Strittige Szenen am 25. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Saarbrücken, Kaiserslautern und Magdeburg, die Tore von 1860, Rostock, Unterhaching und Halle, das 1:0 von Dresden, der Elfmeter für Dresden, das nicht gegebene Tor für Unterhaching, die Foulspiele von Shipnoski, Müller, Gohlke und Butler sowie der Platzverweis gegen Koglin: Am 24. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 15 Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).

Szene 1: Nicklas Shipnoski (Saarbrücken) will einen langen Ball auf das Tor bringen, trifft aber Stephan Salger (1860). Schiedsrichter Dr. Matthias Jöllenbeck belässt es bei einer Ermahnung. [TV-Bilder – ab Minute 1:02:50]

Babak Rafati: Auf der rechten Außenbahn will Shipnoski einen auf ihn lang geschlagenen Ball auf das Tor von 1860 bringen, jedoch kommt sein Gegenspieler Salger etwas früher an den Ball und kann diesen zur Ecke abwehren. Dadurch kommt Shipnoski einen Moment zu spät und trifft Salger unglücklich in die Füße. Das ist ein klares Foulspiel des Saarbrückers, sodass es einen Freistoß für 1860 München hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, andersherum zu entscheiden. Eine Karte wäre aber nicht erforderlich, weil die Aktion unglücklich passiert.

Szene 2: Im Mittelfeld kommt Julian Günther-Schmidt (Saarbrücken) an den Ball, wird aber von Dennis Erdmann (München) zu Fall gebracht. Das Spiel läuft weiter, aus dem Angriff fällt das 1:2. [TV-Bilder – ab Minute 2:45]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Mittelfeld trifft Erdmann seinen Gegenspieler Günther-Schmidt klar in die Füße und bringt ihn dadurch zu Fall. Der Ball wird dabei überhaupt nicht gespielt. Das ist ein klares Foulspiel und daher eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Natürlich ärgerlich, dass daraus ein Gegentreffer resultiert.

Szene 3: Julian Günther-Schmidt (Saarbrücken) läuft auf das Tor zu und geht im Duell mit Dennis Erdmann (1860) zu Fall. Jöllenbeck pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:25]

Babak Rafati: Bei einem Laufduell, das vor dem Strafraum von 1860 München beginnt, läuft Erdmann neben seinem Gegenspieler Günther-Schmidt her und hat dabei seinen Arm zwar an ihm dran, jedoch liegt kein Halten oder derartiges vor, was einen Pfiff rechtfertigen würde. Auch im Fußbereich ist alles sauber. Dass Günther-Schmidt zu Fall kommt, hat als Ursache nicht den Einsatz des Verteidigers, vielmehr ist dieser "Faller" unter die Kategorie "dankend-annehmen" einzuordnen. Der Schiedsrichter fällt aber nicht darauf rein. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 4: Ein Schuss von Niclas Anspach (Unterhaching) prallt an die Latte, Dominik Stroh-Engel verwandelt den Nachschuss. Schiedsrichter Steven Greif entscheidet jedoch auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:05]

Babak Rafati: Anspach schießt aus circa 16 Metern auf das Tor von Duisburg. Der Ball prallt vom Pfosten zu Mitspieler Stroh-Engel zurück, der anschließend ein Tor erzielt. Bei dieser Aktion allerdings auf Abseits zu entscheiden, ist absolut nicht nachvollziehbar. Der Assistent steht an sich in optimaler Position, nämlich auf Höhe des vorletzten Verteidigers. Der Torhüter zählt zum Verteidiger und ist der erste Verteidiger. Zum anderen steht deutlich ein Verteidiger, somit der zweite Verteidiger, in etwa am Elfmeterpunkt näher zur eigenen Torlinie als Stroh-Engel. Das Tor hätte somit anerkannt werden müssen, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt. Was es umso unverständlicher macht ist, dass nicht wie üblich eine Verschiebung der Positionen der Spieler zwischen Ball-Abspiel und Ball-Annahme zustande kommt, sondern selbst nachdem der Ball abprallt – also deutlich verzögert nach der Ballabgabe -, Stroh-Engel nicht in Abseitsposition ist.

Szene 5: Nach einem weiten Pass von Markus Schwabl (Unterhaching) ruft Nicolas Anspach (Unterhaching) gut hörbar "Lass durch, lass durch" und erzielt das 1:1. Der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 35:10]

Babak Rafati: Eine durchaus interessante Szene, die häufiger und nicht nur in der Kreisliga vorkommt, aber aufgrund der Zuschaueranwesenheit üblicherweise im Stadion nicht hörbar ist. Wenn man den Gegner verbal ablenkt – und dazu zählt "Lass durch" – ist das ein unsportliches Verhalten. Das Spiel hätte somit in dieser Szene unterbrochen werden und mit einem indirekten Freistoß für Duisburg von dort ausgeführt werden müssen, wo der betroffene Spieler "Lass durch" gerufen hat. Zudem hätte es für dieses unsportliche Verhalten die gelbe Karte gegen den betroffenen Spieler geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Treffer für Unterhaching zu geben. Allerdings muss der Schiedsrichter den rufenden Spieler auch identifizieren können. Es hat sich eingebürgert, dass Spieler "Torwart" oder "Leo" rufen. Das irritiert den Gegner nach Regelbestimmung anscheinend nicht.

Szene 6: Der bereits gelb-verwarnte Robert Müller (Unterhaching) tritt Wilson Kamavuaka (Duisburg) bei einem Zweikampf auf den Fuß. Allerdings sieht nicht er, sondern Kamavuaka Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 45:35]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Mittelfeld springt Müller der Ball bei der Annahme vom Fuß. Beim Nachsetzen geht er nochmals zum Ball, spielt diesen auch vor seinem Gegenspieler Kamavuaka, tritt diesem im normalen Bewegungsablauf dann aber auf den Fuß. Das ist natürlich ein Foulspiel von Müller, auch wenn unbeabsichtigt, wobei eine Karte gegen ihn zusätzlich nicht erforderlich wäre. Die Attacke ist ballorientiert und nicht gegen den Gegner gerichtet. Dass dann der Schiedsrichter aber andersherum entscheidet, ist eine Fehlentscheidung, die gelbe Karte gegen Kamavuaka ebenso. Es hätte einen Freistoß für Duisburg geben müssen, ohne dass zusätzlich eine Karte gezeigt wird

 

Szene 7: Lukas Scherff (Rostock) führt einen Einwurf aus, steht dabei aber mit einem Fuß auf der Seitenlinie beziehungsweise dem Platz. Das Spiel läuft weiter, aus dem Angriff fällt das 1:0. Schiedsrichter Dr. Martin Thomsen gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Bei einem Einwurf steht Scherff mit einem Fuß auf der Seitenlinie bzw. auf dem Spielfeld und wirft den Ball ein. Anschließend fällt ein Tor für Rostock. Bei Einwürfen müssen die Spieler mit einem Teil beider Füße die Seitenlinie oder den Boden außerhalb der Seitenlinie berühren. Selbst wenn Scherff nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, dass er auf dem Spielfeld oder auf der Seitenlinie stand, so ist aber regeltechnisch zu beanstanden, dass er nicht beide Füße auf dem Boden hat. Somit hätte das anschließende Tor nicht anerkannt werden dürfen und es hätte einen Einwurf für Mannheim geben müssen, da der Einwurf falsch ausgeführt wurde. So etwas muss ein Schiedsrichter sehen. Das Problem ist, dass Schiedsrichter sich zu schnell zum Spielgeschehen abwenden und Spielfortsetzungen wie diese oder zum Beispiel einen rollenden Ball beim Freistoß nicht wahrnehmen. Eine Fehlentscheidung, den Treffer für Rostock anzuerkennen.

Szene 8: Gerrit Gohlke (Mannheim) geht mit gestreckten Beinen in einen Zweikampf mit Bentley Baxter Bahn (Rostock) und trifft ihn am Knöchel. Thomsen belässt es bei einer Ermahnung. [TV-Bilder – ab Minute 42:30]

Babak Rafati: Kurz vor dem Strafraum von Mannheim passt Baxter Bahn den Ball zum Mitspieler und wird kurz darauf vom Gegenspieler Gohlke brutal im Knöchel-/Bänderbereich getroffen. Dabei springt Gohlke mit Anlauf, hoher Dynamik sowie gestrecktem Bein und offener Sohle in den Zweikampf, sodass dieses grobe Foulspiel klar die rote Karte nach sich muss. Hierbei wird die Gesundheit des Gegenspielers aufs Spiel gesetzt und eine Verletzung in Kauf genommen. Hier nicht zu pfeifen, ist nicht nachvollziehbar, zumal der Schiedsrichter freie Sicht auf den Zweikampf hat. Er signalisiert nach dem Foulspiel mit dem ausgetrecktem Arm Vorteil, sodass er zwar ein Foulspiel, jedoch nicht die Schwere des Vergehens erkennt. Das ist aber eine klare Fehlentscheidung. Bei Vergehen, die Rot nach sich ziehen, sollte man besser keinen Vorteil anwenden.

 

Szene 9: Pascal Sohm (Dresden) köpft eine Ecke auf das Tor. Der Ball prallt an den Innenpfosten und dann Richtung Torlinie, ehe FSV-Keeper Johannes Brinkies das Spielgerät gerät wieder rausschlägt. Schiedsrichter Patrick Kessel entscheidet auf Tor. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]

Babak Rafati: Nach einer Ecke köpft Sohm auf das Tor von Zwickau. Der Ball prallt an den Innenpfosten und von da aus geht der Ball zum Torwart, der den Ball abwehren kann. Die entscheidende Frage ist nunmehr, ob der Ball im Tor ist oder nicht. Der Ball muss dabei mit vollem Umfang die Torlinie überschreiten. Man sieht von der Hintertorkamera sehr gut, dass Zwickau-Keeper Brinkies mit dem rechten Fuß hinter der Torlinie steht und dabei mit der rechten Hand zum Ball greift. Dabei geht der rechte Arm deutlich hinter den rechten Fuß, sodass der Ball klar erkennbar hinter der Torlinie ist. Eine richtige Entscheidung, bei dieser unübersichtlichen Situation den Überblick zu behalten. Riesen-Kompliment an den Assistenten!

Szene 10: Einen Schuss Pascal Sohm (Dresden) bekommt Steffen Nkansah (Zwickau) im Strafraum an die Hand, es gibt Elfmeter für Dresden. [TV-Bilder – ab Minute 1:25]

Babak Rafati: Bei einem Angriff über die rechte Seite schießt Sohm aus kurzer Entfernung seinem Gegenspieler Nkansah an den Arm, der am Körper angelegt ist. Der Schiedsrichter entscheidet auf Strafstoß – dabei spricht absolut nichts für einen Elfmeter. Kurze Entfernung, der Ball geht zum Arm und nicht andersherum. Außerdem ist der Arm angelegt und wird nicht zur Körperflächen-Vergrößerung eingesetzt. Eine Fehlentscheidung, einen Strafstoß für Dresden zu pfeifen. Das sind Handelfmeter, die kein Mensch versteht und berechtigte Kritik hervorruft.

 

Szene 11: Einen Schuss von Marc Stendera bekommt Filip Bilbija (Ingolstadt) im eigenen Strafraum möglicherweise an die Hand/den Ellenbogen. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Mitja Stegemann nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:49:30]

Babak Rafati: Stendera will den Ball im eigenen Strafraum klären und schießt ihn aus kurzer Entfernung seinem Mitspieler Bilbija, der mit dem Rücken zu ihm steht und den Arm am Körper angelegt hat, an den Ellenbogen. Das ist kein absichtliches Handspiel, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

Szene 12: Der bereits gelb-verwarnte Justin Butler (Ingolstadt) bringt Anas Ouahim (Kaiserslautern) zu Fall, kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 2:07:05]

Babak Rafati: Ein paar Meter vor dem eigenen Strafraum will Butler den Ball wegschießen, trifft seinen Gegenspieler Ouahim jedoch mit voller Wucht in die Füße. Auch wenn das unbeabsichtigt ist und der Ball Spielobjekt ist, gibt es für solch ein "knackiges" Foulspiel zwingend die gelbe Karte, was in diesem Fall zur Folge hätte, dass es die gelb-rote Karte gegen den bereits verwarnten Butler wäre. Eine Fehlentscheidung, diese fällige Ampel-Karte nicht zu geben.

 

Szene 13: Aygün Yildirim (Verl) will im Mittelfeld an den Ball, wird dabei jedoch von Brian Koglin (Magdeburg) zu Fall gebracht. Schiedsrichter Harm Osmers zeigt Koglin glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:25]

Babak Rafati: Bei diesem Foulspiel im Mittelfeld von Koglin an Yildirim handelt es sich zunächst einmal nicht um ein brutales Foulspiel, sondern lediglich um ein gelbwürdiges Vergehen. Der Schiedsrichter ahndet daher womöglich die Aktion nicht deshalb mit Rot, sondern weil er aus seiner Sicht eine Torverhinderung bzw. "Notbremse" erkennt. Die Kriterien hierfür sind allerdings nicht gegeben, denn die Position von Yildirim ist weit vom Tor entfernt, nicht in zentraler Position und zudem laufen noch 3-4 Gegenspieler in der Mitte mit und können aufgrund der Entfernung zum Tor noch eingreifen. Eine gelbe Karte wäre vollkommen ausreichend, sodass diese rote Karte eine Fehlentscheidung ist. Natürlich ist es für den Schiedsrichter schwierig, die Szene aus seiner Position – hinter dem Spiel – zu bewerten. Eine optimale Position hätte der Schiedsrichter-Assistent, da er seitlichen Blick hat. Somit ist es ideal, bei derartigen Szenen eine Kommunikation im Team vorzunehmen, um die Entscheidungsfindung zu optimieren.

Szene 14: Sirlord Conteh (Magdeburg) will im Strafraum eine Kopfball-Verlängerung erlaufen, geht jedoch im Duell mit Christopher Lannert (Verl) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Osmers:

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Verl behaken sich Conteh und Lannert gegenseitig und kommen anschließend zu Fall. Dieses Behaken ist allerdings von keinem der beiden Spieler ein Foulspiel, sondern im Rahmen des Erlaubten, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.

 

 

Szene 15: Nach einem Zweikampf mit Hassan Amin (Meppen) geht Terrence Boyd (Halle) an der Strafraumgrenze zu Fall, das Spiel läuft weiter. Jeron Al-Hazaimeh (Meppen) zeigt an, das Spiel unterbrechen zu wollen, spielt den Ball aber genau in die Füße eines Gegenspielers. Der HFC spielt weiter und trifft. Schiedsrichter Max Burda gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]

Babak Rafati: In dieser Szene ist dem Schiedsrichter regeltechnisch überhaupt kein Vorwurf zu machen und der Treffer ist regulär. Auch wenn Al-Hazaimeh (Meppen) absolut sportlich reagiert und das Spiel stoppen will, indem er den Ball dem Gegenspieler zuspielt und stehen bleibt, nutzen die Spieler von Halle das zu ihrem Vorteil aus, spielen einfach weiter und schießen anschließend ein Tor. Weiterspielen ist moralisch ein absolutes Unding, aber regeltechnisch kann der Schiedsrichter gegen die Spieler von Halle nicht vorgehen. Al-Hazaimeh hätte den Ball einfach auf die Tribüne schießen können.

Ein Schiedsrichter muss das Spiel immer weiterlaufen lassen. Erst wenn der Ball aus dem Spiel ist, kann er sich um den verletzten Spieler kümmern. Er soll das Spiel nur dann sofort unterbrechen, wenn ein Spieler ernsthaft verletzt ist. Das war in dieser Szene nicht gegeben. Dem Gegner wird in den Spielregeln nichts vorgeschrieben, wie zum Beispiel den Ball ins Seitenaus zu schießen.

 

Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde

   

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