Strittige Szenen am 28. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die nicht gegebenen Elfmeter für Berlin, Verl und Saarbrücken, der Strafstoß für Freiburg II, das Tor von Osnabrück, der nicht gegebene Treffer von Würzburg, das 1:1 von Saarbrücken, der Rückpass von Verl sowie Foulspiele von Ontuzans, Sternberg und Lokotsch: Am 28. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Enes Küc (Berlin) kommt im Strafraum an den Ball und gegen Kiliann Sildillia (Freiburg II) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Lukas Benen. [TV-Bilder – ab Minute 44:40]
Babak Rafati: Bei dieser Aktion im Strafraum von Freiburg will Küc den Ball blocken. Dabei steht Sildillia hinter ihm, will auch an den Ball, geht völlig fair in den Zweikampf, erreicht schließlich auch das Spielgerät und kann klären. Das Zufallkommen von Küc ist nicht auf ein mögliches Foulspiel von Sildillia zurückzuführen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, weiterspielen zu lassen.
Szene 2: Einen Schussversuch von Enes Küc (Berlin) bekommt Robert Wagner (Freiburg II) im Strafraum im Strafraum liegend an den Arm, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 45:45]
Babak Rafati: Bei einem Zweikampf im eigenen Strafraum rutscht Wagner zum Ball und bekommt ihn am Boden liegend unverschuldet den Arm. Er zieht diesen in dieser Aktion sogar wieder weg, um kein Vergehen zu verschulden. Hierbei liegt keine Absicht vor, sodass es eine richtige Entscheidung ist, weiterspielen zu lassen.
Szene 3: Auf dem Weg zum Tor geht Robert Wagner (Freiburg II) nach einem Zweikampf mit Jakob Lewald (Berlin) zu Fall, es gibt Elfmeter für Freiburg II. [TV-Bilder – ab Minute 1:30]
Babak Rafati: Wagner ist mit dem Ball am Fuß auf dem Weg auf das Berliner Tor und legt sich das Spielgerät in den Strafraum vor. Dabei kommt Lewald in den Zweikampf hinzu und will den Ball mit dem linken Fuß wegspitzeln, trifft aber ins Leere. Gleichzeitig stellt er sein rechtes Bein in den Laufweg von Wagner, wenn auch im normalen Bewegungsablauf, und bringt ihn entscheidend zu Fall. Das ist, wenn auch unbeabsichtigt, ein Foulspiel, und somit liegt eine richtige Entscheidung vor, diesen Elfmeter zu pfeifen.
Szene 4: Der bereits gelb-verwarnte Daniels Ontuzans (Freiburg II) setzt in einem Zweikampf mit Patrick Kapp (Berlin) den Ellenbogen ein und trifft ihn im Gesicht, kommt aber ohne weitere Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:24:15]
Babak Rafati: Sicherlich kann man diesen Zweikampf abpfeifen, da Ontuzans seinen Gegenspieler Kapp mit dem Arm in der Luft touchiert. Allerdings liegt weder ein Schlag (rote Karte zur Folge), noch ein Ellenbogeneinsatz (gelbe Karte zur Folge) vor, sodass es eine richtige Entscheidung ist, keine Karte für diesen Einsatz zu zeigen.
Szene 5: Eine Klärungsaktion von Barne Pernot (Verl) wehrt Torhüter Niclas Thiede (Verl) mit der Hand ab. Auf Rückpass entscheidet Schiedsrichter Marco Fritz allerdings nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:32:05]
Babak Rafati: Dieses Zuspiel von Pernot auf seinen Keeper Thiede ist so von ihm gewollt – auch, wenn die Flugrichtung des Balles etwas missglückt ist. Selbst im normalen Ablauf ist die absichtliche Aktion unverkennbar, da Pernot den Ball mit dem Innenrist und somit kontrolliert spielt. Somit hätte es einen indirekten Freistoß für Kaiserslautern geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Eine gelbe Karte sieht Thiede nicht, weil ein Rückpass keine Unsportlichkeit ist.
Szene 6: Kasim Rabihic (Verl) geht im Strafraum zu Fall und fordert Elfmeter, das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:50:30]
Babak Rafati: Bei dieser Aktion im Strafraum von Kaiserslautern wird Rabihic angespielt. Er geht dabei zum Ball und dreht sich selbst in den Verteidiger hinein. Wenn es hierbei überhaupt zu einem möglichen Kontakt gekommen ist, dann ist dieser durch den Stürmer verschuldet und nicht durch den gegnerischen Verteidiger. Dieser macht keine Anstalten, den Gegner treffen, sondern geht zum Ball. Dass der Angreifer anschließend dankend zu Fall kommt, ist branchenüblich. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen, da kein Foulspiel auszumachen ist.
Szene 7: Nach einer Ecke bringt Timo Beermann den VfL Osnabrück mit 1:0 in Führung. Meppen reklamiert Abseits, Schiedsrichter Sascha Stegemann gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]
Babak Rafati: Nach einer Ecke schießt Timo Beermann den Ball auf das gegnerische Tor. Danach berührt ein weiterer Angreifer aus einer abseitsverdächtigen Position den Ball und fälscht das Spielgerät ins Tor ab. Der Torschütze scheint in den Raum hereinzulaufen und nicht in Abseitsposition zu stehen, da ein Verteidiger diese am linken Pfosten aufhebt. Auch wenn die Szene nicht zweifelsfrei aufzulösen ist, liegt tendenziell eine richtige Entscheidung vor.
Szene 8: Für ein Foul an Joseph Boyamba (Mannheim) kommt Janek Sternberg (Halle) bei Schiedsrichter Wolfgang Haslberger mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 2:07:20]
Babak Rafati: Auch wenn die Aktion von Sternberg nur darauf abzielt, Boyamba durch ein Foulspiel zu stoppen, liegt ein Beinstellen vor und nicht etwa ein Tritt in die Knöchel oder ähnliches, sodass die gelbe Karte situationsgerecht und damit eine richtige Entscheidung ist. Das "Trefferbild" für eine rote Karte ist einfach nicht gegeben. Wenn es diesen Tritt gegeben hätte, wäre die Aktion gesundheitsgefährdend für den Gegenspieler. Erst dann wäre die rote Karte unumgänglich.
Szene 9: Einen Freistoß von Patrick Herrmann bringt Fanol Perdedaj zum 2:3 für Würzburg im Tor unter, allerdings entscheidet Schiedsrichter Patrick Schwengers auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt der Freistoßausführung steht der anschließende Torschütze fast auf der Strafraumlinie und somit knapp im Abseits, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, diesen Treffer wegen einer Abseitsposition zu verweigern. Kompliment an den Assistenten, denn diese Entscheidung ist nicht einfach aufzulösen. Dadurch, dass der Ball nach dem Abspiel so lange in der Luft ist, einige Sekunden vergehen, sich das Spielgeschehen komplett verlagert und verschiebt, entsteht ein ganz anderes Bild. Deshalb muss sich der Assistent dieses sogenannte "Standbild" zum Zeitpunkt des Abspiels gedanklich einfrieren und später wieder abrufen, um die Spieler, die im Abseits stehen und die, die nicht im Abseits stehen und somit nicht ins Spielgeschehen eingreifen, zuordnen zu können.
Szene 10: Nach Vorlage von Robin Scheu trifft Sebastian Jacob zum 1:1 für Saarbrücken. Türkgücü reklamiert Abseits, Schiedsrichter Florian Exner gibt den Treffer. [TV-Bilder – ab Minute 1:00]
Babak Rafati: Ob nach dem langen Ball auf die linke Seite – zum Zeitpunkt des Passes aus einem Standard resultierend – ein Saarbrücker Spieler in Abseitsposition steht, ist anhand der vorliegenden TV-Bilder nicht zweifelsfrei aufzulösen.
Szene 11: Einen Schuss von Julian Günther-Schmidt (Saarbrücken) bekommt Alexander Sorge (Türkgücü) im Strafraum an die Hand. Die Pfeife von Exner bleibt stumm. [TV-Bilder – ab Minute 1:27:10]
Babak Rafati: Sorge bekommt im eigenen Strafraum den Ball aus kurzer Entfernung an den Arm und zieht diesen schnell wieder weg, um keinen Elfmeter zu verursachen. Da zudem der Ball zum Arm geht und nicht andersherum, und der Arm vorher nicht abgespreizt oder in unnatürlicher Haltung war, liegt keine Absicht vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 12: Lars Lokotsch (Zwickau) geht mit hohem Bein in einen Zweikampf mit Niklas Lang (1860), trifft ihn im Brustbereich und sieht von Schiedsrichter Patrick Hanslbauer glatt Rot. [TV-Bilder – ab Minute 1:50]
Babak Rafati: Nach einem langen Ball wollen Lokotsch und Lang in der Luft zum Ball. Lang geht mit dem Kopf zum Ball und spielt auch das Spielgerät. Lokotsch wiederum kommt etwas zu spät, nimmt das lange Bein mit offener Sohle zur Hilfe und will auch zum Ball, trifft dabei aber nur Lang in den Brustbereich. Auch wenn er den Ball spielen will, ist diese Spielweise brutal und gefährdet die Gesundheit des Gegenspielers. Hierbei kann es nur die rote Karte geben. Daher liegt eine absolut richtige Entscheidung vor, diesen Platzverweis auszusprechen. Hervorragend, wie der Schiedsrichter diese Entscheidung vorbereitet. Er läuft mit dem Griff in die Gesäßtasche zum Tatort und macht damit allen Beteiligten unmissverständlich klar, dass er die rote Karte zeigen wird. Er teilt diese Entscheidung auch in der anschließenden Spielruhe den Münchner Spieler mit, die sofort zum Tatort hinzueilen und den Schiri auf die Heftigkeit des Foulspiels hinweisen wollen. Dadurch wirkt er deeskalierend, und eine möglich aufkommende Hektik wird sofort eingedämmt. Die Spieler von Zwickau wiederum wissen selbst, was passieren wird und daher halten sich die Proteste in Grenzen. Klasse Außendarstellung!
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