Strittige Szenen am 26. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Elfmeter für Aue und Dresden, die nicht gegebenen Strafstöße für Essen, Bayreuth, Saarbrücken, Wiesbaden, Dresden, Elversberg, Meppen und Oldenburg, das 1:0 für Mannheim, der Platzverweis gegen Bayreuths Weber, ein Foulspiel von Saarbrückens Günther-Schmidt, das 1:0 für Saarbrücken sowie Foulspiele von Ingolstadts Preißinger und Freiburgs Guttau. Am 26. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 17 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 52-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Im Strafraum geht Dimitrij Nazarov (Aue) bei einem Duell mit Clemens Fandrich (Essen) zu Fall, Schiedsrichter Tom Bauer gibt Elfmeter für den FCE. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]
Babak Rafati: Im Strafraum kommt es zu einem Zweikampf, bei dem Nazarov zum Ball geht. Fandrich, der hinter ihm ist und ebenso zum Ball will, erkennt, dass Nazarov vor ihm am Ball ist. Daher zieht er zurück, sodass es überhaupt keinen Kontakt gibt. Nazarov geht aber trotzdem zu Boden und macht eine Schwalbe. In dieser Szene hätte es die gelbe Karte gegen Nazarov für einen Täuschungsversuch sowie einen Freistoß für Essen geben müssen. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor, einen Elfmeter für Aue zu pfeifen.
Szene 2: Einen Schuss von Marvin Stefaniak (Aue) bekommt Jose-Enrique Rios Alonso (Essen) im Strafraum an die Hand, erneut zeigt Bauer auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]
Babak Rafati: Nach einem Schuss von Stefaniak nimmt Alonso den Arm in unnatürlicher Haltung heraus, um die Körperfläche zu vergrößern. Dabei kann er den Schuss ablenken, sodass der Ball nicht aufs Tor kommt und somit entschärft wird. Das ist ein absichtliches und strafbares Handspiel, sodass die Entscheidung, einen Elfmeter für Aue und die gelbe Karte gegen Alonso zu zeigen, richtig ist.
Szene 3: Im Strafraum kommt Isaiah Young (Essen) bei einem Duell mit Sam Schreck (Aue) zu Fall. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf kommt Schreck einen Moment zu spät und trifft nicht den Ball, sondern den Fuß von Young und bringt ihn dadurch entscheidend zu Fall. Auch das Fallmuster von Young passt zum Vergehen, zumal der Essener Angreifer kurz zuvor bei einem möglichen Kontakt weitergelaufen ist und nicht auf Schinden aus ist. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es in dieser Szene einen Elfmeter für Essen geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und den fälligen Elfmeter nicht zu geben.
Szene 4: Bei einem Luftzweikampf bekommt Pascal Sohm (Mannheim) den Ellenbogen von Felix Weber (Bayreuth) an den Kopf, Schiedsrichter Wolfgang Haslberger entscheidet zunächst auf Vorteil. Weil aus dem Angriff nichts wird, gibt es doch Freistoß, der zum 1:0 führt. [TV-Bilder – ab Minute 24:10]
Babak Rafati: Diesen Zweikampf als Foulspiel auszulegen, ist sicherlich vertretbar. Danach wendet der Schiedsrichter aber die Vorteilsbestimmung an, die auch gut ist. Der Mitspieler bekommt tatsächlich den Ball und kann einen guten Angriff einleiten. Somit ist der Vorteil bereits eingetreten und die Vorteilsauslegung abschlossen, denn Mannheim ist im Ballbesitz geblieben. Dass der Ball anschließend nicht ankommt, ist durch die Mannheimer selbstverschuldet. Hier dennoch zurückzupfeifen, ist nicht mehr möglich, denn der Vorteil war bereits durch den Ballbesitz beim ersten Mitspieler erwirkt. Eine Fehlentscheidung, in dieser Szene zurückzupfeifen, was aber in der Praxis oftmals gemacht wird.
Szene 5: Marcel Götz (Bayreuth) köpft den Ball Richtung Strafraum, dabei steht Fenninger im Abseits. Zejnullahu verlängert den Ball zu Fenninger, der Ziereis in Szene setzt. Dieser kommt auf dem Weg zum Tor im Duell mit Mannheims Niklas Sommer zu Fall, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:53:50]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Kopfballs von Götz steht Fenninger zwar in Abseitsposition, allerdings kommt der Ball nicht in seine Zone, sodass er nicht unmittelbar ins Spielgeschehen eingreift. Somit steht dieser nicht in einer strafbaren Abseitsposition. Man könnte auch von einer passiven Abseitsposition sprechen. Danach wird der Ball erneut von einem Bayreuther Spieler auf Fenninger weitergeleitet, sodass eine neue Spielsituation entsteht. Zu diesem Zeitpunkt steht Fenninger nicht mehr in Abseitsposition. Von diesem gelangt der Ball anschließend zu Ziereis, der im Zweikampf von Gegenspieler Sommer festgehalten zu Boden gerissen und darin gehindert wird, ein Tor zu erzielen. Das ist ein Foulspiel, und es hätte hierfür einen Elfmeter für Bayreuth sowie die rote Karte gegen Sommer geben müssen. Rot deshalb, weil Ziereis einschussbereit ist, nur noch den Torwart vor sich hat und Karbstein nicht mehr hätte entscheidend eingreifen können. Das sieht man sehr gut aus der Perspektive der Hintertorkamera. Somit wird eine glasklare Torchance vereitelt, sodass die Notbremse-Regelung zieht. Das Vergehen ist zudem nur gegnerorientiert, was beim Halten immer der Fall ist. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das rotwürdige Vergehen nicht zu ahnden.
Szene 6: Für eine Grätsche gegen Adrian Malachowski (Mannheim) sieht Felix Weber (Bayreuth) glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: Bei einem Zweikampf an der Seitenlinie kommt Weber mit Schwung angelaufen, grätscht von hinten gegen Malachowski und trifft dabei keinesfalls den Ball. Stattdessen trifft er seinen Gegenspieler dynamisch und schwungvoll hinten in die Wade und räumt ihn durch diesen Tritt ab. Das ist eine Aktion, die gesundheitsgefährdend für Malachowski ist. Somit ist die rote Karte absolut richtig. Diese Aktion erkennt der Schiedsrichter sehr gut und signalisiert zudem unmissverständlich für alle Beteiligten, dass der Treffer an der Wade ist und unterstreicht damit seine richtige Entscheidung. Sehr gut gelöst mit einer guten Außendarstellung!
Szene 7: Beim Kampf um den Ball setzt Julian Günther-Schmidt (Saarbrücken) gegen Arthur Lyska (Wiesbaden) nach und trifft ihn mit voller Wucht im Gesicht, sieht von Schiedsrichter Martin Petersen aber nur Gelb. Lyska kann kurz danach nicht mehr weitermachen. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]
Babak Rafati: Auch wenn Günther-Schmidt im Kampf um den Ball nur das Spielgerät und nicht den Keeper treffen will, geht er bei seinem Einsatz ein sehr hohes Risiko ein und trifft Lyska in brutaler Weise mit dem Fuß in Schuss-Manier im Gesicht. Zwar sieht man an seiner anschließenden Reaktion deutlich und glaubhaft, dass ihm dieser "Gesichtstreffer" selbst leid tut, jedoch ist das glatt Rot, weil die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet wird. Dabei ist unerheblich, ob der Torwart weiterspielen kann. Eine Fehlentscheidung, diese zwingende rote Karte nicht auszusprechen. Dass der Schiedsrichter diesen Wirkungstreffer aus seiner Position nicht zweifelsfrei erkennen kann, ist noch nachvollziehbar. Aber der Assistent auf dieser Seite hatte freie Sicht und hätte aufgrunddessen den Vorgang erkennen und dem Schiedsrichter mitteilen müssen.
Szene 8: Bei einem Laufduell kommt Marvin Cuni (Saarbrücken) im Strafraum gegen Sascha Mockenhaupt (Wiesbaden) zu Fall. Die Pfeife des Schiedsrichters bleibt stumm. [TV-Bilder – ab Minute 20:10]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball kommt es im Strafraum zu einem Zweikampf. Dabei führt Cuni den Ball am Fuß und ist auf dem Weg zum Tor. Mockenhaupt wiederum setzt zu einer Grätsche an, spielt per sauberem Tackling den Ball vom Fuß des Angreifers weg und befördert den Ball zur Ecke. Das ist ein klares Ballspielen, und somit liegt kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen. Dass der Angreifer sich anschließend an den Fuß hält, kann damit zusammenhängen, dass es nach dem klaren Ballspielen des Verteidigers trotzdem einen Kontakt gibt, der allerdings nicht maßgeblich für ein Foulspiel ist. Fußball ist ein Kontaktsport.
Szene 9: Im Strafraum kommt Benedict Hollerbach (Wiesbaden) gegen Marcel Gaus (Saarbrücken) zu Fall, einen Elfmeter gibt Petersen nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:45]
Babak Rafati: Im Strafraum ist Hollerbach früher am Ball und kann das Spielgerät zum Mitspieler weiterleiten, allerdings kommt Gaus zum Zweikampf hinzu und bringt ihn klar durch Beinstellen zu Fall. Das ist ein klares Foulspiel, und es hätte einen Elfmeter für Wiesbaden geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen Elfmeter nicht zu geben.
Szene 10: Nach Vorlage von Neudecker trifft Adriano Grimaldi zum 1:0 für Saarbrücken. Wiesbaden reklamiert Abseits, der Treffer zählt. [TV-Bilder – ab Minute 3:05]
Babak Rafati: Bei diesem Treffer ist alles regelgerecht, sodass keine Abseitsposition von Grimaldi vorliegt. Ebenso liegt kein Handspiel von ihm vor. Somit eine richtige Entscheidung, den Treffer anzuerkennen.
Szene 11: Stefan Kutschke (Dresden) kommt im Strafraum gegen Antonios Papadopoulos (Dortmund II) zu Fall, Schiedsrichter Steven Greif gibt Elfmeter für die SGD. [TV-Bilder – ab Minute 1:20]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf passiert das, was immer passiert und einfach zum Fußball dazu gehört: Kutschke schlägt mit dem Arm aus und will Papadopoulos weghalten. Dieser wehrt sich und hält wiederum ein bisschen fest. Beide Vergehen sind nicht strafbar, sondern haben sich im Laufe der Jahre als Mittel im Zweikampf bewährt, um um jeden Preis an den Ball zu kommen und dabei den Gegenspieler einfach ein wenig zu ärgern. In dieser Situation hätte es keinen Elfmeter geben dürfen, so dass eine Fehlentscheidung vorliegt, diesen zu geben.
Szene 12: Im Strafraum wird Jakob Lemmer (Dresden) von Tom Rothe (Dortmund II) abgeräumt, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 3:15]
Babak Rafati: Lemmer passt im gegnerischen Strafraum den Ball in die Mitte. Dabei kommt Gegenspieler Rothe hinzu, grätscht in die Beine von Lemmer und bringt ihn zu Fall. Das ist ein Foulspiel, sodass es einen Elfmeter für Dresden hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, den fälligen Elfmeter nicht zu geben.
Szene 13: Einen Schuss von Ben Bobzien (Elversberg) bekommen Steffen Puttkammer und Yannick Osée (Meppen) im Strafraum an den Arm, Schiedsrichter Tobias Schultes lässt das Spiel weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:52:00]
Babak Rafati: Bei einem Flankenversuch aus dem Strafraum von Bobzien bekommt Puttkammer den Ball zwar an den Arm, allerdings ist dieser am Körper angelegt, sodass keine Absicht und in der Folge keine Strafbarkeit vorliegt. Anschließend springt der Ball in Billard-Manier von Puttkammers Arm an den Oberarm von Mitspieler Osée, der in unmittelbarer Nähe von Puttkammer steht. Auch hier liegt keine Absicht vor, weil der Ball an den Arm springt und vorher nicht unnatürlich die Körperfläche vergrößerte. Eine richtige Entscheidung, dieses Doppelhandspiel als nicht strafbar auszulegen und weiterspielen zu lassen.
Szene 14: Samuel Abifade (Meppen) wird beim Kampf um den Ball im Strafraum von Nicolas Kristof (Elversberg) getroffen und verletzt sich dabei. Einen Elfmeter gibt Schultes nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:00:55]
Babak Rafati: Im Kampf um den Ball ist Keeper Kristof einfach schneller, spielt das Spielgerät bilderbuchmäßig sauber und klar vor dem anlaufenden Abifade weg, der zuvor den Ball angetickt hatte und am Torwart vorbeilaufen wollte. Danach kommt es zu einem Zusammenprall zwischen beiden, wobei dieser aus dem natürlichen Bewegungsablauf beider Spieler zum Ball resultiert. Somit liegt in dieser Situation kein Foulspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen
Szene 15: Im Strafraum springt Patrick Hasenhüttl (Oldenburg) zum Ball und bekommt dabei den Ellenbogen von Timo Beermann (Osnabrück) ins Gesicht. Schiedsrichter Dr. Arne Aarnink lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 2:08:05]
Babak Rafati: Bei diesem Luftzweikampf im Strafraum zwischen Hasenhüttl und Beermann geht alles mit rechten Dingen zu. Beide springen zum Kopfball hoch, dabei wird Hasenhüttl unglücklich von Beermann im Gesicht getroffen. Bei diesem Treffer ist allerdings kein Schlag oder eine aktive Bewegung zum Gegenspieler, um ihn aus dem Spiel zu nehmen, auszumachen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, das Spiel weiterlaufen zu lassen.
Szene 16: Für ein Foul an Yannick Engelhardt (Freiburg II) sieht Rico Preißinger (Ingolstadt) nur Gelb, danach kommt er im Anschluss an einen Zweikampf mit Robert Wagner mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 0:40]
Babak Rafati: Preißinger springt von hinten mit Dynamik und hoher Intensität, gestrecktem Bein und offener Sohle in den Zweikampf und trifft dabei Engelhardt an der Wade. Dabei hat er keine Kontrolle mehr über sein Gleichgewicht, sodass der Treffer zwangsläufig ist. Das ist ein brutales Foulspiel, bei dem die Gesundheit des Gegenspielers gefährdet wird. Hierfür muss es zwingend die rote Karte geben, sodass die gelbe Karte eine Fehlentscheidung ist.
Anschließend kommt es erneut zu einem Zweikampf von Preißinger, diesmal gegen Wagner. Dabei trifft Preißinger allerdings seinen Gegenspieler nicht mit dem ausgestreckten Fuß, sondern ins Leere. Auch kommt Wagner nicht über das ausgestreckte Bein von Preißinger zu Fall. Das Zufallkommen ist eher selbstverschuldet, weil er mit dem Knie im Boden hängen bleibt. Somit gibt es kaum einen Kontakt. Hier keine Karte zu zeigen, ist somit eine richtige Entscheidung.
Szene 17: Der bereits gelb-verwarnte Julian Guttau (Freiburg II) hat gegen Maximilian Neuberger (Ingolstadt) das Bein weit oben und trifft ihn im Gesicht, darf aber ebenfalls weitermachen. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Mittelfeld geht Neuberger mit dem Kopf zum Ball und spielt das Spielgerät. Dabei nimmt der bereits gelb-verwarnte Guttau das Bein zu hoch und touchiert bzw. trifft seinen Gegenspieler im Gesicht. Das ist ein rücksichtsloser Einsatz, sodass Guttau hierfür die gelb-rote Karte sehen muss. Eine Fehlentscheidung, es nur bei einer Ermahnung zu belassen.
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