Strittige Szenen am 28. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Elfmeter für Ingolstadt, Unterhaching, Verl und 1860, die nicht gegebenen Strafstöße für Uerdingen, Magdeburg und Türkgücü, sowie die Platzverweise gegen Kuhn und Kempe. Am 28. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de neun Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).

Szene 1: Merlin Röhl (Ingolstadt) erläuft einen Ball, dringt in den Strafraum ein und geht im Duell mit Dennis Kempe (Wiesbaden) zu Fall. Schiedsrichter Florian Exner zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 1:55]

Babak Rafati: Röhl erläuft sich im gegnerischen Strafraum an der Torlinie den Ball und legt sich diesen vor. Unmittelbar danach lässt er sich fallen, dabei fädelt er zudem bei Kempe ein. Kempe berührt den Angreifer jedoch überhaupt nicht, sondern stellt ihn nur. Somit liegt kein Foulspiel des Verteidigers vor, sondern eine Schwalbe des Angreifers. Statt Strafstoß für Ingolstadt hätte es somit einen indirekten Freistoß für Wiesbaden sowie die gelbe Karte gegen Röhl hätte geben müssen. Entsprechend liegt eine Fehlentscheidung vor.

Womöglich hat der Schiedsrichter die Schwalbe zunächst vermutet, weshalb er auch ein wenig zögert und zeitversetzt pfeift. Zudem gibt der Assistent aus guter Position (seitliche Sicht) Hilfestellung durch seine Körpersprache. Wenn nämlich ein Assistent der Meinung ist, dass kein Foulspiel am Angreifer vorliegt, geht er von der Eckfahne aus gesehen demonstrativ in die andere Richtung und signalisiert dem Schiedsrichter damit, dass kein Foulspiel vorliegt. Was dem Schiedsrichter anschließend durch den Kopf geht und ihn dazu bewegt, seine erste Meinung zu ändern und doch nach wenigen Augenblicken zu pfeifen, ist nicht zu erklären.

Szene 2: Nach einem Pass aus der eigenen Hälfte ist Filip Bilbija (Ingolstadt) frei durch, rennt auf das Tor zu, wird von aber Moritz Kuhn (Wiesbaden) im Laufduell zu Fall gebracht. Der Wiesbadener sieht glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 2:35]

Babak Rafati: Nach einem langen Pass rennt Bilbija mit dem Ball Richtung gegnerisches Tor, Kuhn läuft dabei hinter ihm in einer schlechteren Position her. Kurz vor dem Strafraum kreuzt Bilbija den Laufweg des Verteidigers und wird dadurch zu Fall gebracht. Das ist ohne Frage ein Foulspiel, auch wenn der Angreifer diesen Laufweg wählt. Ein Verteidiger nimmt das Risiko in Kauf, wenn er in dieser schlechteren Position weiterläuft und nicht etwas zurückzieht, den Gegner zu berühren und ihn am Weiterlaufen zu hindern.

Die entscheidende Frage ist nunmehr, ob dieses Foulspiel eine glasklare Torchance verhindert. Dadurch, dass ein weiterer Verteidiger (Sebastian Mrowca) auf der gleichen Höhe noch hätte eingreifen können, zumal Bilbija sogar in die Mitte einrückt und sich selbst diesem Verteidiger nähert, liegt keine glasklare Torchance vor, sodass kein Tor vereitelt wird und somit eine gelbe Karte ausreichend wäre. Dadurch, dass der Schiedsrichter von hinten auf die Szene schaut, kann er nicht zweifelsfrei erkennen, inwieweit der Mitspieler hätte eingreifen können. Hier ist die Hilfe des Assistenten gefragt, da er von der Seite einen optimalen Blick auf die Höhe der jeweiligen Spieler hat. Eine Fehlentscheidung, Kuhn die rote Karte zu zeigen, die auch Mangels einer fehlenden Kommunikation im Schiedsrichterteam passiert. Zu erwähnen ist hierbei, dass Schiedsrichter und Assistent auch noch entscheiden müssen, ob das Vergehen innerhalb oder außerhalb des Strafraums passiert. Vielleicht wurde dadurch die Konzentration abgelenkt und die Frage beziehungsweise die Rückfrage nach der richtigen Farbenkarte vergessen.

Szene 3: Für ein Foul im Mittelfeld an Marc Stendera (Ingolstadt) sieht der bereits gelb-verwarnte Dennis Kempe (Wiesbaden) Gelb-Rot. [TV-Bilder – ab Minute 3:35]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Mittelfeld kommt Kempe etwas zu spät, trifft Stendera nur noch in die Füße und bringt ihn dadurch zu Fall. Er trifft ihn zwar nicht voll, aber dennoch ist das ein gelbwürdiges Vergehen. Wenn man bereits verwarnt ist, sollte man gerade im Mittelfeld vorsichtiger agieren. Hierfür die gelbe Karte zu zeigen, die in diesem Fall folglich zu einer gelb-roten Karte führt, ist eine richtige Entscheidung.

 

Szene 4: Im Strafraum geht Luca Marseiler (Unterhaching) bei einem Duell mit Sascha Korb (Verl) zu Fall, Schiedsrichter Martin Speckner gibt Elfmeter für Unterhaching. [TV-Bilder – ab Minute 0:25]

Babak Rafati: Marseiler setzt sich im gegnerischen Strafraum auf der linken Seite gegen Korb durch und läuft Richtung Torlinie. Dabei läuft Korb hinter ihm her und zieht sogar etwas zurück, um kein Foulspiel zu begehen. Im Oberkörperbereich ist alles in Ordnung. Im Fußbereich kommt es zu einem Kontakt, der allerdings nicht vom Verteidiger ausgeht, sondern vielmehr aus der normalen Laufbewegung entsteht, sodass kein Foulspiel vorliegt. Dass der Angreifer dann zu Fall kommt, ist mittlerweile handelsüblich, da solch ein Kontakt gerne angenommen wird. Gerade im Strafraum ist es elementar wichtig, Impuls und Wirkung zu berücksichtigen. Wenn die Schiedsrichter für solche Szenen Strafstoß pfeifen, wird es in jedem Spiel mehrere Elfmeter geben. Eine Fehlentscheidung, in dieser Szene einen Strafstoß für Unterhaching zu pfeifen, zumal der Schiedsrichter eine optimale Sicht auf den Zweikampf hat.

Szene 5: Christoph Greger (Unterhaching) tritt Philipp Sander (Verl) im Strafraum auf den Fuß, es gibt Elfmeter für Verl. [TV-Bilder – ab Minute 1:10]

Babak Rafati: Greger spielt klar und deutlich den Ball aus dem eigenen Strafraum. Dabei kommt sein Gegenspieler Sander etwas zu spät, sodass Greger, nachdem er sauber den Ball spielt, noch in der Ausholbewegung mit dem Fuß, mit er den Ball gespielt hat, Sander auf den Fuß tritt und zu Fall bringt. Auch wenn bei Foulspielen die Absicht keine Rolle spielt, so ist aber wie in der Szene zuvor immer Impuls und Wirkung in Relation zu setzen. Wenn der Ball klar und deutlich Spielobjekt ist und es erst danach zu einem Kontakt kommt, ist das ein "Unfall" und kein Foulspiel. Auch hier liegt eine Fehlentscheidung vor, diesmal auf Strafstoß für Verl zu entscheiden.

 

Szene 6: Nach einem Doppelpass mit Sören Bertram kommt Baris Atik (Magdeburg) im Strafraum an den Ball und wird von Nicolas Feldhahn (Bayern II) zu Fall gebracht. Einen Elfmeter gibt Schiedsrichter Tobias Schultes nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]

Babak Rafati: Atik kommt im gegnerischen Strafraum in eine sehr gute Position und muss nur noch einschießen, jedoch springt Feldhahn (Bayern II) in letzter Sekunde dazwischen und spielt klar und deutlich den Ball. Auch wenn er in dieser Aktion Atik mit dem Nachziehbein berührt, ist die Klärung der Situation derart ballorientiert, dass er entscheidend durch Ballspielen klären kann. Somit spielt Feldhahn viel Ball und wenig Gegner, daher liegt eine richtige Entscheidung vor, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 7: Bei einer Ecke für 1860 München geht Sascha Mölders (1860) gegen Anthony Syhre (Halle) zu Fall, Schiedsrichter Mitja Stegemann gibt Elfmeter für die Löwen. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]

Babak Rafati: Nachdem eine Ecke für 1860 München in den Strafraum geschlagen wird, läuft Mölders Richtung Tor und in eine kleine Spielertraube und kommt zu Fall. Dabei verfolgt ihn sein Gegenspieler Syhre und hat sicherlich auch den Arm an Mölders dran, allerdings ist dieses "Bearbeiten" nicht ursächlich für den Faller. Mölders läuft auch ein wenig gegen den Mitspieler (Semi Belkahia), so dass er schließlich aus der Balance gerät und zu Fall kommt. Bei dieser Aktion liegt kein Foulspiel vor, sodass es eine Fehlentscheidung ist, auf Umklammern durch Syhre, wie es der Schiedsrichter durch seine Gestik signalisiert, zu entscheiden und einen Strafstoß für 1860 München zu geben.

 

Szene 8: Bei einem Duell mit Tobias Schwede (Rostock) kommt Noel Niemann (Türkgücü) im Strafraum zu Fall und fordert einen Elfmeter. Schiedsrichter Marco Fritz pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 45:20]

Babak Rafati: Nach einer Flanke von der rechten Seite in den Strafraum von Rostock, laufen Niemann und Schwede zentral zum Ball. Dabei nimmt Schwede den Arm etwas heraus, was aber branchenüblich ist und den Gegner ein wenig bearbeiten beziehungsweise stören soll. Das ist eine erlaubte Spielwiese. Im Fußbereich kommt es womöglich zum Kontakt, wobei alles im normalen Bewegungsablauf passiert und den Verteidiger hierbei keine Schuld treffen würde. Eine richtige Entscheidung des Schiedsrichters, aus einer sehr guten Position das Spiel weiterlaufen zu lassen.

 

Szene 9: Christian Kinsombi (Uerdingen) dringt in den Strafraum ein und wird von Tommy Grupe (Lübeck) zu Fall gebracht. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Patrick Glaser. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]

Babak Rafati: Kinsombi ist knapp innerhalb des Strafraumes früher am Ball und legt sich das Spielgerät an seinem Gegenspieler Grupe vorbei, der etwas zu spät kommt und dadurch nicht mehr den Ball, sondern nur noch den Fuß des Angreifers trifft und ihn zu Fall bringt. Das ist ein klares Foulspiel, und es hätte einen Strafstoß für Uerdingen sowie eine gelbe Karte gegen Grupe aufgrund der Schwere des Vergehens (unkontrolliertes Hineinspringen) geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde

   

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