Strittige Szenen am 29. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Osnabrück, Braunschweig und Würzburg, die verwehrten Treffer von Mannheim und Freiburg II, der Strafstoß für Magdeburg, der Tritt von Schnatterer, die Rudelbildung in Osnabrück sowie die Foulspiele von Tomiak, Itter und Frick. Am 29. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 13 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 50-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Am Strafraum will René Klingenburg (Kaiserslautern) einen Ball erlaufen, geht aber im Duell mit Davide Itter (Osnabrück) zu Fall. Schiedsrichter Dr. Robin Braun pfeift nicht. [TV-Bilder – ab Minute 46:30]

Babak Rafati: Diese Art der Zweikampfführung, wie Itter sie anwendet, den Gegner auflaufen zu lassen, ohne dass der Ball Spielobjekt ist, ist regeltechnisch streng genommen ein "Sperren ohne Ball" und somit ein Foulspiel, bei dem es einen indirekten Freistoß für Kaiserslautern hätte geben müssen. Allerdings wird in der Praxis diese Spielweise niemals abgepfiffen, weil es mittlerweile in das körperbetonte Spiel gehört, was aber auch von allen Beteiligten gefordert wird und richtig ist. Niemand will, dass die Schiedsrichter ein Spiel zerpfeifen. Somit ist es im Sinne der modernen Spielführung, und wie es fast jeder Schiedsrichter auch anwendet, eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 2: Nach einem Zweikampf zwischen Boris Tomiak (Kaiserslautern) und Aaron Opoku (Osnabrück) geraten beide Spieler mit den Köpfen aneinander. Braun belässt es bei Ermahnungen. [TV-Bilder – ab Minute 49:05]

Babak Rafati: Natürlich sind die Vergehen von Tomiak und Opoku abstrakt gesehen jeweils eine gelbe Karte, weil das Ansetzen zu einem Kopfstoß unsportlich ist. Allein durch die Tatsache, dass die Rudelbildung sich nicht auflöst, vielmehr heftiger wird und Tomiak zudem schubst, müssen diese Karten ausgesprochen werden, sodass es keinen Handlungsspielraum mehr gibt. Eine Fehlentscheidung, dieses Verhalten beider Spieler lediglich "durchzumoderieren". Natürlich kann man auch mit Fingerspitzengefühl argumentieren, aber das kann für einen weiteren Spielverlauf sehr riskant sein, sodass die Messlatte für weitere Vergehen sehr hoch angesetzt wird.

Szene 3: Bei einem Zweikampf mit Aaron Opoku (Osnabrück) erwischt Boris Tomiak (Kaiserslautern) seinen Gegenspieler mit der Hand im Gesicht, kommt aber ohne Karte davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:29:40]

Babak Rafati: Genau das passiert, wenn man die vorangegangene Szene "durchmoderiert" hat und die Spieler straffrei davonkommen lässt. Dass Opoku und Tomiak in diesem Spiel aneinander geraten werden, war abzusehen und ist die logische Konsequenz. Auch, wenn Osnabrück im Ballbesitz bleibt und der Schiedsrichter richtigerweise Vorteil anwendet, wäre es spätestens in der nächsten Spielruhe an der Zeit, Tomiak für dieses Vergehen, mit dem Arm bewusst ins Gesicht von Opoku zu gehen, die gelbe Karte zu zeigen. Eine Fehlentscheidung, keine Karte gegen Tomiak zu zeigen.

Szene 4: Marc Heider (Osnabrück) geht im Strafraum gegen Boris Tomiak (Kaiserslautern) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Braun. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:25]

Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf im Strafraum von Kaiserslautern ist Tomiak etwas früher am Ball und kann das Spielgerät vor Heider klären. Seine Klärungstat ist dabei absolut regelkonform, und sein Bein ist nicht zu hoch, wie es anschließend der gegnerische Trainer anzeigt und moniert. Das Foulspiel geht sogar anschließend von Heider aus, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Stürmerfoul zu entscheiden.

Szene 5: Nach einem Schuss von Aaron Opoku (Osnabrück) wehrt Felix Götze (Kaiserslautern) den Ball zur Ecke ab, der VfL reklamiert Handspiel. [TV-Bilder – ab Minute 2:05:00]

Babak Rafati: Götze bekommt im eigenen Strafraum den Ball aus kurzer Entfernung an den angelegten Arm geschossen und wehrt das Spielgerät zur Ecke ab. Das ist zwar ein Handspiel, aber eben kein strafbares. Der Arm ist angelegt, und der Ball geht zum Arm, sodass keine Absicht vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 6: Einen Schuss von Oliver Wähling (Osnabrück) fälscht Felix Götze in Richtung Hendrick Zuck (Kaiserslautern) ab, der das Spielgerät im Strafraum möglicherweise an die Hand bekommt. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 2:15:45]

Babak Rafati: Der Ball wird bei einem Abwehrversuch im eigenen Strafraum von Götze aus kurzer Entfernung an den Arm von Mitspieler Zuck befördert. Dabei ist dessen Arm angelegt und in natürlicher Haltung, sodass keine Absicht und strafbares Handspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 7: Marc Schnatterer (Mannheim) geht mit hohem Bein in einen Zweikampf mit Robin Krauße (Braunschweig) und trifft ihn im Gesicht, kommt bei Schiedsrichter Bastian Dankert aber mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]

Babak Rafati: Auch wenn Schnatterer bei diesem Einsatz mit hohem Bein zum Ball will und ihm keine Absicht unterstellt werden kann, liegt ein brutales Spiel vor, bei dem die Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers Krauße in Kauf genommen wird. Das Bein ist auf Kopfhöhe und durchgestreckt mit offener Sohle. Zudem kommt es durch das "Trefferbild" zu einer Szene, die alle Kriterien für eine rote Karte erfüllt. Eine Fehlentscheidung, es bei diesem Tritt ins Gesicht nur bei der gelben Karte zu belassen.

Szene 8: Einen Kopfball von Marcel Seegert verlängert Marcel Costly zum 1:0 für Mannheim ins Tor, allerdings entscheidet Dankert auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:15]

Babak Rafati: Diese Szene kann nicht zweifelsfrei aufgelöst werden. Eher ist eine tendenzielle Einschätzung möglich. Nach dem Kopfball von Seegert steht Sohm nicht im Abseits. Zudem berührt er den Ball nicht, sodass weiterhin der Moment des Kopfballs von Seegert maßgeblich bleibt. Ob zu dem besagten Zeitpunkt der anschließende Torschütze Costly tatsächlich im Abseits steht oder nicht, ist diskussionswürdig. Es könnte sein, dass Braunschweigs Kijewski die Abseitsposition aufhebt und der Assistent durch die räumlich nähere Distanz zu Costly, diesen eher wahrnimmt und im Abseits wähnt. Letztlich eine knifflige Szene, bei der mit den vorliegenden TV-Bildern fallabschließend keine verlässliche Bewertung möglich ist.

Szene 9: Gerrit Gohlke (Mannheim) wehrt eine Hereingabe von Bryan Henning (Braunschweig) ins Toraus ab, Dankert entscheidet zunächst auf Elfmeter. Nach einigen Gesprächen mit dem Assistenten und Henning, der laut Dankert erklärt haben soll, dass er den Ball nicht am Arm des Mannheimers gesehen habe, nimmt der Schiedsrichter den Elfmeter zurück. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]

Babak Rafati: Nach der Hereingabe von Henning wehrt Gohlke den Ball zur Ecke ab. Der Schiedsrichter nimmt ein Handspiel wahr und entscheidet auf Elfmeter für Braunschweig. Nach Ansicht der TV-Bilder wird der Ball mit der Brust abgewehrt und nicht mit dem Arm, sodass kein Handspiel vorliegt. Kompliment daher dafür, dass der Schiedsrichter die Szene, trotz falscher Wahrnehmung und bereits getroffener Entscheidung, nach Absprache mit seinem Assistenten und den beteiligten Spielern revidiert und final eine richtige Entscheidung trifft. Die Schiedsrichter haben natürlich die Option, im Zweifel und bei heftigen Reklamationen und letztlich einer gravierenden (Fehl-) Einschätzung, die beteiligten Akteure einzubinden, um zur richtigen Entscheidungsfindung zu gelangen. Das tut der Schiedsrichter in dieser Szene ausgezeichnet. Das schafft Akzeptanz und Glaubwürdigkeit! Natürlich auch ein Kompliment an Henning, der den Fair-Play-Gedanken anwendet und am Ende sportlich gewinnt.

 

Szene 10: Nach einem Schuss von Connor Krempicki (Magdeburg) bekommt Marcel Titsch Rivero (Halle) den Ball im Strafraum an die Hand, Schiedsrichter Michael Bacher gibt Elfmeter für Magdeburg. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]

Babak Rafati: Nach einem Schuss von Krempicki kommt der Ball zwar aus sehr kurzer Distanz an den Arm von Titsch Rivero, allerdings wird der Arm auch vorher in eine unnatürliche Haltung gebracht und zum Blockieren des Balles eingesetzt. Dabei ist der Arm auf Kopfhöhe. Da hat der Arm natürlich nichts zu suchen, sodass ein absichtliches Handspiel vorliegt, das vollkommen zu Recht mit einem Strafstoß für Magdeburg und einer gelben Karte gegen Titsch Rivero geahndet wird.

 

Szene 11: Marvin Pourié (Würzburg) geht im Strafraum gegen Florian Carstens (Wiesbaden) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Martin Petersen. [TV-Bilder – ab Minute 2:15]

Babak Rafati: Pourié legt sich den Ball in den gegnerischen Strafraum und will an Gegenspieler Carstens vorbei. Dabei kommt Carstens einen Moment zu spät, spielt nicht den Ball, verfehlt diesen und bringt Pourié über das ausgestreckte Bein zu Fall. Das ist ein klassisches Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter für Würzburg geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Szene 12: Nach einem Luft-Zweikampf mit Claudio Kammerbauer (Freiburg II) sieht Davy Frick (Zwickau) von Schiedsrichter Mitja Stegemann Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:21:20]

Babak Rafati: Sicherlich kann man den Luftzweikampf von Frick gegen Kammerbauer abpfeifen und auf Freistoß für Freiburg entscheiden, da der Arm leicht in Richtung des Gesichts von Kammerbauer geführt wird. Allerdings ist der Einsatz von Frick lediglich fahrlässig und nicht rücksichtslos, sodass die gelbe Karte überzogen, respektive eine Fehlentscheidung ist.

Szene 13: Nach Vorlage von Lars Kehl (Freiburg II) trifft Emilio Kehrer (Freiburg II) zum 2:0, allerdings entscheidet Stegemann auf Abseits und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:54:30]

Babak Rafati: Man sieht am linken Bildrand, dass der Zwickauer Verteidiger Nils Butzen tiefer als der anschließende Torschütze Kehrer steht, sodass er das Abseits aufhebt. Das kann man sehr gut an der Rasenmarkierung erkennen. Somit liegt im Moment des Abspiels von Kehl auf Kehrer keine Abseitsposition vor. Eine Fehlentscheidung, diesen Treffer nicht zu geben.

Weiterlesen: Wer bisher am häufigsten benachteiligt wurde

   

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