Strittige Szenen am 29. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati
Die Elfmeter für Verl und Saarbrücken, die nicht gegebenen Strafstöße für Essen, Dresden, Mannheim, Aue, Duisburg, Bielefeld und Freiburg II, die verwehrten Treffer für Verl, Halle und Sandhausen, das 1:0 für Köln, das 1:1 für Mannheim sowie Foulspiele von Ouro-Tagba und Lamby. Am 29. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 18 strittige Szenen genauer angeschaut.
Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 53-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.
Szene 1: Einen Schuss von Maximilian Wolfram (Verl) bekommt Andreas Wiegel (Essen) an den Ellenbogen, es gibt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 2:10]
Babak Rafati: Nach einem Schuss von Wolfram dreht sich Wiegel um und will den Ball aus kurzer Distanz blocken. Dabei hat er den Arm am Körper angelegt, bekommt das Spielgerät aber trotzdem an den Ellenbogen. Das ist jedoch kein strafbares Handspiel, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, einen Elfmeter zu pfeifen. Solch eine Fehlentscheidung nach dem Spiel vor der Kamera zuzugeben, würde für Klarheit bei allen Beteiligten sorgen, weil sonst hierbei alle wieder glauben, dass das die aktuelle Handspielauslegung ist.
Szene 2: Fabio Gruber (Verl) blockt einen Schuss von Marvin Obuz (Essen) mit dem Arm ab, einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:00:35]
Babak Rafati: Der Schuss von Obuz wird von Gruber geblockt, dabei ist der Arm am Körper angelegt. Er führt den Körper zum Ball, und womöglich wird der Ball auch mit dem Arm berührt. Aber der Arm ist da nun mal, zudem ist ein absichtliches Handspiel nicht auszumachen. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 3: Auf Vorlage von Lars Lokotsch trifft Maximilian Wolfram zum 2:1 für Verl, allerdings wird auf Abseits entschieden, sodass der Treffer nicht zählt. [TV-Bilder – ab Minute 1:52:05]
Babak Rafati: Ob eine Abseitsposition von Wolfram nach dem Zuspiel von Lokotsch vorliegt oder nicht, ist anhand der vorliegenden TV-Bilder nicht zweifelsfrei aufzulösen. Da können Hacke und Fußspitze, wie wir es von den kalibrierten Linien in der Bundesliga kennen, eine entscheidende Rolle spielen. Die Situation ist deshalb auch so schwer für den Assistenten einzuschätzen, weil der Angreifer, der den Ball bekommt und anschließend ins Tor schießt, von der Distanz näher zum Assistenten steht.
Szene 4: Im Strafraum geht Torge Paetow (Verl) nach einem leichten Schubser von Thomas Eisfeld (Essen) zu Boden, erneut gibt es Elfmeter für den Sportclub. [TV-Bilder – ab Minute 3:10]
Babak Rafati: Nach der Flanke in den Strafraum kommt es zu einem Zweikampf zwischen Paetow und Eisfeld. Dabei läuft Paetow zum Ball und bekommt von hinten einen leichten Schubser von Eisfeld. Er wäre womöglich nicht mehr an den Ball gekommen, sodass der leichte Schubser des Angreifers zum Anlass genommen wird, sich fallen zu lassen. Eine Situation, die Stürmer typischerweise dankbar annehmen. Das Fallmuster des Angreifers passt allerdings nicht zum Vergehen. Er hat beide Füße auf dem Boden, ist nicht bereits in der Luft und hat somit mehr Halt. Der leichte Schubser ist nicht ursächlich für das Zufallkommen. Alles in allem liegt kein Foulspiel vor. Das Vergehen reicht für einen Elfmeter einfach nicht aus, sodass ein „soft penalty“ gepfiffen wird. Eine Fehlentscheidung.
Szene 5: Nach einem Dynamo-Freistoß bekommt Jesper Verlaat (1860) den Ball im Strafraum an den Arm, Schiedsrichter Dr. Max Burda lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 40:30]
Babak Rafati: Der Ball springt Verlaat an den Bauch, dabei zieht er gleichzeitig den Arm zurück, um den Ball nicht an den Arm zu bekommen. Somit liegt kein Handspiel vor. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen und keinen Elfmeter zu geben.
Szene 6: Einen Schuss von Jakob Lewald (Dresden) bekommt Jesper Verlaat (1860) im Strafraum an die Hand, einen Elfmeter gibt Burda erneut nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:41:35]
Babak Rafati: Nach dem Schuss von Lewald dreht sich Verlaat seitlich zum Ball, um den Ball mit dem Körper zu blocken und bekommt dabei das Spielgerät an den Arm. Allerdings ist der Arm in natürlicher Haltung, und Verlaat hat gar keine Chance mehr aus dieser Entfernung in der kurzen Zeit den Arm wegzuziehen. Somit liegt kein strafbares Handspiel vor. Erneut eine richtige Entscheidung, keinen Elfmeter zu pfeifen.
Szene 7: Mansour Ouro-Tagba (1860) schubst Paul Will (Dresden) leicht weg und gerät dann mit Jakob Lewald (Dresden) aneinander. Der Schiedsrichter zeigt Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:05:10]
Babak Rafati: Bei der ersten Aktion wäre es gut gewesen, gleich dazwischen zu gehen und beide Spieler anzusprechen, damit es gar nicht so weit kommt. Danach stehen sich Ouro-Tagba und Lewald gegenüber, und Lewald lässt sich theatralisch fallen. Hier ist es richtig, Ouro-Tagba lediglich die gelbe Karte zu zeigen, da kein Kopfstoß vorliegt, vielmehr eine Unsportlichkeit. Ebenso hätte aber auch Lewald die gelbe Karte sehen müssen, da er vorher auch provoziert. Ihm keine gelbe Karte zu zeigen, ist eine Fehlentscheidung.
Szene 8: Bei einem Laufduell mit Julian Rieckmann (Mannheim) bekommt Luca Marseiler (Köln) den Ellenbogen ins Gesicht, Schiedsrichter Martin Speckner gibt Freistoß, aus dem das 1:0 für Köln fällt. [TV-Bilder – ab Minute 54:20]
Babak Rafati: In dieser Szene Freistoß zu pfeifen, ist eine richtige Entscheidung, da Rieckmann die Arme ahndungswürdig gegen Marseiler einsetzt, um ihn vom Ball wegzuhalten. Der Treffer mit dem Ellenbogen durch das „Weghalten“ vom Ball ist allerdings auch nicht gelbwürdig, sodass der Pfiff allein vollkommen ausreicht.
Szene 9: Nach einem Lattenabpraller bekommt Patrick Koronkiewicz (Köln) den Ball im Strafraum von Bentley Baxter Bahn an die Hand, einen Elfmeter gibt Speckner nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:18:00]
Babak Rafati: Baxter Bahn schießt den Ball aus sehr kurzer Distanz seinem Gegenspieler Koronkiewicz an die Hand. Der Arm des Verteidigers ist dabei in natürlicher Haltung, sodass kein absichtliches oder strafbares Handspiel vorliegt. Somit eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.
Szene 10: Michael Schultz (Köln) prallt der Ball bei einer Flanke von Samuel Abifade (Mannheim) vom eigenen Bein an die Hand, es gibt Freistoß, aus dem das 1:1 fällt. [TV-Bilder – ab Minute 1:40]
Babak Rafati: Aus kurzer Distanz bekommt Schultz den Ball nach einer Flanke an das eigene Bein, und von da aus prallt das Spielgerät an den Arm. Dabei ist der Arm über der Schulterhöhe. An sich sprechen die kurze Distanz und der Abpraller vom eigenen Bein an den Arm für ein Nicht-Handspiel. Die entscheidende Frage stellt sich jedoch final, ob der Arm zuvor in natürlicher Haltung ist oder nicht. Durch die Streckung des Beins zum Ball geht der Arm automatisch hoch und ist dann auch in der Höhe als natürliche Haltung zu werten. Somit liegt regeltechnisch eine Fehlentscheidung vor, einen Freistoß zu pfeifen. In der Praxis wird aber oft ein Handspiel über der Schulterhöhe als strafbar gewertet und gepfiffen, so wie in dieser Szene.
Szene 11: Nach einer Flanke von Patrick Sontheimer will Julian Günther-Schmidt den Ball auf das Tor bringen, Franco Schädlich (Aue) wehrt das Leder jedoch mit der Hand ab, Schiedsrichter Eric Weisbach gibt Elfmeter. Aue reklamiert Abseits beim Zuspiel auf Günther-Schmidt. [TV-Bilder – ab Minute 0:45]
Babak Rafati: Zum Zeitpunkt der Flanke von Sontheimer steht ein Mitspieler in der Mitte in Abseitsposition, der aber nicht ins Spielgeschehen eingreift. Der Ball gelangt stattdessen zu Günther-Schmidt, der auch in Abseitsposition steht. Das sieht man sehr gut daran, weil dieser – insbesondere mit dem linken Fuß – näher zur „Fünferlinie“ steht als die Verteidiger. Somit hätte auf Abseits entschieden werden müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen. Zur anschließenden Elfmeterszene, die als solche richtig bewertet wurde, hätte es erst gar nicht kommen dürfen.
Denkbar, dass sich der Schiedsrichter-Assistent auf den Spieler in der Mitte konzentriert und den Fokus nicht auf beide Spieler gleichzeitig hatte, sodass er Günter-Schmidt zum Zeitpunkt der Flanke nicht mit der notwendigen Konzentration auf dem Schirm hatte.
Szene 12: Auf der Strafraumlinie geht Sean Seitz (Aue) gegen Calogero Rizzuto (Saarbrücken) zu Fall, statt Elfmeter gibt Weisbach Freistoß. [TV-Bilder – ab Minute 1:40:55]
Babak Rafati: Auf der Strafraumlinie trifft Seitz Gegenspieler Rizzuto am Fuß und bringt ihn dadurch zu Fall. Das ist unstrittig ein Foulspiel, und es hätte einen Elfmeter geben müssen. Dadurch, dass der Schiedsrichter 5-6 Meter vom Geschehen weg ist, kann er den genauen Tatort aus seiner Position nicht ausmachen. Wenn er aber anstatt nach hinten zu laufen, vorausschauend agiert, sich zur Strafraumgrenze orientiert und hinter die beiden Spieler positioniert hätte, wäre die Grundlage für eine optimale Sicht gegeben. Dann wäre die Entscheidung ein Elfmeter. Ein Freistoß ist aber eine Fehlentscheidung. Der Assistent kann in dieser Situation nicht helfen, da er sich auf die Abseitslinie konzentrieren muss, sodass er auf der Höhe des Verteidigers am Elfmeterpunkt stehen wird.
Szene 13: Max Lamby (Unterhaching) klärt im eigenen Strafraum gegen Santiago Castaneda (Duisburg), trifft ihn dabei jedoch und bringt ihn zu Fall. Kein Elfmeter, sagt der Schiedsrichter. [TV-Bilder – ab Minute 0:10]
Babak Rafati: Castaneda schießt auf das Tor, unmittelbar danach kommt Lamby in den Zweikampf und foult den Angreifer deutlich, sodass ein klares Foulspiel vorliegt. Der Schiedsrichter wertet die Szene womöglich deshalb als nicht ahndungswürdig, weil die Szene für ihn nach dem Schuss des Angreifers abgeschlossen ist. Eine gängige Praxis der Schiedsrichter, die aber in dieser Szene eine Fehlentscheidung darstellt. Es hätte einen Elfmeter geben müssen.
Szene 14: Max Lamby (Unterhaching) geht mit hohem Bein in einen Zweikampf mit Thomas Pledl (Duisburg), kommt aber mit Gelb davon. [TV-Bilder – ab Minute 32:45]
Babak Rafati: Bei diesem Zweikampf spielt Lamby zwar auch den Ball, aber das Bein ist einfach zu hoch und die Sohle gestreckt. Dabei trifft er mit der offenen Sohle auch Gegenspieler Pledl in einer Art und Weise am Bein, mit der er eine Gefährdung der Gesundheit des Gegenspielers billigend in Kauf nimmt. Bei dem Trefferbild, muss es die rote Karte geben. Eine Fehlentscheidung, diese Spielweise, auch wenn sie unbeabsichtigt ist, nur mit der gelben Karte zu bestrafen. Das Argument des fehlbaren Spielers, möglicherweise den Ball spielen zu wollen, kann deshalb nicht berücksichtigt werden, weil er auch die Gefahr – wie oben beschrieben – in Kauf nimmt. Der Schiedsrichter wird sicherlich das Trefferbild auf dem Platz nicht wahrgenommen haben, sonst hätte keine andere Meinung dazu haben können.
Szene 15: Im Anschluss an eine Ecke trifft Aljaz Casar zum 1:1 für Halle, allerdings pfeift Schiedsrichter Jarno Wienefeld auf Stürmerfoul von Niklas Landgraf an Marc Lorenz (Münster) und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:01:10]
Babak Rafati: Landgraf läuft seinen Gegenspieler Lorenz einfach um, sodass ein Foulspiel vorliegt. Eine richtige Entscheidung, den anschließenden Treffer von Casar nicht zu geben. Was der Schiedsrichter in dieser Szene wirklich gut macht, ist, dass er ein gutes Gespür hat und das Pärchen, bei dem gleich etwas passieren kann, ausmacht und sich auf diese beiden Spieler fokussiert. Zudem pfeift er sofort ab, bevor der Ball überhaupt in die eigentliche Gefahrenzone kommt. Dadurch kommt ein Schiedsrichter nicht in Versuchung, das Vergehen ungeahndet zu lassen, weil der Gefoulte womöglich nicht mehr hätte eingreifen können. Wenn aber später gepfiffen worden wäre, hätte es zu Recht Proteste gegeben, weil Entscheidungen mit zeitlicher Verzögerung, immer eine Unsicherheit durch den Schiedsrichter suggerieren, die meistens auch zutrifft. Gut auch zu sehen, wie die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit bei den Spielern bei dieser Entscheidung ist. Gut gelöst!
Szene 16: Im Strafraum kommt Christopher Lannert (Bielefeld) gegen Franz Roggow (Dortmund II) zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Schiedsrichter Sören Storks. [TV-Bilder – ab Minute 56:55]
Babak Rafati: Im Strafraum will Lannert an Gegenspieler Roggow vorbei, doch dieser nimmt das Bein heraus und lässt den Angreifer über den Oberschenkel zu Fall kommen. Das ist ein Foulspiel. Man sieht auch sehr gut, wie der Angreifer in seiner Vorwärtsbewegung durch dieses Foulspiel plötzlich abgestoppt wird. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen, zumal der Schiedsrichter eigentlich einen guten Blick zum Vorgang hat und das Foulspiel erkennen müsste.
Szene 17: Lukas Ambros (Freiburg II) wird im Strafraumeck von Leon Sommer (Lübeck) getroffen und geht zu Fall, auf den Punkt zeigt Schiedsrichter Assad Nouhoum nicht. [TV-Bilder – ab Minute 57:00]
Babak Rafati: Bei diesem Laufduell ist zwar der Arm von Sommer gegen Ambros im Spiel, aber das ist ein normaler Zweikampf, sodass der Arm keinen regelwidrigen Einsatz darstellt. Wenn man solch einen Einsatz immer abpfeifen würde, müsste man sehr oft auf Foulspiel entscheiden, und der Charakter eines Zweikampfsports wäre nicht mehr gegeben. Eine richtige Entscheidung, in dieser Szene weiterspielen zu lassen.
Szene 18: Nach einer Ecke trifft Markus Pink zum 1:2 für Sandhausen, allerdings soll er beim Kopfball von Luca Zander im Abseits gestanden haben, sodass dem Treffer die Anerkennung verweigert wird. [TV-Bilder – ab Minute 3:50]
Babak Rafati: Nach dem Kopfball von Zander steht Mitspieler Pink tendenziell näher zur gegnerischen Torlinie als zwei Verteidiger, greift aber noch nicht ins Spielgeschehen ein. Das passiert erst, als der Ball vom Torhüter abgewehrt wird. Eine neue Spielsituation liegt nicht vor, sodass die Abseitsposition strafbar wird. Eine wahrscheinlich richtige Entscheidung, die aber nicht zweifelsfrei aufgelöst werden kann.
Weiterlesen: Wer bislang am häufigsten benachteiligt wurde