Strittige Szenen am 3. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die Fehde zwischen Kutschke und Männel, der Platzverweis gegen Kutschke, die Elfmeter für Saarbrücken, Osnabrück, Köln und Wiesbaden, die nicht gegebenen Strafstöße für Saarbrücken, Rostock und Verl, die verwehrten Treffer von Saarbrücken, Rostock, Mannheim, die verlängerte Nachspielzeit in Cottbus sowie ein Foulspiel von El-Faouzi. Am 3. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de 14 strittige Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga- & FIFA-Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 54-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter seit März 2015 jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf arbeitet Rafati heute als Mentalcoach für Profifußballer und Manager und ist ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, unter anderem bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation. Mehr Infos unter babak-rafati.de.

Szene 1: Stefan Kutschke (Dresden) schubst Martin Männel (Aue) zur Seite, weil er den Ball nicht hergeben will. Eine Karte sieht Kutschke von Schiedsrichter Lukas Benen nicht. Nach der anschließenden Ecke setzt Männel zu einem Tritt gegen Kutschke an, der aber nicht geahndet wird. Kutschke wiederum sieht wegen Meckerns Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Zunächst einmal gibt Männel den Ball nicht frei und provoziert damit. Er ist somit der Verursacher der Aktion und hätte dafür die gelbe Karte sehen müssen. Anschließend greift Kutschke zur Selbstjustiz und schubst Männel heftig mit beiden Armen zu Boden. Das ist kein Schubser, den man mit der gelben Karte ahnden könnte, vielmehr eine Tätlichkeit, die zu einer roten Karte führen muss. Eine zweimalige Fehlentscheidung, Rot gegen Kutschke und Gelb gegen Männel nicht zu geben, was fatale Folgen hat, wie man in der anschließenden Szene sieht.

Nach der Ecke tritt Männel eindeutig und gezielt gegen Kutschke, obwohl die Aktion schon abgeschlossen ist, und trifft ihn leicht am Fuß. Das ist regeltechnisch ein versuchtes (!) Treten, was die rote Karte zur Folge hat. Dass sich Kutschke sehr darüber aufregt, ist nachvollziehbar. Hierfür nunmehr die gelbe Karte zu zeigen, ist absolut unangemessen. Es hätte in dieser Szene die rote Karte gegen Männel geben müssen. Gegen Kutschke hätte es dagegen keine gelbe Karte geben dürfen. Erneut eine zweimalige Fehlentscheidung, diesmal Männel davon kommen zu lassen und Kutschke hingegen die gelbe Karte zu zeigen.

Szene 2: Der bereits verwarnte Stefan Kutschke (Dresden) behindert Martin Männel (Aue) bei einem Abwurf und sieht dafür Gelb-Rot. Nach Abpfiff kommt er auf den Platz zurück. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]

Babak Rafati: Eine beispielhafte Szene dafür, wie ein Schiedsrichter Entscheidungen nachholen will, weil er bemerkt, dass er zuvor etwas verpasst hat. Für solch ein Verhalten kann man – muss man aber nicht – die gelbe Karte zeigen. Liegt eine Unsportlichkeit vor oder nicht? Beides wäre vertretbar. In dieser Szene wird der Schiedsrichter die giftige Atmosphäre berücksichtigt und den bereits gelb-verwarnten Kutschke deshalb mit der gelb-roten Karte vom Platz gestellt haben. Somit eine vertretbare Entscheidung, auch wenn Männel mehr daraus macht, als tatsächlich vorliegt. Sicherlich hätte er die gelbe Karte gegen Kutschke nicht gezeigt, wenn es die Vorgeschichte nicht gegeben hätte.

In der Regel steht, dass nach einer gelb-roten oder roten Karte ein Spieler/Trainer den Innenraum (Umgebung Spielfeld und technische Zone) verlassen muss. Es steht nicht genau, ob diese Regelung auch nach dem Abpfiff gilt. Das ist eine Sache für das Sportgericht darüber zu entscheiden, ob das Betreten des Spielfeldes nach dem Spiel ein Vergehen darstellt. Ein Schiedsrichter wird somit nach einem Spiel nicht anordnen, dass jemand, der im Spiel die gelb/rote oder rote Karte gesehen hat, das Feld verlassen muss.

 

Szene 3: Nach einem Freistoß geht Amine Naïfi (Saarbrücken) im Strafraum gegen Sebastian Grönning (Ingolstadt) zu Boden, Schiedsrichter Christian Dingert gibt Elfmeter für Saarbrücken. [TV-Bilder – ab Minute 0:20]

Babak Rafati: Nach einem Freistoß zieht Grönning seinen Gegenspieler Naifi klar am Trikot und reißt ihn zu Boden. Dadurch kann er unbedrängt den angeflogenen Ball per Kopf klären. Das ist ein klares Trikotvergehen, sodass eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Elfmeter zu entscheiden. Gut erkannt vom Schiedsrichter!

Szene 4: Simon Lorenz (Ingolstadt) wird im Strafraum von Manuel Zeitz (Saarbrücken) gefoult, jedoch entscheidet der Schiedsrichter auf Abseits, sodass es keinen Strafstoß gibt. [TV-Bilder – ab Minute 3:30]

Babak Rafati: Anhand der vorliegenden TV-Bilder lässt sich tendenziell keine Abseitsposition erkennen, da Lorenz hinter dem Ball steht. Somit wäre das anschließende Treten von Zeitz gegen Lorenz elfmeterwürdig. Tendenziell liegt eine Fehlentscheidung vor, was aber nicht zweifelsfrei zu belegen ist.

Szene 5: Auf Vorlage von Amine Naïfi trifft Kai Brünker zum 3:2 für Saarbrücken, jedoch wird der Treffer aufgrund einer Abseitsposition nicht anerkannt. [TV-Bilder – ab Minute 4:00]

Babak Rafati: Die TV-Bilder lassen tendenziell eine knappe Abseitsposition von Brückner vermuten, sodass die Entscheidung, kein Tor zu geben, tendenziell richtig sein müsste.

 

Szene 6: Auf Vorlage von Cedric Harenbrock trifft Nils Fröhling zum 2:0 für Rostock, wird jedoch von Schiedsrichter Martin Wilke aufgrund einer vermeintlichen Abseitsposition zurückgepfiffen. [TV-Bilder – ab Minute 45:10]

Babak Rafati: Zum Zeitpunkt des Abspiels von Harenbrock auf Fröhling hebt Dortmunds Jessen das Abseits auf der anderen Seite auf, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, den anschließenden Treffer nicht anzuerkennen.

Die Fehlentscheidung ist auf zwei mögliche Fehlerquellen zurückzuführen. Entweder hat der Assistent den Moment des Abspiels nicht genau erkannt, oder er hat den Rostocker Spieler, der nicht im Abseits steht, eher wahrgenommen als den Dortmunder Verteidiger auf der anderen Seite, was ihn dazu verleitet hat, weiterlaufen zu lassen. Das liegt daran, dass die räumliche Distanz des Assistenten zum Rostocker Angreifer kürzer ist als die vom Verteidiger zum Assistenten und dieser deshalb den Angreifer zuerst sieht.

Szene 7: Nach einem Freistoß wird Damian Roßbach (Rostock) von BVB-Keeper Marcel Lotka abgeräumt, einen Elfmeter gibt Wilke nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:41:10]

Babak Rafati: Nach einem langen Ball gehen Keeper Lotka und Roßbach in der Luft zum Spielgerät. Dabei ist der Angreifer schneller zur Stelle und kann den Ball mit dem Kopf spielen. Dadurch, dass der Keeper etwas zu spät kommt, verpasst er das Spielgerät und räumt nur noch den Angreifer ab. Auch, wenn er sich selbst dabei weh tut, liegt ein Foulspiel vor, sodass es einen Elfmeter für Rostock hätte geben müssen. Eine Fehlentscheidung, weiterspielen zu lassen und das Vergehen des Keepers ungeahndet zu lassen.

 

Szene 8: Im Strafraum bekommt Tim Knipping (Unterhaching) den Ball bei einem Duell mit Joel Zwarts (Osnabrück) an die Hand, Schiedsrichter Felix Weller gibt Elfmeter für Osnabrück. [TV-Bilder – ab Minute 2:50]

Babak Rafati: Auch wenn der Ball aus kurzer Entfernung kommt, geht der Arm von Knipping reflexartig zum Ball und er spielt das Spielgerät aus der Gefahrenzone. Dieser Reflex stellt ein strafbares Handspiel dar, so dass eine richtige Entscheidung vorliegt, auf Elfmeter zu entscheiden. Sehr gut (!) vom Schiedsrichter erkannt, obwohl die Szene für ihn durch die Spielertraube verdeckt war.

 

Szene 9: Soufiane El-Faouzi (Aachen) geht an der Seitenlinie rüde in einen Zweikampf mit Maximilian Krauß (Cottbus), sieht von Schiedsrichter Luca Jürgensen aber nur Gelb. [TV-Bilder – ab Minute 1:44:35]

Babak Rafati: El-Faouzi geht mit offener Sohle und Dynamik in den Zweikampf und trifft Gegenspieler Krauß an der Seitenlinie am Fuß, wenn auch nur leicht, und bringt ihn zu Fall. Das ist ein Einsatz, der die Gesundheitsgefährdung des Gegenspielers billigend in Kauf nimmt. Auch wenn Krauß nicht voll getroffen wird, ist dieser heftige Einsatz mit der roten Karte zu ahnden, sodass eine Fehlentscheidung vorliegt, es nur bei der gelben Karte zu belassen.

Szene 10: Zunächst zeigt Jürgensen eine Nachspielzeit von fünf Minuten an, lässt dann aber noch drei Ecken nach Ablauf der Nachspielzeit ausführen. Aus der letzten fällt in der achten Minute der Nachspielzeit das 2:1. [TV-Bilder – ab Minute 2:04:40]

Babak Rafati: Grundsätzlich kann der Schiedsrichter die Nachspielzeit, die er ursprünglich angezeigt hatte, verlängern. Zum Beispiel dann, wenn sich ein Spieler verletzt und fünf Minuten behandelt wird. In diesem Fall müsste die Nachspielzeit um weitere fünf Minuten verlängert werden. In diesem Spiel allerdings wäre nach der angezeigten Nachspielzeit von fünf Minuten maximal eine Minute zusätzlich wegen einer kurzen Verletzung angemessen. Nach der ersten Ecke hätte das Spiel abgepfiffen werden müssen. Alles da drüber hinaus ist zu viel des Guten und darf einfach nicht passieren. Man kann dann von einer Fehleinschätzung sprechen.

 

Szene 11: Nach einer Ecke trifft Terrence Boyd zum 2:1 für Mannheim. Allerdings entscheidet Schiedsrichter Felix Wagner auf Stürmerfoul von Hoffmann an Keeper Schulze und gibt den Treffer nicht. [TV-Bilder – ab Minute 2:00:15]

Babak Rafati: Nach der Ecke verschätzt sich Keeper Schulze, kommt aus seinem Tor heraus, läuft selbstverschuldet gegen Hoffmann und kommt dadurch zu Fall. Hoffmann begeht kein regelwidriges Vergehen, auch nicht kurz zuvor gegen den Verteidiger, sodass alles sauber ist. Somit eine Fehlentscheidung, den anschließenden Treffer von Boyd zu verweigern.

Szene 12: Bei einem Zweikampf im Strafraum geht Julian Stark (Verl) gegen Marcel Seegert (Mannheim) zu Fall und bleibt liegen. Kein Elfmeter, sagt Wagner. [TV-Bilder – ab Minute 2:02:00]

Babak Rafati: Beim Versuch von Seegert, den Ball gegen Stark in der Luft zu klären, springt dieser den Gegenspieler an und räumt ihn nur ab, ohne an den Ball zu kommen. Das ist ein Foulspiel, und somit hätte es einen Elfmeter geben müssen. Eine Fehlentscheidung, diesen nicht zu geben.

 

Szene 13: Im Laufduell kommt Lex Tyger Lobinger (Köln) gegen Max Reinthaler zu Fall, das Spiel läuft weiter. Kurz danach spielt Florian Bähr (1860) gegen Jonah Benedict Sticker (Köln) zuerst den Ball, ehe er den Gegner trifft. Schiedsrichter Mario Hildenbrand gibt Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 1:52:30]

Babak Rafati: Zunächst einmal liegt ein Foulspiel von Lobinger gegen Reinthaler im Mittelfeld vor. Der Kölner springt nur den Gegenspieler an und hat dabei zudem nur den Blick zum Gegner gerichtet und nicht zum Ball. Dadurch kommt der Münchner ins Straucheln und im anschließenden Laufduell zu Fall – forciert durch das zuvor begangene Foulspiel an ihn. Eine Fehlentscheidung, das Spiel nicht zu unterbrechen und weiterlaufen zu lassen. Anschließend foult der Münchner den Kölner, aber es entsteht ein Vorteil, weil die Kölner in Ballbesitz bleiben.

Der anschließende Zweikampf im Strafraum ist dann schwierig zu bewerten. Zunächst tickt Sticker den Ball an und will den Ball an Gegenspieler Bähr vorbeilegen. Kurz darauf kommt Bähr angerauscht und spitzelt den Ball weg, wirft sich aber auch in den Weg des Angreifers. Sticker nimmt das zum Anlass, hebt etwas früher ab und kommt zu Fall. Das ist kein Foulspiel, sodass erneut eine Fehlentscheidung vorliegt, auf Elfmeter zu entscheiden.

 

Szene 14: Im Strafraum bekommt Leon Reichardt (Stuttgart II) den Ball am Boden liegend von Fatih Kaya (Wiesbaden) an den Arm, Schiedsrichter Kevin Behrens zeigt auf den Punkt. [TV-Bilder – ab Minute 2:04:40]

Babak Rafati: Nach einer Hereingabe von Kaya rutscht Reichardt zum Ball und bekommt den Ball an den Arm. Dadurch, dass der Arm zum Abstützen eingesetzt wird und eine natürliche Haltung einnimmt, liegt kein strafbares Handspiel vor. Somit eine Fehlentscheidung, einen Elfmeter zu pfeifen.

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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