Strittige Szenen am 30. Spieltag: Die Analyse von Babak Rafati

Die nicht gegebenen Elfmeter für Chemnitz, Duisburg, Braunschweig, 1860, Unterhaching und Großaspach, die Strafstöße für Braunschweig, Magdeburg und Ingolstadt, die gelbe Karte für Langer und ein Foulspiel von Richards: Am 30. Spieltag hat sich Ex-FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati für liga3-online.de zwölf Szenen genauer angeschaut.

Hintergrund: Babak Rafati war viele Jahre Bundesliga & FIFA Schiedsrichter. Insgesamt leitete der heute 48-Jährige 84 Erst-, 102 Zweit-, 13 Drittliga- und zahlreiche internationale Spiele. Exklusiv für liga3-online.de analysiert der erfahrene Schiedsrichter jeden Spieltag die strittigen Szenen, die durch die Redaktion im Vorfeld ausgewählt werden. Zudem ist er Kolumnist und TV-Experte für Bundesliga-Spiele. Im Hauptberuf ist Rafati heute Mentalcoach für Profifußballer und Manager sowie ein viel gefragter Referent in der freien Wirtschaft, u.a. bei DAX-Unternehmen zum Thema Stressmanagement und Motivation (www.babak-rafati.de).

Szene 1: Rafael Garica (Chemnitz) verlängert eine Flanke in den Strafraum, Migel-Max Schmeling (Duisburg) bekommt den Ball an die Hand. Kein Elfmeter, sagt Schiedsrichter Johann Pfeifer. [TV-Bilder – ab Minute 0:50]

Babak Rafati: Nach dem Kopfball von Garcia in den gegnerischen Strafraum nimmt Schmeling seinen Arm aktiv heraus und vergrößert damit seine Körperfläche. Das ist Absicht und ein strafbares Handspiel und hätte einen Strafstoß für Chemnitz sowie die gelbe Karte gegen Schmeling geben müssen, was in Folge Gelb-Rot bedeutet hätte. Eine Fehlentscheidung, das Spiel weiterlaufen zu lassen. Wenn der Schiedsrichter nicht in die optimale Position läuft, um den Vorgang beurteilen zu können, kann hier auch der Schiedsrichterassistent helfen und den entscheidenden Impuls geben.

Szene 2: Lukas Daschner (Duisburg) dringt in den Strafraum ein und wird von Pascal Itter (Chemnitz) zu Fall gebracht. Das Spiel läuft weiter. [TV-Bilder – ab Minute 1:52:45]

Babak Rafati: Daschner will nach einem Zuspiel in den gegnerischen Strafraum starten und wird dabei von seinem Gegenspieler Itter in die Hacken getroffen und dadurch zu Fall gebracht. Das ist ein Foulspiel, bei dem der Kontakt kurz vor der Strafraumlinie anfängt, sich aber durch den Bewegungsablauf bis in den Strafraum fortsetzt. Wenn der Schiedsrichter auch hier in eine bessere Position läuft, kann er sicherlich das Foulspiel erkennen. Es hätte einen Strafstoß für Duisburg geben müssen. Somit eine Fehlentscheidung.

Szene 3: Im Mittelfeld begeht der bereits gelb-verwarnte Sören Reddemann (Chemnitz) ein Foulspiel. Die gelbe Karte sieht jedoch Matti Langer. [TV-Bilder – ab Minute 1:57:35]

Babak Rafati: Das Foulspiel von Reddemann ist ein Allerweltsfoul, für das der Schiedsrichter richtigerweise nicht die gelbe Karte zeigen will. Erstens, weil es nicht gelbwürdig ist und zweitens, weil man an seiner Körpersprache erkennt, dass er nur pfeift und dabei stehen bleibt. Man sieht aber gleichzeitig ganz gut, dass Langer nach dem Pfiff Richtung Schiedsrichter läuft und Körperspannung aufbaut, was darauf hinweist, dass er in seine Richtung meckert. Somit wird die gelbe Karte gegen Langer wegen Meckerns gezeigt. Sicherlich hätte der Schiedsrichter dieses Missverständnis vermeiden und eine bessere Außenwirkung erzielen können, indem er auf Langer zuläuft und ihm deutlich für alle Außenstehende die gelbe Karte zeigt anstatt diese aus der Distanz in Richtung beider Spieler zu zeigen.

 

Szene 4: Leon Bürger (Braunschweig) kommt im Strafraum gegen Josip Stanisic (Bayern II) zu Fall. Schiedsrichter Patrick Ittrich gibt Strafstoß für den BTSV. [TV-Bilder – ab Minute 1:05]

Babak Rafati: Bei einem Laufduell im Strafraum von Bayern kommt es zu einem Zweikampf zwischen Bürger und Stanisic. Bürger will zum Torschuss ansetzen und verstolpert den Ball ohne gegnerische Einwirkung, indem er unter den Ball schlägt und dadurch zu Fall kommt. Es gibt keinen Kontakt mit Stanisic im Fußbereich. Auch im Oberkörperbereich ist alles sauber, da beide Schulter an Schulter laufen. An sich hat der Schiedsrichter gute Sicht auf die Szene und entscheidet dennoch auf Strafstoß für Braunschweig. Eine Fehlentscheidung, weil kein Foulspiel von Stanisic vorliegt. 

Szene 5: Nach einem Schubser von Paul Will (Bayern II) geht Kevin Goden (Braunschweig) im Strafraum zu Fall. Kein Elfmeter, entscheidet Ittrich. [TV-Bilder – ab Minute 58:25]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell im Strafraum von Bayern schiebt Will seinen Gegenspieler leicht in den Rücken. Anschließend kommt Goden zu Fall. Ob dieses Schieben für ein Zufallkommen ausreicht, ist fragwürdig. Sicherlich kann man pro und contra Strafstoß argumentieren. Aber ein Schiedsrichter wird den ersten Strafstoß für Braunschweig mit seinen Begleitumständen im Hinterkopf haben und in seine Entscheidung mit einfließen lassen. Eine richtige Entscheidung, in dieser Szene weiterspielen zu lassen. Wenn er jedoch den ersten Elfmeter zuvor nicht gegeben hätte, hätte er diesen sicherlich geben können.  

Szene 6: Der bereits gelb-verwarnte Chris Richards (Bayern II) zieht Braunschweigs Orhan Ademi am Trikot, kommt aber mit einer Ermahnung davon. [TV-Bilder – ab Minute 1:33:35]

Babak Rafati: An der Seitenlinie auf Höhe der Mittellinie kommt es zu einem Zweikampf zwischen Richards und Ademi. Sicherlich bearbeiten sich beide durch Trikothalten, aber das entscheidende Vergehen begeht final Richards, weil Ademi ihn ausspielt und dieser ihn am Weiterlaufen hindert. Das ist ein taktisches Foulspiel und hätte die zweite gelbe Karte gegen Richards geben müssen, in der Folge die gelb-rote Karte. Eine Fehlentscheidung, diese Ampelkarte nicht zu zeigen. 

 

Szene 7: Im Strafraum geht Christian Beck (Magdeburg) im Duell mit Assani Lukimya (Uerdingen) zu Boden und bekommt von Schiedsrichterin Dr. Riem Hussein einen Elfmeter zugesprochen. [TV-Bilder – ab Minute 2:30]

Babak Rafati: Bei diesem Laufduell geht Lukimya im eigenen Strafraum sehr ungeschickt zu Werke und trifft Beck, wenn auch unbeabsichtigt, in die Hacken. Dadurch bringt er ihn entscheidend aus dem Gleichgewicht, sodass dieser zu Fall kommt. Solche Szenen werden natürlich dankend von den Stürmern angenommen. Das ist trotzdem ein Foulspiel und somit eine richtige Entscheidung, Strafstoß für Magdeburg zu pfeifen und Gelb gegen Lukimya zu zeigen.

 

Szene 8: Marius Willsch (1860) kommt im Strafraum gegen Robert Hermann (Würzburg) zu Fall und fordert einen Elfmeter. Schiedsrichter Robert Hartmann lässt weiterspielen. [TV-Bilder – ab Minute 27:50]

Babak Rafati: Willsch läuft auf der rechten Seite in den Strafraum von Würzburg und spielt den Ball in die Mitte. In seinem Rücken kommt Hermann angelaufen und tritt ihm unabsichtlich in die Hacken, wobei er ihn dadurch nicht mehr hindern kann, den Ball zu spielen. Das passiert alles im normalen Bewegungsablauf in einer Aktion und ist somit kein Foulspiel. Der Schiedsrichter hat sich optimal in Position gebracht, kann somit die richtige Entscheidung treffen und lässt weiterspielen.

 

Szene 9: Nach einer Flanke in den Strafraum geht Felix Müller (Unterhaching) beim Kampf um den Ball zu Boden. Schiedsrichter Lukas Benen lässt weiterlaufen. [TV-Bilder – ab Minute 1:58:50]

Babak Rafati: Bei einer langen Flanke in den Strafraum von Münster kommt es zu einem Zweikampf, bei dem der Verteidiger fußballtypisch seinen Gegenspieler Müller im Bereich des Erlaubten bearbeitet, aber keinesfalls Foul spielt – auch, wenn dieser zu Fall kommt. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

Szene 10: Bei einem Schuss wird Felix Schröter (Unterhaching) von Philipp Hoffmann (Münster) bedrängt und zu Fall gebracht. Kein Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 3:50]

Babak Rafati: Nach einer Abwehraktion im Strafraum von Münster will Schröter den Ball aus der Luft auf das gegnerische Tor schießen, jedoch kommt sein Gegenspieler Hoffmann zuerst an den Ball und klärt diesen vor dem einschussbereiten Schröter. Dieser kommt zwar zu Fall, aber ohne gegnerische Einwirkung. Der Schiedsrichter hat sich glänzend in Position gebracht, kann den genauen Ablauf von der Seite beobachten und lässt richtigerweise weiterspielen. Ein Musterbeispiel dafür, wie ein Schiedsrichter durch kluge Laufwege seinen Blickwinkel zu entscheidenden Situationen optimieren kann, um die richtige Entscheidung zu treffen. 

 

Szene 11: Nach einem Freistoß für Ingolstadt geht Stefan Kutschke (Ingolstadt) im Duell mit Kai Gehring (Großaspach) zu Boden. Schiedsrichter Tobias Schultes entscheidet auf Elfmeter. [TV-Bilder – ab Minute 41:30]

Babak Rafati: Bei Standardsituationen ist es für die Schiedsrichter immer äußerst schwierig, in der angesammelten Spielertraube die einzelnen Pärchen jeweils im Blick zu behalten und dabei den Überblick nicht zu verlieren. Dafür braucht man ein besonderes Gespür und das nötige Glück. Bei diesem Freistoß in den Strafraum von Großaspach laufen alle zum Ball, dabei halten Gehring und Kutschke beide etwas und bearbeiten sich somit gegenseitig. Kutschke nimmt diesen Kontakt dankend an und kommt plötzlich zu Fall. Der Schiedsrichter entscheidet bei diesem Zweikampf auf Strafstoß für Ingolstadt. Diese Aktion ist nicht klar und deutlich genug und gerade bei Strafraumsituationen sollte man als Schiedsrichter nur zweifelsfreie Foulspiele ahnden. Sonst haben wir in jedem Spiel zahlreiche Elfmeter. Hier wäre es besser gewesen, nicht auf die üblichen Spielchen hereinzufallen und weiterspielen zu lassen. Somit liegt eine Fehlentscheidung vor.

Szene 12: Kai Brünker (Großaspach) fällt bei einer Ecke im Duell mit Frederic Ananou (Ingolstadt), einen Elfmeter gibt es nicht. [TV-Bilder – ab Minute 1:53:30]

Babak Rafati: Nach einer Ecke in den Strafraum von Ingolstadt geht Brünker im Zweikampf mit seinem Gegenspieler Ananou zu Fall, nachdem er selbst Ananou an den Kopf fasst. Vielleicht will er auch nur reaktionsschnell an seinem Gegenspieler vorbeilaufen und es passiert deshalb diese hektische Bewegung. Ob Ananou ihn anschließend festhält und Brünker deshalb zu Fall bringt, kann man nicht erkennen. Aber selbst wenn das der Fall sein sollte, hätte sich dieser nur befreien wollen und das Stürmerfoul wäre in der Abfolge zuerst zu ahnden. Eine richtige Entscheidung, weiterspielen zu lassen.

 

Weiterlesen: Wer am häufigsten benachteiligt wurde

   

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