance hatte, den Ball zu spielen, sodass keine Verletzung in Kauf genommen wird.

Szene 6: Im Duell mit Sam Schreck (Bielefeld) spielt Anderson Lucoqui (München) den Ball, sieht aber Gelb und dann sogar Gelb-Rot, ehe Eckermann zumindest die zweite gelbe Karte zurücknimmt. [TV-Bilder – ab Minute 1:59:35]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spielt Lucoqui klar den Ball. Als der Schiedsrichter trotzdem ein Foulspiel pfeift, regt er sich theatralisch auf. Das ist natürlich kein Foulspiel, vielmehr ein klares Ballspielen, sodass es den Freistoß nicht hätte geben dürfen. Somit ist auch eine gelbe Karte falsch. Dass Lucoqui die gelb-rote Karte sieht, ist offensichtlich ein Irrtum des Schiedsrichters, der womöglich angenommen haben wird, dass Lucoqui zuvor bereits gelb-verwarnt war. Für beide Aktionen, Foulspiel und Meckern, wird er nicht die gelben Karten gezeigt haben, denn sonst würde er die Entscheidung nicht unmittelbar revidieren. Zum anderen hätte der Schiedsrichter zuerst die gelbe Karte und dann gleich im Anschluss in der Reihenfolge erst die gelbe und dann die rote Karte gezeigt. Das tut er in dieser Szene aber nicht. Erst die gelbe und dann gleich die rote Karte zeigt ein Schiedsrichter dann, wenn ein Spieler bereits zuvor gelb-verwarnt war. Insgesamt kann man festhalten, dass der Zweikampf nicht hätte gepfiffen werden und folglich auch keine Karte nach sich hätte ziehen dürfen. Somit eine Fehlentscheidung. Für die Aufregung wäre eine gelbe Karte nachvollziehbar, auch wenn der Spieler im Recht ist. Das wird der Schiedsrichter aber zu diesem Zeitpunkt nicht wissen. Der Irrtum mit der angenommenen gelben Karte zuvor und die anschließende Rücknahme der zweiten gelben Karte ist natürlich sehr unglücklich mit einer schlechten Außenwirkung. Insbesondere nach solch einer zweifelhaften Entscheidung mit dem vermeintlichen Foulspiel.

Szene 7: Im Strafraum geht Julian Guttau (1860) gegen Lukas Kunze (Bielefeld) zu Fall, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:14:00]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum tickt Guttau den Ball kurz an und läuft dann selbst gegen das Bein von Kunze, um einen Kontakt zu suchen und diesen dankend anzunehmen. Der Verteidiger wiederum ist nur ballorientiert und begeht kein Foulspiel, auch wenn es womöglich zu einem Kontakt kommt, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen. Der Angreifer steht aber auch sofort wieder auf und läuft hinter dem Ball her.

 

Szene 8: Im Strafraum geht Ramien Safi (Essen) gegen Ryan Malone (Ingolstadt) zu Fall, Schiedsrichter Justin Hasmann gibt Elfmeter für Essen. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]

Babak Rafati: Auch, wenn Safi den Kontakt sucht und diesen dankend annehmen will, wird er auch klar von Malone am Fuß getroffen und von den Beinen geholt, sodass ein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, auf Elfmeter zu entscheiden. Natürlich könnte man nunmehr argumentieren, dass Safi vorher abhebt, was auch zutrifft. Dieses Abheben ist an sich erst mal kein Vergehen und beabsichtigt vielleicht sogar, eine Schwalbe anzusetzen. Wenn aber schließlich ein klares Foulspiel in diesem Zusammenhang passiert, dann ist das schwerwiegender. Wäre es zu keinem Kontakt oder Foulspiel gekommen, dann wäre es möglich, dieses Abheben zu ahnden und wegen Schwalbe die gelbe Karte zu zeigen und gleichzeitig nicht auf Elfmeter zu entscheiden.

Szene 9: Bei einem Zweikampf mit Ahmet Arslan (Essen) setzt Lukas Fröde (Ingolstadt) den Ellenbogen ein und trifft ihn im Gesicht, kommt aber ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 36:20]

Babak Rafati: Das Foulspiel von Fröde ist unstrittig. Er nimmt dabei den Arm heraus, um Arslan daran zu hindern, an den Ball zu kommen. Dabei bekommt Arslan den Arm ins Gesicht, sodass der Arm als sogenanntes Werkzeug eingesetzt wird, was ein rücksichtsloses Spiel darstellt und eine gelbe Karte nach sich zieht. Eine Fehlentscheidung, keine Karte zu zeigen.

Szene 10: David Kopacz (Ingolstadt) tritt gegen Lucas Brumme (Essen) nach, sieht aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:35]

Babak Rafati: Auch, wenn der Tritt von Kopacz nicht intensiv genug ist und er schließlich seinen Gegenspieler Brumme, nachdem er mit dem Fuß ausholt und treten will, lediglich mit dem Schienbein trifft und der Treffer somit nicht so schlimm ausfällt, liegt ein Nachtreten vor. Dabei spielt es keine Rolle, dass das entsprechende Trefferbild nicht vorhanden ist. Beim Nachtreten gibt es nur eine Entscheidung der Kartenfarbe, nämlich die rote, unabhängig von der Intensität des Vergehens. Selbst der Versuch eines Nachtretens ohne einen entsprechenden Treffer, würde eine rote Karte nach sich ziehen. Eine Fehlentscheidung, nicht die rote, sondern lediglich die gelbe Karte zu zeigen. Das Sportgericht wäre im Falle eines Zeigens der roten Karte dann zuständig gewesen dafür, eine Tätlichkeit bzw. ein Nachtreten in einem leichteren Fall, wie in dieser Szene, mit einer entsprechend geringeren Sperre zu belegen. In diesem Fall kann das Sportgericht keine nachträgliche Sperre verhängen, da dem Schiedsrichter die Szene nicht verwehrt worden ist, sondern er die Szene gesehen und mit der gelben Karte bewertet hat.

Szene 11: Nachdem Kaito Mizuta (Essen) von Lukas Fröde (Ingolstadt) abgeräumt wurde und liegenbleibt, will Felix Keidel den Essener hochreißen. Dafür sieht er nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 3:35]

Babak Rafati: Das Verhalten von Keidel ist sicherlich nicht fair und sportlich, aber dafür lediglich die gelbe Karte zu bekommen, ist angemessen und die einzig richtige Entscheidung. Natürlich kochen die Emotionen gerade vor den Trainerbänken ein wenig hoch, aber hier muss ein Schiedsrichter besonnen reagieren. In dieser Szene machen fast alle Beteiligten auch mehr daraus, als tatsächlich vorliegt. Eine rote Karte wäre deshalb nicht angemessen, da keine Selbstjustiz vorliegt. Fröde hat zuvor klar den Ball ins Seitenaus befördert und Mizuta hat dabei ein wenig den Körper des Gegenspielers abbekommen. Daraufhin lässt er sich fallen und will möglicherweise auf Zeit spielen. Das wiederum missfällt Keidel, und deshalb will er ihm nur signalisieren, dass er doch bitte wieder aufstehen soll. Es liegt lediglich ein Komm-steh-wieder-auf-Hochziehen vor und keine Tätlichkeit. Keidel lässt Mizuta auch nicht wieder fallen, vielmehr reißt sich Mizuta wieder los.

 

Szene 12: Einen Querschläger von Franz Roggow (Dortmund II) nimmt Mika Hanraths (Aachen) auf und trifft zum 1:0, allerdings entscheidet Schiedsrichter Felix Grund auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:30]

Babak Rafati: Regeltechnisch eine sehr interessante Szene. Beim Zuspiel eines Aacheners auf die linke Angriffsseite zum Mitspieler steht Hanraths zunächst zentral knapp in Abseitsposition. Der Ball kommt aber nicht zu Hanraths und auch nicht zum anderen Mitspieler des Passgebers auf der linken Angriffsseite, sondern zu einem Verteidiger, der den Ball unkontrolliert zu Hanraths durch einen Querschläger weiterleitet und dieser anschließend ein Tor erzielt. Auch, wenn der Ball vom Gegenspieler kommt, gilt zunächst der Moment des Passgebers der Aachener auf die linke Angriffsseite – und da stand Hanraths im Abseits. Da dann der Querschläger kein kontrolliertes Ballspielen von Roggow darstellt, liegt ein Abwehrversuch vor, der die Abseitsposition von Hanraths nicht aufhebt, sondern wieder auflebt. Somit eine richtige Entscheidung, auf Abseitsposition zu entscheiden und den anschließenden Treffer nicht zu geben. Sehr gut aufgepasst vom Assistenten, denn das sind komplexe Szenen, die neben der Regelkenntnis eine extrem hohe Konzentrationsfähigkeit erfordern. Prima (!).

 

Szene 13: Im Strafraum geht Kasim Rabihic (Saarbrücken) gegen Toni Stahl (Hannover) zu Fall, Schiedsrichter Felix Wagner gibt Elfmeter für den FCS. [TV-Bilder – ab Minute 2:20]

Babak Rafati: Rahibic legt sich den Ball an Keeper Stahl vorbei und lässt sich dann ohne einen Kontakt oder Foulspiel spektakulär fallen. Das ist kein Foulspiel, vielmehr eine Schwalbe, sodass die Entscheidung, einen Elfmeter zu geben, eine Fehlentscheidung ist. Es hätte stattdessen die gelbe Karte gegen Rabihic wegen einer Schwalbe sowie einen indirekten Freistoß für Stahl geben müssen.

 

Szene 14: Auf Vorlage von Laurin Ulrich trifft Wahid Faghir zum 2:0 für Stuttgart II. Cottbus reklamiert Abseits, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]

Babak Rafati: Anhand der vorliegenden TV-Sequenzen ist nicht zweifelsfrei aufzulösen, ob Ulrich im Abseits steht oder nicht. Es scheint so, dass Kusic in zentraler Position und womöglich ein weitere Verteidiger die Abseitsposition aufheben.

 

Szene 15: Marcus Müller setzt sich auf der Außenbahn durch und bringt den Ball im Tor unter, allerdings will der Schiedsrichter den Ball zuvor im Toraus gesehen haben und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 0:55]

Babak Rafati: Auch in dieser Szene ist nicht zweifelsfrei aufzulösen, ob die Entscheidung richtig oder falsch ist. Der Ball muss mit vollem Umfang im Aus sein, damit er aus dem Spiel ist. Bei der Minute 1:13 scheint der Ball zwar im Toraus zu sein, allerdings verzerrt die Perspektive, weil die optimale Einstellung von oben oder von der Seite wäre, um beurteilen zu können, ob der Ball tatsächlich mit vollem Umfang über die Torauslinie ist oder nicht. Dadurch, dass der Spieler auch noch vor dem Ball steht, ist es für den Assistenten noch schwieriger zu erkennen, da ihm die Sicht zum Ball von diesem Spieler verdeckt wird.

 

Szene 16: Im Strafraum kommt David Otto (Sandhausen) gegen Felix Luckeneder (Wiesbaden) zu Fall, der Schiedsrichter lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 39:20]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf hat Luckeneder zwar den Arm ein wenig im Rücken von Otto, der daraufhin zu Boden geht, allerdings ist das zu wenig für ein Foulspiel, was schlussendlich zu einem Elfmeter führen würde. Der Angreifer nimmt den Kontakt dankend an, aber der Schiedsrichter entscheidet richtigerweise auf weiterspielen.

 

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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